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Kolonialismus 2.0 Grüner Wasserstoff für die deutsche Energiewende

Beim grünen Wasserstoff zeigt sich, dass die Energiewende in Europa neokoloniale Formen annehmen kann. Ein geplantes Großprojekt in Namibia ist vor dem Hintergrund der deutschen Kolonialgeschichte besonders brisant. Wir informieren fortlaufend über die Hintergründe und organisieren im Oktober 2025 eine Rundreise von namibischen Aktivist*innen durch acht deutsche Städte.

Die wichtigsten Fragen

Worum geht es?

Die Welt braucht grünen Wasserstoff – jedenfalls die Welt des Nordens wie die Bundesrepublik und die EU, die bis 2045 bzw. 2050 klimaneutral werden wollen. Ohne grünen Wasserstoff ist eine CO2- freie Stahlproduktion und ist eine klimaneutrale Umstellung anderer industrieller Prozesse nur schwer zu bewerkstelligen. Eine rege Diplomatie aus Berlin und Brüssel in wind- und sonnenenergiereiche Regionen der Welt soll helfen, den riesigen Bedarf zu decken. Wasserstoff (H2) entsteht durch die Aufspaltung von Wassermolekülen in H2 und O2 durch Elektrolyse. Dafür wird viel Energie und Wasser benötigt (54 KWh Strom und 9 Liter Wasser pro kg H2) mit einem Energieverlust von knapp 30 Prozent. Daher verbietet es sich, Wasserstoff auch dort einzusetzen, wo elektrische Energie direkt verwendet werden kann (Heizungen und Autoantriebe). Mit dem Run auf das neue Gold stellen sich also viele Fragen: Heißt regenerativ unbegrenzt verfügbar? Auf Wasserstoff umstellen und alles geht weiter wie bisher? Was bedeutet dieser Run für die betroffenen Regionen?

Warum sprechen wir von Energiekolonialismus?

Die Länder des Südens werden für die Energiewende benötigt, denn im Norden wird die riesige Menge an grünem Wasserstoff, die für eine funktionierende Klimawende benötigt wird, nicht produziert werden können. In Ländern wie Namibia und Chile dagegen herrschen ideale klimatische Bedingungen für die Erzeugung des benötigten Stroms durch Solarfelder und Windparks und die Herstellung von Wasserstoff wäre dort fünfmal billiger als in der EU. Deshalb bemühen sich EU und Bundesregierung intensiv, diese Länder mit strategischen Partnerschaftsverträgen in die Versorgung des eigenen Marktes einzubinden

Auch die namibische Regierung sieht sich mit ihrem nationalen Wasserstoffplan auf einem guten Weg und hofft auf eine große wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung mit vielen neuen Arbeitsplätzen. Also eine echte Win-Win-Situation? Die Investoren in die Projekte kommen allerdings nicht aus Namibia, sondern aus den Ländern des Nordens– ihnen geht es ausschließlich um die Bedienung der Rohstoffbedürfnisse der Länder des Nordens. Der Energiebedarf und die Entwicklung einer regenerativen Wirtschaft im Lande selbst spielen keine Rolle.

Welche Bedenken haben die indigenen Völker?

Dass die namibische Regierung sich durch den grünen Wasserstoff einen wirtschaftlichen Aufschwung erhofft, rechtfertigt es nicht, über die Köpfe der indigenen Bevölkerung- konkret der Nama – hinweg zu verhandeln. Die Nama sind empört darüber, dass sie nicht konsultiert und ihre Rechte missachtet wurden. Es geht schließlich nicht um irgendeine Investition in der Wüste, sondern es geht um die Nutzung von indigenem Land für die Energiewende des Nordens.

Außerdem bedroht der Ausbau des Hafens von Lüderitz für den Abtransport des Wasserstoffs direkt die Gedenkstätten der Nama auf der Insel Shark Island, wo sich einst ein großes Konzentrationslager der deutschen Kolonisatoren befand.

Was kritisiert die namibische Zivilgesellschaft?

Die Vergabebedingungen des Wasserstoff - Projektes liegen völlig im Dunkeln. Das größte Projekt in Namibia wurde vordergründig an ein namibisches Unternehmen, Hyphen Hydrogen Energy, vergeben. Tatsächlich handelt es sich aber um ein deutsch-englisches Konsortium: Für die technische Realisierung ist das deutsche Unternehmen „Enertrag“ im Boot und für die Projektverantwortung das britische Unternehmen „Nicholas Holdings“, das – nicht zufällig? – seinen Sitz in der Steueroase Virgin Island hat. Hyphen hat einen 40jährigen Pachtvertrag über ein Gebiet von 4000 km2 im Süden von Namibia, um dort Windanlagen und Solarfelder für 7 GW Stromproduktion zu bauen.

