6. Mai 2011
Aus Athen berichtet Stephan Lindner von der Konferenz "Debt and Austerity: From the Global South to Europe"
Wie bereits im letzten Blogeintrag geschrieben, sitze ich gerade in Athen, weil ich für Attac-D die seit gestern hier stattfindende Konferenz zur Schuldenkrise "Debt and austerity: From the Global South to Europe" besuchen werde (Programm).
Gestern fand die Auftaktveranstaltung statt. Nach einer Begrüßungsrede gab es zwei Podien mit jeweils 4-5 Sprechern. Auf dem ersten Podium berichteten Griechen über die Situation hier vor Ort und die tieferen Ursachen der Krise. Die über 300 Plätze des Veranstaltungsraumes reichten bei weitem nicht aus und viele mussten in den Gängen oder der Tür stehen. Die allermeisten im Publikum, wie in Athen sicher auch nicht anders zu erwarten, waren Griechen. Die Veranstalter haben eine Top-Simultanübersetzung mit Kopfhörer organisiert, so dass es auch für uns Nicht-Griechen problemlos möglich ist, allen Veranstaltungen zu folgen.
Wie gestern schon geschrieben ist die Arbeitslosigkeit in Griechenland derzeit mit über 15% (Stand März) auf Rekordniveau. Ca. 1000 Griechen verlieren derzeit jeden Tag zusätzlich ihren Job und selbst die, die noch einen Job haben, verdienen oft zu wenig, um davon Leben zu können. Viele Griechen haben deshalb nicht nur einen Job, sondern drei oder vier, um einigermaßen damit über die Runden zu kommen. Gestern erfuhr ich von einem Fall, in dem jemand, nach seinem Studium, sechs Stunden pro Tag arbeiten muss, um am Ende des Monats etwas mehr als 500 Euro zu verdienen. Solche Jobs sind in Griechenland mittlerweile keine Ausnahme mehr, sondern werden immer mehr zur Regel. Da die Preise die selben sind wie bei uns, teilweise noch höher, kann man auch hier davon nicht leben. Wenn jemand keine Verwandten hat, die ihn unterstützen können, dann ist, vor allem gegen Ende des Monats, Hungern angesagt. Oft fehlt auch das Geld für die alltäglichsten Dinge wie Klopapier. Dazu muss man auch wissen, dass es in Griechenland Arbeitslosengeld nur für einen begrenzten Zeitraum gibt und die Menschen danach praktisch ohne Unterstützung dastehen. Wer keine Familie hat, die ihn unterstützt, ist im Fall von Arbeitslosigkeit schnell aus Almosen angewiesen.
Ein großes Problem ist auch, dass die Menschen hier keinerlei Perspektive haben, dass es besser wird. Vieles ließe sich sicher leichter ertragen, wenn es die Hoffnung gäbe, dass dies der Weg durch einen Tunnel ist, an dessen Ende es wieder Licht gibt. Diese Hoffnung hat hier aber keiner. Im Gegenteil: Die Menschen wissen sehr genau, dass sie mit der gegenwärtigen Politik nur immer tiefer in die Krise stürzen. Sie fühlen sich wie Versuchskaninchen in einem großen sozialen Experiment, in dem versucht wird, was man den Menschen alles zumuten kann. Das sollte auch uns eine Mahnung sein, denn wenn eine bestimmte Politik in Griechenland erfolgreich ist, dann droht auch in anderen Ländern die Gefahr, dass sich diese Politik wiederholt.
Außer mir scheint Andrej Hunko, der gestern für die Linksfraktion auf dem zweiten Podium saß, der einzige aus Deutschland angereiste Teilnehmer zu sein. Trotzdem war Deutschland hier während des ganzen Abends allgegenwärtig. Es gab praktisch keinen Redner, der in seinem Vortrag nicht auf die verheerende Politik zu sprechen kam, die die Deutsche Regierung in der EU allgemein und gegenüber Griechenland im speziellen betreibt.
Besonders erbittert ist man hier, wenn Deutsche Konzerne auch noch von der Krise profitieren. So hat sich z.B. die deutsche Telekom für einen Schnäppchenpreis die griechische Telekom unter den Nagel gerissen. Sie musste nicht nur einen äußerst niedrigen Preis dafür bezahlen, sondern konnte auch noch alle möglichen "Altlasten", wie z.B. die Pensionsansprüche der Beschäftigten, beim griechischen Steuerzahler abladen. Auch die Waffengeschäfte, auf deren
Durchführung die deutsche Bundesregierung trotz Schuldenkrise gegenüber Griechenland besteht und die von deutschen Firmen wie Siemens begangene Korruption waren Thema.
