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Bericht aus Griechenland (16. bis 19. Juni 2011)

Von Steffen Stierle

Anlässlich des Koordinantionstreffens des europäischen Attac Netzwerkes in Aegina bin ich am 16.6. nach Athen geflogen. Am Vortag haben sich die Ereignisse dort überschlagen. Weil an diesem Tag das nächste Sparpaket im Parlament diskutiert wurde, kam es zu gigantischen Demonstrationen. Nach Angaben mehrerer Leute vor Ort, waren ca. eine Millionen Menschen rund um das Parlament und den Syntagma-Platz auf der Straße. Die Wut dieser Menschen richtet sich gegen das Spardiktat, dem Griechenland unterworfen wird. Neben sozialen Aspekten spielen dabei vor allem demokratische Aspekte eine Rolle. Mein Eindruck ist, dass hier eine Bewegung entstanden ist, die eine Macht entfaltet, die vom politischen Betrieb nicht übergangen werden kann. Diese Macht findet ihren Ausdruck bspw. darin, dass der Ministerpräsident seinen Rücktritt angeboten und das Kabinett umgebildet hat. Ich habe von mehreren Leuten die Einschätzung gehört, dass die Regierung faktisch am Ende ist. Auch das extrem brutale Vorgehen der Polizei kann ebenfalls als Ausdruck dessen gewertet werden, dass das politische Establishment extrem in die Enge getrieben wird. Die Demonstrationen hielten bis in die späte Nacht an.

Athen am 16. Juni

Entsprechend war es am Tag meiner Ankunft verhältnismäßig ruhig in Athen. Viele Leute auf dem Platz haben gesagt, dass das eine Art Verschnaufpause nach den Ereignissen der vorangegangenen Nacht ist. Aber alle sind sich sicher, dass die Bewegung sehr dynamisch und sehr langatmig ist. Die Leute sind entschlossen zu bleiben, bis ihre Forderungen erfüllt werden. Dabei fordern sie nicht weniger, als dass die Troika verschwindet, die Regierung zurücktritt und die Schulden aberkannt werden. Als praktischer Weg dahin scheint mir die Forderung nach einem Schuldenaudit die relevanteste zu sein.

Nachdem ich kurz im Hotel war, bin ich gleich zum Syntagma-Platz gelaufen. Schon auf dem Weg waren die Folgen der Krise deutlich zu spüren. Insbesondere die vielen leer stehenden Läden sind ein sichtbares Indiz für das, was das Spardiktat in Griechenland anrichtet. Auch die enorme Polizeipräsenz sprach für sich, wobei das – wie ich später erfahren habe – auch daran lag, dass ich ganz in der Nähe der PASOK-Parteizentrale untergebracht war. Auf dem Platz zeigte sich trotz der relativen Ruhe ein eindrucksvolles Bild. Direkt vor dem Parlament wurde ein Widerstands-Camp errichtet, das permanent von rund 200 Menschen besetzt ist. Die Infrastruktur ist beeindruckend. Es gibt Kaffee- und Imbissstände, Toiletten, Versammlungsflächen, WLAN etc. Die ganze Umgebung ist mit Bannern vollgehängt. Die meisten sind auf Griechisch. Soweit ich es erkennen konnte, richten sich die Schriften vor allem gegen den griechischen Ministerpräsidenten und die Troika. Aber auch die Banken und die deutsche Regierung bzw. Deutschland allgemein werden kritisiert.

Attac Veranstaltung in Athen

Nachdem ich mir einen Einblick in die Lage verschafft hatte, bin ich weitergezogen. Für den frühen Abend hatte Attac Hellas zu einer öffentlichen Veranstaltung eingeladen. Die griechischen Attacis hatten das europäische Attac-Treffen zum Anlass genommen, eine Diskussion zur Krise mit internationalen TeilnehmerInnen zu organisieren. Die Veranstaltung war mit 20 - 30 BesucherInnen eher schlecht besucht. Dennoch gab es eine gute Diskussion und die Gäste waren, soweit ich das beurteilen kann, sehr interessiert und zufrieden.

