Glaubwürdige Abgrenzung nach rechts – warum diese (auch in Zeiten der Pandemie) dringend notwendig ist und wie sie erfolgt KoKreis-Erklärung vom 01.04.2022
Seit jeher versuchen Rechte, berechtigte Anliegen für ihre menschenverachtenden Zwecke zu vereinnahmen. Historische Beispiele sind die Beteiligung von Nazis am BVG-Streik von 1932, die Versuche der Einflussnahme auf die Friedens- und die Umweltbewegungen der 1970er und 1980er-Jahre oder auch die Beteiligung an den Protesten gegen die Einführung von Hartz-IV. Obwohl die Hartz-Proteste insgesamt eine deutlich linke Ausrichtung hatten, gelang es Neonazis lokal mitunter dem Protest ihren Stempel aufzudrücken. Dies war vielfach in Ostdeutschland der Fall und in Sachsen zog die NPD nach einem Wahlkampf zum Thema in den Landtag ein.
Bei den Montagsmahnwachen für den Frieden von 2014 und den heutigen Corona-Protesten erleben wir noch etwas anderes. Hier wurden die Proteste von Beginn an von Akteuren aus einem neuartigen verschwörungsideologischen Milieu geprägt, das sich über bestimmte Plattformen im Internet zusammengefunden hat. Dementsprechend waren hier auch rechte Kader unterschiedlichster Art von Beginn an willkommen. Für emanzipatorische Kräfte gibt es in einem solchen Umfeld nichts zu gewinnen, auch wenn mitunter wichtige Themen wie Frieden oder die Kritik an bestimmten Politiken in der Covid-19-Pandemie angesprochen wurden und Menschen anziehen, die mit Rechten nichts zu tun haben wollen. Diesen Menschen gilt es emanzipatorische Alternativen zu solchen Veranstaltungen anzubieten, anstatt diese im Kern rechten Bewegungen durch die eigene Teilnahme weiter zu stärken. Die Entwicklungen der vergangenen beiden Jahre zeigen dies deutlich.
Zunächst an zentralen Orten und seit der zweiten Jahreshälfte 2021 in tausenden Orten bundesweit protestieren verschiedenste Menschen, die mit der staatlichen Pandemiebekämpfung unzufrieden sind, Seite an Seite mit Vertreter*innen von III. Weg, NPD, AfD, Freien Sachsen, dieBasis, AnhängerInnen von Querdenken und ihnen nahestehenden Organisationen wie z.B. Eltern stehen auf, Anwälte für Aufklärung und anderen rechtsradikalen und/oder verschwörungsideologischen Parteien und Bewegungen. Regelmäßig wird auf solchen Versammlungen z.B. durch das Tragen von Aufnähern mit der Aufschrift "Ungeimpft" im Stile der von den Nationalsozialisten im "Dritten Reich" verordneten Judensternen der Holocaust relativiert und/oder es werden Diktaturvergleiche angestellt und ein Widerstand des Volks gegen eine angebliche Diktatur beschworen. Am Rande solcher Demos werden immer wieder Journalist*innen bedroht und teils angegriffen; in Ostdeutschland zogen Neonazis gemeinsam mit Bürger*innen fackeltragend vor die Privathäuser demokratisch gewählter Politiker*innen und erzeugten auf diesem Weg eine Bedrohungskulisse der brutalen Gewalt, die das demokratische System in Frage stellt.
