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Geist und Müll. Von Denkweisen in postmodernen Zeiten

Rezension zu "Geist und Müll. Von Denkweisen in postmodernen Zeiten" von Guillaume Paoli

 

Der Klappentext spart nicht mit Superlativen: „Guillaume Paoli unternimmt eine Archäologie verdrängter Einsichten und zeigt, wie seit den 1970er-Jahren zusammen mit der Vermüllung der Welt auch der geistige Abfall dramatisch zugenommen hat. Sein Essay zerpflückt die neuen Gemeinplätze rigoros, sammelt Elemente für einen angemessenen Müllbegriff und entwirft Denkbilder, die die Tragik der Gegenwart anschaulich machen.“

Es gibt keinen Grund, den hier gemachten Aussagen direkt zu widersprechen, auch wenn ich meine, dass sie leicht auf eine falsche Spur führen könnten, nehmen doch die Versuche von Teilen der Linken zu, sich intellektuell und politisch auf Zeiten scheinbarer Gewissheiten zurückzuziehen, auf so etwas wie einen (sozial) regulierenden Nationalstaat, der durch (nicht identitär gestörten) Klassenkampf unter Bezug auf eine (einheitlich zu denkende) Arbeiterklasse auf Trab gebracht werden könne.

Damit hat Paoli nichts zu tun, das macht er gleich in der zweiten Anmerkung des Buches klar: „Eine Rückkehr zum Staus quo ante wird es nicht geben, ebenso wenig eine new normal.“ (S. 255) Die Dramatik der politischen, ökologischen, sozialen Lage ist dem Autor völlig bewusst: „Nein, keine Katastrophe steht bevor, wir stecken bereits mitten drin. Düstere Zukunftsszenarien sind überflüssig geworden, die düstere Gegenwart reicht schon.“ Und weil auch „Zukünftigkeit lichtdicht wie noch nie ist“, beschreibt er sein Anliegen damit, in einem Rückblick „den Irrweg zu rekonstruieren, der uns zu diesem aussichtslosen Punkt gebracht hat, und Seitenpfade wiederzufinden, die vielleicht auf eine Lichtung führen“ ( S. 14f).

Ich werde hier nicht einmal im Ansatz den Versuch machen, Paolis in insgesamt 123 Überlegungen gegliederte Argumentation nachzuzeichnen, man könnte sie damit nur zerstören. Der Autor geht zeitlich zwar chronologisch vor, nutzt aber verschiedene Stationen immer wieder, um allgemeine Betrachtungen einzufügen oder grundsätzlich Kritiken herzuleiten. Davon gibt es eine Menge und er schont dabei niemanden. Drei kurze Beispiele können das erläutern.

Zum „ökologischen Fußabdruck“: „So ehrenwert die Sorge um die eigene Ökobilanz ist, überwiegt dabei der Eindruck, einen Flächenbrand mit einem Teelöffel löschen zu wollen.“ (S. 25) Zur Debatte in der Linken um die „richtige Strategie … Partei oder Bewegung? Soziale Bündnisse oder Klassenstandpunkt? Zivilungehorsam oder Gewalt? Die Argumente … haben … sich in den letzten hundert Jahren kaum verändert. … Die Diskussion wäre nicht anders verlaufen, hätte es kein ökologisches Desaster gegeben. Das radikal Neue entschwindet hinter den Grundsatzdebatten, Flügelkämpfen und Spaltungen, die das linke Wesen seit jeher ausmachen.“ (S. 29) Zu den Bemühungen um „Konstruktivität“ oder „positivem Denken“: Obwohl unumstritten ist, dass die Ursache der Umweltzerstörung auf Fossilwirtschaft und industrielle Ausbeutung zurückführt, gilt der Hinweis als 'reduktionistisch', dies möge wohl an der Dynamik des Kapitals hängen. Reduziert sind offenbar vielmehr die Kenntnisse, die diese Autoren von gesellschaftskritischen Theorien haben.“ (S. 124). Auch namentlich werden durchaus prominente Kollegen gnadenlos kritisiert, Giorgio Agamben (S. 39), Dipesh Chakrabarty (S. 125), Bruno Latour (und mit ihm Teilhard de Chardin) (S. 128 und dann immer wieder) und Axel Honneth (S. 211) kriegen ihr Fett weg.

Nun sollte nicht umgekehrt der Eindruck aufkommen, Paoli sehe sich vor allem selbst im Besitz des richtigen Wissens. Er ist sich der Begrenztheit individuellen Denkens sehr bewusst und entwickelt seine eigenen Überlegungen deshalb immer wieder aus dem Rückgriff auf Denkerinnen und Denker  vor ihm. Es sind zu viele und manche im allgemeinen Diskurs weitgehend vergessene, um sie hier aufzuzählen, aber wichtig neben den erwartbaren und immer wieder genannten Karl Marx, Ivan Illich oder den Situationisten mit Guy Debord sind auch der Marquis de Sade (S. 142), Mary Shelly (S. 210) oder die Wertkritik mit Robert Kurz (S. 171).

Wer so bereit ist, sich selbst durch klare Zuspitzungen aller möglichen Kritik auszusetzen, wie Paoli es ist, wird sich gewiss mit seinem Urteil über politische Akteure auch nicht zurückhalten. Auch hierzu wieder drei Beispiele. Zur Militanz: „Wie man hört, machen sich vor den Küsten Afrikas enteignete Fischer immer häufiger zu gefürchteten Piraten. Ich wünsche ihnen Glück und keine unnötige Nachsicht.“ (S. 148) Zum Verfassungsschutz: „Wahrlich kann keine subversive Gruppe das Vertrauen in die freiheitlich-demokratische Ordnung effektiver sprengen als die Hüter der freiheitlich-demokratischen Ordnung.“ (S. 252) Zu effektiven Aktionsformen: „Aber überall da, wo Industrieanlagen das knappe Grundwasser in Beschlag nehmen, überall, wo Naturreservate von Betonierungsprojekten gefährdet sind, überall, wo kapitalistische Entropie wütet, ist aktive Negentropie in Form von Störungen und Blockaden erwünscht. Aus Liebe und Zorn.“ (S. 253)

Dem ist nichts weiter hinzuzufügen, außer dass es dabei nützlich sein kann, solche Bücher wie „Geist und Müll“ zu lesen.
 


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