Da die Veranstaltung mit einer halben Stunde Verzögerung angefangen hat, hatte ich noch Gelegenheit, mit ein paar Leuten aus dem Umfeld von Attac Hellas über die Krise zu sprechen. Interessant fand ich, dass bei der Beurteilung der Krisenursachen meist zuerst der Klientelstaat und die Steuerhinterziehung genannt wurden. Erst danach wurden europäische bzw. globale Ursachen wie die Struktur der Eurozone, die globale Finanzkrise und spekulative Attacken genannt. Insgesamt habe ich aber den Eindruck, dass beide Dimensionen von Krisenursachen in etwa gleichberechtigt angeprangert werden. Ebenfalls interessant war für mich, dass die Leute, mit denen ich gesprochen habe, durch und durch pro-europäisch eingestellt waren. Sie haben eine ähnliche Perspektive, wie sie sich bei Attac Deutschland zu entwickeln scheint: Ja zu Europa, aber zu einem anderen, einem solidarischen, sozialen, ökologischen und demokratischen Europa.

Den ersten Input der Veranstaltung hat Thanos von Attac Hellas gegeben. Er hat vor allem über die Vorschläge der griechischen Attacis zur Überwindung der Krise gesprochen. Thanos hat erzählt, dass sich Attac Hellas vor zehn Jahren unter dem Eindruck der Argentinien-Krise gegründet hat. Heute sei Griechenland in derselben Situation. In seinem Beitrag hat er dann die vorherrschende Krisenpolitk angeprangert. Sie würde zwar dazu führen, dass die Schulden langsam sinken (zunächst die Neuverschuldung), aber zu einem viel zu hohen Preis. Stattdessen fordert Attac Hellas, dass jene für die Schulden zahlen, die "das Geld gestohlen haben". Beispielhaft wurden die ausstehenden Reparationszahlungen aus dem zweiten Weltkrieg, die Steuerhinterziehung, die Banken und die Rüstungskonzerne genannt. Darüber hinaus hält Attac Hellas eine "Restrukturierung des Staates" für erforderlich, um dem Klientelismus und der Korruption ein Ende zu bereiten.

Anschließend hat Carlos von Attac Spanien gesprochen. Carlos hat zunächst die Situation dargestellt, vor der die M15-Bewegung entstanden ist. Genannt wurden unter anderem Arbeitslosigkeit trotz hoher Unternehmensgewinne und Korruption. Die Bewegung fokussiert sehr stark auf das nationale politische Establishment. Sie tritt für direkte Demokratie im Umgang mit der Krise ein. Der momentane Trend in der Bewegung geht in Richtung einer stärkeren Regionalisierung bei gleichzeitiger Koordination der einzelnen Gruppen. Weiter hat Carlos viel über den Europakt gesprochen, da dieser bei der Mobilisierung am 19. Juni eine zentrale Rolle spielt.

Danach habe ich über unsere Positionen in der Krise gesprochen. Ich habe zunächst skizziert, dass wir uns in verschiedenen Dimensionen verantwortlich zum Handeln fühlen: als Teil einer europäischen Widerstandsbewegung, als KritikerInnen der deutschen Europapolitik und in Form von Solidaritätsarbeit gegenüber den Menschen, die in Griechenland und Spanien Widerstand leisten. Bei der Analyse der Krisenursachen und der Beurteilung der vorherrschenden Krisenpolitik habe ich den Schwerpunkt auf die Rolle der deutschen Politik und Wirtschaft gelegt. Anschließend habe ich noch ein paar Alternativen skizziert und dargestellt, wie sich die Arbeit von Attac Deutschland im Kontext der Eurokrise derzeit (in den drei Dimensionen) gestaltet.