Teilnehmer*innen vieler Versammlungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie argumentieren auf diese Umstände angesprochen oftmals mit der in vielen Fällen sicherlich glaubwürdigen Behauptung, sich selbst nicht rechts zu verorten. Gleichzeitig wird die deutliche Präsenz rechtsradikaler und/oder verschwörungsideologischer Kräfte oftmals verharmlost und teils komplett geleugnet. Viele der Protestierenden sehen sich im Einsatz für eine gerechte Sache und gegen eine gesellschaftliche Spaltung beispielsweise zwischen geimpften und ungeimpften Personen. Einzelne linke Befürworter*innen solcher Proteste rechtfertigen das gemeinsame Agieren sogar mit dem Hinweis, dass es an emanzipatorischer Kritik an den staatlichen Maßnahmen fehle und daher kaum etwas anderes übrigbliebe, als sich Versammlungen anzuschließen, in denen auch Rechtsradikale und Verschwörungsideolog*innen präsent sind – schließlich brauche es eine Bewegung, die in vielerlei Hinsicht kritikwürdige Maßnahmen des Staats thematisiert und diese bekämpft. Die Wahl der Bündnispartner*innen sei dabei zweitrangig und man könne, so die Hoffnung mancher, rechten Menschenfänger*innen das Wasser abgraben und naive bzw. durch die staatliche Anti-Corona-Politik neu politisierte Menschen für emanzipatorische Ziele wie die Wiederherstellung des Gesundheitswesens als öffentliche Daseinsvorsorge mit entsprechender Re-Kommunalisierung der Krankenhäuser, Verbot von Gewinnen, bessere Personalausstattung und -bedingungen gewinnen bzw. linke Menschen, Friedensaktivist*innen usw. nicht an Rechte verlieren.
Diese Annahme ist aus vielen Gründen und nicht zuletzt nach ca. hundert Jahren antifaschistischer Erfahrung falsch!
Zunächst haben viele Organisationen und Bewegungen wie z.B. auch das deutsche Attac-Netzwerk, Seebrücke, IL, Obdachlosenverbände immer wieder Aktionen durchgeführt und Forderungen gestellt (s. hierzu z. B. www.attac.de/was-wirklich-wichtig-ist) – die gesellschaftliche Kritik hält dabei nicht nur an, sondern verstärkt sich mit der Dauer. Kräften wie Attac geht es dabei unter anderem um ein gesamtgesellschaftlich-solidarisches Miteinander hierzulande und global, eine nachhaltige Gestaltung des Gesundheits- und Pflegesystems, die Freiga-be von Impfstoffpatenten und um die gerechte Verteilung der Kosten der Krise.
Eine emanzipatorische Kritik an den staatlich verordneten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist selbstverständlich notwendig und muss an den verschiedensten Stellen ansetzen – sei es am kurzsichtigen Handeln der Bundes- und Landesregierung(en), das die Ursachen der Pandemie völlig ausblendet und keinerlei Anstrengungen zu einer dauerhaften Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Pflegesystem unternimmt, sei es am autoritären Agieren der Exekutive, das Menschen nicht durch durchdachte Impfkampagnen mitnimmt und sozial ausgegrenzte Menschen wie Geflüchtete und Obdachlose vollkommen ausgrenzt und die Interessen von Kindern (gerade auch aus materiell benachteiligten Schichten) weitgehend ignoriert.
Solidarisches Handeln in der Pandemie bedeutet aber immer auch Menschen mit einem geschwächten Immunsystem zu schützen, die nicht auf eine Schutzwirkung ihrer eigenen Impfung vertrauen können. Massenproteste, auf denen kein wirksamer Mund-Nasen-Schutz getragen wird, oder die sich sogar ganz explizit gegen Schutzmaßnahmen wie die Maskenpflicht richten, treten den Gedanken der Solidarität dagegen mit Füßen! Durch eine Beteiligung an Demonstrationen, auf denen die Pandemie verleugnet, Verschwörungserzählungen wie die antisemitische QAnon-Legende und/oder alle Maßnahmen zum Eigen- und Fremdschutz infrage gestellt werden, gibt es nichts zu gewinnen für Menschen, die sich solidarisch engagieren wollen. Das Ansetzen an einem Menschenbild, das das Eigeninteresse mit "Freiheit" verwechselt und beständig über das Gemeinwohl stellt, ist von vornherein vergebens – dieses Menschenbild muss bekämpft anstatt durch ein Miteinander Seite an Seite auf gemeinsamen Demonstrationen legitimiert werden.