Neben Kritik an der Missachtung indigener Rechte stellt die namibische Zivilgesellschaft weitere berechtigte Fragen: Wieso bekam dieses gerade gebildete Konsortium den Zuschlag? Wieso gab es im Vorfeld keine Risikobetrachtung? Wie soll die riesige Investitionssumme von 10 Milliarden Dollar zustande kommen? Welche Verbindlichkeiten übernimmt der namibische Staat? Wieso sind die lokalen Instanzen nicht einbezogen worden? Wird die erzeugte Energie ausschließlich in die Wasserstoff-Produktion gehen, während weite Teile Namibias unterversorgt sind oder mit Kohle-Strom aus Südafrika beliefert werden?

Welche Umweltschäden werden befürchtet?

Die Solarfelder und Windräder sollen in dem 4000 km2 großen Tsau Khaeb Nationalpark installiert werden. Aus dieser Region wurde vor 120 Jahren das Volk der Nama von den deutschen Kolonisatoren in einem genozidalen Krieg grausam vertrieben. Heute ist es eine der wenigen Biosphären-Hotspots südlich der Sahara mit vielen endemischen Arten, deren Überleben durch das Projekt direkt bedroht ist.

Und auch die für die Produktion wichtigen Meerwasserentsalzungsanlagen werfen unbeantwortete Fragen auf: Was geschieht mit den Massen an Salzlake? Eine einfache Rückführung in das vorliegende Gewässer verbietet sich, weil es unabsehbare Folgen für das einzige Meeresschutzgebiet Namibias haben würde.

Deutsche Kolonial-verbrechen im heutigen Namibia

Die Haifischinsel, ein felsiges Gelände im Hafen von Lüderitz an der südlichen Küste Namibias, war 1905-1907 Schauplatz eines Konzentrationslagers, in dem Tausende Ovaherero und Nama an den Folgen von Zwangsarbeit, Hunger und Vernachlässigung zu Tode kamen. Heute befindet sich auf der Haifischinsel ein von Gemeinschaften der Ovaherero und Nama errichteter Gedenkstein.

Am 12. April 2025 wird an diesem Ort an den Überfall der deutschen „Schutztruppe“ auf die Siedlung Hornkranz im Bergland Zentralnamibias am 12. April 1893 erinnert. Der Überfall erfolgte im tiefsten Frieden und hatte zum Ziel, den Nama-Führer Hendrik Witbooi und seine Gefolgsleute zur Anerkennung der deutschen Souveränität über die Region zu zwingen. Witbooi hatte dies als einziger der traditionellen Führer in Zentral- und Südnamibia verweigert, mit klarsichtigen Einschätzungen der Folgen eines solchen Schrittes für die Afrikaner:innen. Beim Überfall auf Hornkranz wurden etwa 70 Frauen und Kinder getötet und nahezu 100 in Gefangenschaft nach Windhoek geführt; die Mehrheit der männlichen Kämpfer konnten entkommen und führten noch über ein Jahr lang einen Guerilla-Krieg fort. Heute wird an diesem Tag an das erste große Kolonialverbrechen der Deutschen in Namibia erinnert.

Prof. Dr. Reinhart Kößler


Das Gedenken an diesem Ort ist allerdings gefährdet durch die Pläne, den Hafen massiv auszubauen. Dadurch würden weitere Gräber zugebaut und angemessenes Gedenken durch den Industrielärm unmöglich.

Aktiv gegen Energiekolonialismus

Die Attac Projektgruppe H2 Namibia ist seit 2023 intensiv mit den bundesdeutschen Plänen zum Bezug von grünem Wasserstoff aus Namibia befasst. Dabei hat eine große Rolle gespielt, dass wir im Oktober 2023 online an einer Konferenz teilnehmen durften, in der sich viele zivilgesellschaftlichen Organisationen und Personen in Windhoek trafen, um ihre Sorgen und Kritiken an den Wasserstoffplänen zu auszutauschen.

In der Folge dieser Konferenz kam es zu einer intensiveren Zusammenarbeit in einem breiteren Netzwerk, an dem neben unserer Attac-Projektgruppe auch Aktivist*innen der RLS, Powershift, WeSmellGas und medico sowie weitere Einzelpersonen tätig sind. Gleichzeitig wurden auch die Beziehungen zu den Aktivist*innen in Namibia ausgebaut. Ein konkretes Ergebnis war die gemeinsame Durchführung einer Pressekonferenz, auf der namibische Aktivist*innen ihre Sichtweise vor Vertreter*innen der deutschen Presse darlegten.

Hier das Video von dieser Pressekonferenz

Weitere Informationen

In der Folge der oben genannten Konferenz in Windhoek richteten eine Reihe von beteiligten Organisationen einen Brief an den Präsidenten von Namibia, um ihre Sorgen und Forderungen zum Ausdruck zu bringen. Hier der Brief der Organisationen

Ein wichtiges Thema neben den sozialen, ökonomischen und indigenen Sorgen und Kritiken ist auch die Sorge um die Auswirkungen auf die Umwelt. Dazu ist bereits in dem Brief an den Präsidenten einiges  enthalten. Im letzten Jahr aber veröffentlichte auch die Umweltkammer eine kritische Stellungnahme zu dem Projekt. Der Vorsitzende der Kammer sprach gar von "rotem Wasserstoff". Hier die Stellungnahme der Umweltkammer

Artikel im Attac-Rundbrief 02/2024