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Marlene Werfl: Neuorientierung in der Krise: Ist der Kapitalismus am Ende?

 

(erschienen in NeulanD 03/2009, Beilage des Neuen Deutschland)

 

Die Häufung der Krisen, besonders das Zusammenbrechens des Banken- und Finanzsektors, hat die politische Landschaft gravierend verändert. Was bedeutet das für die emanzipatorischen Kräfte aus linken Gruppierungen, etablierten Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Nord-Süd-Gruppen, der Friedensbewegung und NGOs, von denen sich viele im Netzwerk Attac zusammengeschlossen haben? Sie spielten in den vergangenen 10 Jahren eine wichtige Rolle. Ihnen gelang, die Behauptung der Alternativlosigkeit des Neoliberalismus aufzubrechen. Und nun haben die eigenen Mängel des Systems seine Glaubwürdigkeit weiter untergraben. Die Warnungen aus dem Lager der Sozialen Bewegungen haben sich bestätigt. Sind Attac und Bündnispartner nun überflüssig geworden? Sollten die Aktiven in ihre angestammten Organisationen wie Parteien und Gewerkschaften zurückkehren, um dort gemeinsam mit inzwischen aufgewachten Mitgliedern die Stunde für Reformen zu nutzen? Dazu könnte auf eine Reihe von Forderungen aus dem Attac-Katalog zurückgegriffen werden,  um sie nun mit mehr Chancen in gesellschaftliche Wirklichkeit umzusetzen. Dazu gehören Forderungen wie die Gründungsforderung nach einer Börsentransaktionssteuer, die Schließung von Steueroasen, die stärkere Regulierung und Begrenzung der Finanzmärkte, die Rückkehr zu einem solidarischen sozialen Sicherungssystem, Mindestlöhne, Arbeitszeitverkürzung und ein ausreichendes Einkommen für alle Menschen - mit und ohne Arbeit. Denn auch in Politik und Wirtschaft wird wieder verstärkt von „unserer sozialen Marktwirtschaft“ geredet; sogar empfohlen, diese global als Erfolgsmodell auszuweiten. Dabei wird freilich übergangen, dass der Zahn des Neoliberalismus schon erhebliche Lücken in unsere einstmals soziale Marktwirtschaft hineingerissen hat. Und mit Blick auf den Finanzbereich werden Forderungen erhoben, die denen von Attac ähnlich sind. Es bleibt abzuwarten, was davon lediglich beschwichtigende Rhetorik und was ernst gemeint ist. Das bisherige Handeln der großen Koalition legt nahe, dass hinter der weichgespülten Rhetorik vor allem der feste Wille steht, die Krise irgendwie zu überstehen und dann im Großen und Ganzen weiterzumachen wie bisher: die Gewinne für die Banken und Konzerne, die Verluste für die VerliererInnen des Systems. Da bedarf es einer wachsamen Instanz, die politisches Handeln immer wieder an den Sonntagsreden misst.


Doch es gibt auch Kräfte, die in der Krise eine Chance zu grundlegenderen Veränderungen sehen. Bereits im Sommer 2007 wurde vom Attac-Rat der Akzent von der damaligen Globalisierungskritik hin zur Kritik am System, am Kapitalismus selbst, verschoben. Die Idee zu einem Kongress entstand, der jetzt Anfang März in Berlin stattfinden wird. Er sollte der bis dahin tabuisierten Kritik am Kapitalismus einen Weg bahnen. Das haben inzwischen die Medien besorgt. Was aber weitgehend fehlt, ist eine gründliche Analyse. Und im Anschluss daran das Entwickeln von Alternativen. Die gibt es nämlich nicht wirklich, nicht auf der Basis breiter Zustimmung. Und auch wer kommunistische/sozialistische Träume hegt, ist vorsichtig geworden angesichts des Scheiterns vergangener Real-Sozialismen. Die Frage ist also nach wie vor ungelöst, was denn an die Stelle des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, treten könnte.  Wenn Kapitalismus, wie einige behaupten, von seiner grundlegenden Struktur her ungeeignet ist, das ökologische Fortbestehen unseres Planeten und ein demokratisches, menschenwürdiges Zusammenleben zu organisieren, wie könnte es dann anders gehen? Der vage Begriff „einer anderen Welt“ müsste dazu mit konkreten Vorstellungen gefüllt werden.  Und das ist eine riesige Herausforderung. Denn über die Ablehnung des Neoliberalismus konnte relativ leicht Einigkeit erzielt werden. Sich auf konkrete Zukunftsmodelle zu einigen und sei es nur im Groben, ist bedeutend schwieriger angesichts der Vielfalt von Menschen- und Weltbildern innerhalb der Bewegung.


Auch oder gerade auf unsere Menschen- und Weltbilder tut ein kritischer Blick Not, der umso schwerer fällt, weil inzwischen alle mehr oder weniger in dieses kapitalistische System verstrickt sind. Der Kapitalismus hat - von den allermeisten unbemerkt - die Menschen, ihre Kultur, ihre Werte, ihr Miteinander radikal verändert. Alle sind infiltriert von der Logik der Verwertung und Rendite. Der Kapitalismus verändert die intimsten Beziehungen. Auch das gilt es aufzudecken und bewusst zu machen.


Der Kongress kann bei all diesen skizzierten Aufgaben eine wichtige Rolle spielen. Die allgemeine Sensibilität für das Thema ist eine gute Voraussetzung, um über die bisherigen Interessenten solcher Veranstaltungen hinaus neue Menschen anzuziehen. Und er bietet eine Plattform, um verschiedene Analysen, Sichtweisen und Interessen zusammenzubringen. Das kann sehr spannend werden. Vorausgesetzt, Neugier und wechselseitige Offenheit bestimmen die gemeinsamen Diskurse.

 
Auch andernorts ist Bewegung  in die Bewegung gekommen. Die Interventionistische Linke stellte im Januar ihren Ratschlag unter die K-Frage, die Gewerkschaften planen einen Kongress zum Kapitalismus und in der evangelischen Kirche hat eine Gruppe Aufmüpfiger den Diskurs über die Positionierung der Kirche in Zeiten des Kapitalismus provoziert. Zu wünschen bleibt, dass diese verschiedenen Suchbewegungen am Ende zusammenführen und die emanzipatorischen Kräfte bündeln. Orientierung ist dringend notwendig. Nicht nur in der Politik, auch bei Attac kann es angesichts der Umbruchsituation kein „Weiter wie bisher“ geben.

 

Über die Autorin:

Marlene Werfl ist aktiv bei Attac-Offenburg und Mitglied im Vorbereitungskreis des Kongresses „Kapitalismus am Ende?“