Dies gilt erst recht hinsichtlich explizit menschenverachtender Ideologien: Gemeinsame Versammlungen mit Rechtsradikalen verbietet sich allen Antifaschist*innen von selbst. Die Duldung von Neonazis, alten und neuen Rechten auf Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen wird niemals dazu führen, dass diese an Boden verlieren – stattdessen verleiht ihnen eine gemeinsame Aktion mit eher unpolitischen Bürger*innen und erst recht solidarisch motivierten Aktivist*innen die Ehre einer Anerkennung in Kreisen weit über ihre eigenen Zusammenhänge hinaus. Damit werden sie zum selbstverständlichen Teil des gesellschaftlichen Austauschs gemacht, in dem sie eine angeblich legitime Meinung vertreten. Menschenverachtung bekommt eine Plattform und ungeahnte Reichweiten – zum Schaden der Menschen, die dringend aller gesellschaftlichen Kräfte bedürfen, die sich für ein solidarisches Miteinander einsetzen. Rassistisch, antisemitisch, sexistisch und ableistisch (aufgrund von Behinderungen) diskriminierte Menschen haben keinen Schutz in einem Protest, auf dem ihre potentiellen Mörder:innen und deren Gefolge geduldet werden. Eine Duldung letzterer durch Menschen mit berechtigter Kritik am Pandemiemanagement auf gemeinsamen Versammlungen bereitet stattdessen den Boden für das seit Jahren steigende Selbstbewusstsein rechtsradikaler Kräfte – das sich heute durch die Präsenz von Nazis in Parlamenten und nicht zuletzt durch eine starke Zunahme rechtsradikaler Morde äußert.
Daher gilt:
- Wer berechtigte Kritik am Pandemiemanagement der Regierung(en) zum Ausdruck bringen will, organisiert diese selbst und dockt nicht an Proteste an, auf denen sich bekanntermaßen Nazis und/ oder Verschwörungsideolog*innen nicht nur tummeln, sondern teils auch das Wort haben. Auch benutzen sie keine durch die Rechten und/ oder Verschwörungsmythen geframten oder besetzten Aussagen, Symboliken, Zusammenhänge, Protestformen, Transparente und Orte.
- Wer Nazis und/oder Verschwörungsideolog*innen ausgrenzen und vom eigenen Protest fernhalten will, hat dazu alle Möglichkeit.
- Dabei reicht keine rituelle Ausschlussklausel, sondern es bedarf einer expliziten Ausformulierung von Solidarität mit allen Menschen – rund um den Globus, mit Flüchtenden und Geflüchteten, mit migrantischen und migrantisierten Menschen, mit Gesunden und (Vor-)Erkrankten sowie einer deutlichen Distanzierung von Verschwörungsglauben und Wissenschaftsfeindlichkeit.
- Die Betonung dieser Solidarität und Aussagen muss in aller Ausdrücklichkeit nicht nur im Aufruf zur sondern auch während der Versammlung selbstverständlich sein. Eine Duldung rechter, rechtsradikaler und/oder verschwörungsideologischer Kräfte auf Demonstrationen ist ausgeschlossen; hierfür braucht es nicht zuletzt kompetente Ordner:innen, die solche erkennen und der Versammlung zu verweisen wissen.
- Schließlich geht es
um die Bildung von Bündnissen mit einem explizit antifaschistischen Grundkonsens und
um den aktiven Einsatz gegen rechtsradikale und demokratiefeindliche Kräfte.
Dies, der aktive Einsatz, gegen rechtsradikale und verschwörungsideologische Kräfte, ist so notwendig wie lange nicht mehr! Keine Plattform für Nazis und Verschwörungsideolog*innen, keine Aktion, auf der deren Präsenz geduldet wird – dies ist das Selbstverständnis von Attac!