Nach mir hat dann Frédéric von Attac Frankreich über die Attac-Arbeit gegen Austerität im europäischen Attac-Netzwerk gesprochen. Er hat die Mailaction und die Strassbourg-Delegation vorgestellt und ist auch auf die Reaktionen von parlamentarischer Seite eingegangen. Insbesondere der linke Flügel ist sehr offen für einen Dialog. Darüber hinaus hat Frédéric dargestellt, was derzeit in der Kampagnengruppe diskutiert wird. Der Schwerpunkt liegt auf der Herstellung der Verbindung nationaler Proteste mit der europäischen Ebene.

Hugo von Attac Deutschland hat kurz die ENA vorgestellt. Es ging dabei insbesondere um die Darstellung des Projektes und seiner Struktur sowie die Zielvorstellung, gemeinsame Aktivitäten voranzutreiben. In diesen läge ein wichtiger Schlüsselaspekt. Danach gab es noch einen Input von Vasso (Attac Hellas) zur Positionsentwicklung bezüglich der ökologischen Frage. Da das recht allgemein gehalten war, will ich jetzt nicht vertieft darauf eingehen. Insteressant war für mich zum einen, dass die ökologische Frage hier offensichtlich trotz der Angriffe auf Sozialstaat und Demokratie an Bedeutung gewinnt und zum anderen, dass unser Wachstumskongress offenbar eine sehr weitreichende positive Ausstrahlung hatte.

Nach den vielen Inputs kam es noch zu einer interessanten, offenen Diskussion, unter anderem darüber, wie konkret man Forderungen entwickeln sollte. Einerseits wurde es als notwendig erachtet, umsetzbare Alternativen aufzuzeigen, um die Alternativlosigkeits-Argumentation zu widerlegen. Andererseits gab es die Position, dass wir nicht der Reparaturbetrieb eines per se krisenhaften Systems sein sollten. Dominant war nach meiner Einschätzung, dass die alternativen Konzepte, die wir haben, auf einem guten Stand sind, während die Problemstelle mehr auf der Frage liegt, wie sich die Macht entfalten lässt, diese tatsächlich voranzubringen.

Wieder zum Syntagma-Platz

Nach der Veranstaltung waren wir gemeinsam Essen. Das war eine gute Gelegenheit zum weiteren Kennenlernen. Nach dem Essen sind dann einige von uns nochmal zum Syntagma-Platz gegangen. Dort fand gerade die tägliche Vollversammlung statt. Da diese größtenteils auf Griechisch stattfand und ich nicht die Gelegenheit hatte, mir alles übersetzen zu lassen, habe ich von den Diskussionsinhalten nicht viel mitbekommen. Interessant und beeindruckend war es dennoch, dabei zu sein. Ich hatte den Eindruck, dass diese recht spontane und vielfältige Bewegung eine sehr konzentrierte und disziplinierte Arbeitsstruktur entwickelt hat. Mit mehreren hundert Menschen wurde eine Diskussion mit klaren Regeln und Abstimmungen geführt.

Dank den KollegInnen von Attac Hellas hatten wir dann auch die Gelegenheit, ein paar Worte (auf Englisch) an die Versammlung zu richten. Ich hatte den Eindruck, dass die Freude über die Solidaritätsbekundungen aus verschiedenen Ländern recht groß war. Einigen der Leute vor Ort war es auch wichtig, dass ich ein paar Worte sage, weil sie Sorge haben, dass sich in der Bewegung teilweise eine sehr pauschale Deutschlandfeindlichkeit entwickelt. Daher habe ich meinen Beitrag genutzt um deutlich zu machen, dass viele in Deutschland die Story der Regierung über die Krise nicht glauben und auch Konzerne wie Siemens und Thyssen Krupp in der Gesellschaft nicht nur Freunde haben. Im Namen von Attac D habe ich der Bewegung Solidarität bekundet und die Hoffnung artikuliert, dass sie auch auf Deutschland eine positive Ausstrahlung hatte.

Hier ein Bild von der Vollversammlung (das Gebäude im Hintergrund ist das Parlament). Meine Kamera kommt mit Dunkelheit leider nicht besonders gut klar.

Vollversammlung auf dem Syntagma-Platz
Vollversammlung auf dem Syntagma-Platz