Am heftigsten aber brachte das Thema der Nicht-Bezahlten deutschen Kriegsschulden die Emotionen in Wallung. Ein Redner bekam donnernden Applaus, als er darauf hinwies, dass eigentlich nicht Griechenland Deutschland, sondern umgekehrt Deutschland Griechenland Geld schulden würde. Im Zweiten Weltkrieg war Griechenland während der Besatzung durch Nazi-Deutschland zur Plünderung freigegeben. Im Großraum Athen verhungerten während des zweiten Weltkriegs über hunderttausend Menschen, weil die Wehrmacht Nahrungsmittel zur Versorgung der deutschen Truppen in Afrika und der deutschen Bevölkerung abtransportieren ließen. Die deutschen Besatzer transportierten auch das Gold der griechischen Zentralbank ab und erhoben Zwangsanleihen bei der griechischen Bevölkerung. Um den Widerstand der Griechen gegen diese Plünderung zu brechen, wurden im Krieg gegen die Partisanen als Vergeltungsmaßnahen ganze Dörfer ausradiert. Die deutsche Bundesregierung hatte sich über Jahrzehnte hinweg geweigert, über dieses Thema mit der griechischen Regierung auch nur zu sprechen. Als sich das Thema im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung nicht länger aufschieben ließ, wurden die deutschen Kriegsschulden in einem internationalen Dokument einfach für nichtig erklärt. Wer einen Schuldenerlass durchsetzen kann, ist eben immer auch eine Machtfrage. Kein Wunder, dass die Griechen deshalb angesichts der deutschen Politik besonders frustriert sind.
Für einen Teil dieses Unmuts musste dann auch Andrej Hunko als Blitzableiter herhalten. Ein Besucher fragte ihn, wie denn er und die Linke in Deutschland die Frage der Kriegsschulden sähen. Die Veranstalter und der allergrößte Teil des Publikums bemühten sich aber sichtlich, solche Fragen zu entschärfen, in dem sie darauf hinwiesen, dass der Kampf nur gewonnen werden könne, wenn er gemeinsam geführt werde und dass es darauf ankomme, dass sich diejenigen, die in allen Ländern unter dieser Politik leiden, zusammenschließen sollten gegen diejenigen, die davon profitieren. Außerdem sollten doch bitte nur Fragen gestellt werden, die mit dem Thema der Konferenz zu tun hätten. Ein Redner hatte vom Streik der Lokführer in Deutschland gehört und meinte, dass das doch ein gutes Thema sei, wo Griechen und Deutsche gemeinsame kämpfen könnten, in dem sie sich mit diesem Streik solidarisch zeigten. Nach der Veranstaltung kamen sogar einige auf Andrej zu und entschuldigten sich für einige der Fragen, die an ihn gerichtet wurden.
Da die Veranstaltung erst am Abend begann, hatten wir tagsüber Zeit, die Akropolis zu besuchen. Wir waren auch oben auf dem Berg, wo damals zum Zeichen des griechischen Widerstands die Hakenkreuz-Fahne eingeholt und die griechische gehisst wurde. Yorgos, einer der Organisatoren, machte uns auf eine kleine Gedenktafel aufmerksam, die am Fuß des Felsens angebracht war. Sie stammt aus den 80er Jahren und wurde dort erst angebracht, als Griechenland das erste Mal von einer Sozialistischen Regierung regiert wurde. Dass einer beiden Griechen letzte Woche starb und vorgestern beerdigt wurde, habe ich bereits im letzten Blogeintrag geschrieben. Der andere der beiden, Manolis Glesos, lebt noch ist auch Mitglied in dem Kommitee, dass hier die Schuldenkonferenz ausrichtet. Nach Ende des zweiten Weltkriegs kam es Griechenland zu einem Bürgerkrieg, der schließlich in einer Militärdiktatur mündete. Manolis Glesos leistet auch dagegen Widerstand, wurde mehrmals in Abwesenheit zum Tode verurteilt und saß schließlich viele Jahre im Gefängnis. Als er schließlich frei kam, wurde er in den 80er Jahren Bürgermeister einer kleinen Gemeinde auf der Insel Naxos. Er nutzt sein Amt, um aus dem Dorf eine ökologische Mustergemeinde zu machen. Bis heute ist dieses Dorf das einzige in ganz Griechenland, dass sich autark ausschließlich aus regenerativen Energien versorgt.
Als wir am Abend nach der Konferenz noch bei einem unserer Gastgeber zusammensaßen, erreichte uns auch die Meldung, dass es Gerüchte gäbe, Griechenland wolle aus dem Euro austreten. Während der Konfernz war das noch kein Thema und auch jetzt war hier in Griechenland die Spiegel-Meldung die einzige Quelle für diese Gerüchte. Einige halten es für wahrscheinlich, dass heute eine Restrukturierung der griechischen Schulden bekanntgegeben werde. Das ist aber nicht das, was mit dieser Konferenz erreicht werden soll, denn es wäre eine Umschuldung zu den Bedingungen der Gläubiger und nicht nach derjenigen, die bei einem Audit zur Anwendung kommen sollten.