Demokratie braucht Zivilgesellschaft Aufstieg der »Alternative für Deutschland«
Nicht nur die Klimakrise eskaliert in diesem Sommer, wie zahlreiche Extremwetterereignisse und neue beängstigende Studienergebnisse zeigen. Gleichzeitig eskaliert eine Krise des deutschen Parteiensystems, in dem die im Kern faschistische Alternative für Deutschland (AfD) anscheinend ungebremst einen Erfolg nach dem anderen erringt. Ende Juni wurde im südthüringischen Sonneberg zum ersten Mal in Deutschland ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt, kurz darauf erlangte erstmals in Deutschland im sachsen-anhaltinischen Raguhn-Jeßnitz ein AfDler ein Bürgermeisteramt. Und gleichzeitig erlebt die AfD ein ungekanntes Umfragehoch, das sich zu stabilisieren und in künftigen Wahlen auch auf Landesebene zu manifestieren droht.
Die Reaktionen auf diese Entwicklung ergingen sich nur kurz in breiterem Entsetzen, bis bald darauf zunächst das übliche Spiel gegenseitiger Schuldzuweisungen für den Aufstieg der AfD begann und Friedrich Merz für die Union schließlich den Dammbruch testete mit der Ankündigung, auf kommunaler Ebene die Zusammenarbeit mit der AfD nicht auszuschließen. Inzwischen wird von immer mehr Politiker*innen laut darüber nachgedacht, mit einer Partei zu kooperieren, die sich auch laut einem jüngeren Gutachten des Instituts für
Menschenrechte eigentlich für ein Verbotsverfahren qualifiziert. Die AfD erfüllt die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht im zweiten NPD-Verbotsverfahren für die Feststellung einer fehlenden Vereinbarkeit mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung festgelegt hat – und sie hat inzwischen deutlichen Einfluss, in Kommunen und in Parlamenten ebenso wie im öffentlichen Diskurs.
Die Ursachen für die hohen Zustimmungswerte zu der in weiten Teilen rechtsextremen Partei sind dabei vielfältig. Sie reichen von der Überlagerung unterschiedlicher sich zuspitzender Krisen über die in weiten Teilen fehlende Lösungs- und Kommunikationsfähigkeit der Ampelregierung bis zur ständigen Anbiederung vor allem konservativer und liberaler Kräfte an den rechten Rand, die letztlich das Original stärkt.
In dieser Gemengelage werden nicht nur die von Rassismus und anderen Formen der Menschenfeindlichkeit betroffenen Menschen kontinuierlich ignoriert; auch die offene und solidarische Zivilgesellschaft wird damit permanent geschwächt. Bis zuletzt hat die FDP das Demokratiefördergesetz blockiert; Anfang Juli hat die Bundesregierung einen Haushaltsentwurf mit »drastische[n] Kürzungen für soziale und zivilgesellschaftliche Organisationen beschlossen. Die Pläne zwingen« laut dem Paritätischen Gesamtverband »zu massiven Einschnitten bei sozialen Angeboten: von Freiwilligendiensten über die psychosoziale Versorgung Geflüchteter bis hin zur Unterstützung Arbeitsuchender.« Auch die dringend notwendige Reform der Abgabenordnung zur Ausweitung des Gemeinnützigkeitsbegriffs lässt weiterhin auf sich warten, und nicht nur Attac leidet unter der fehlenden Klärung. Vereine, die sich gegen Rassismus engagieren, Vereine, in denen sich diskriminierte Menschen organisieren, und alle Vereine, die sich für Demokratie und die Menschenrechte engagieren, darben so weiter dahin.
Wo die Bundesinnenministerin Nancy Faeser sich nach der Wahl des AfDlers Robert Sesselmann zum Sonneberger Landrat in sozialen Medien vor allem um den Wirtschaftsstandort sorgte, ist dagegen längst Sorge um die Demokratie angezeigt. Diese wird nicht allein von der sich weiter radikalisierenden AfD bedroht, sondern zunehmend auch von allen Parteien, die die Einhaltung der Schuldenbremse über dringend notwendige Investitionen zur Bekämpfung der multiplen Krisen sowie zur Stärkung der Zivilgesellschaft stellen.
Dabei kann die Antwort auf den Aufstieg der AfD nur aus der demokratischen Zivilgesellschaft selbst kommen – und diese erwacht nach lähmenden Jahren der Pandemie wieder: Bei den von Attac unterstützten Protesten gegen den Magdeburger AfD-Bundesparteitag Ende Juli gingen weit mehr Menschen gegen Faschismus auf die Straßen, als von den Organisator*innen im Vorfeld erwartet. Von zahlreichen lokalen Demonstrationsteilnehmer*innen war dabei am Rande der Kundgebung zu hören, wie sehr sie sich darauf freuten, am nächsten Tag einmal in den Zeitungen lesen zu können, dass auch in Ostdeutschland das Engagement für ein demokratisches und friedliches Miteinander groß ist.
Eine solche Berichterstattung blieb allerdings leider weitgehend aus. Wie die Politik entschieden sich auch zahlreiche Medienhäuser dafür, der AfD allen Raum zu geben und somit weiterhin wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange zu starren. Es ist kurz vor zwölf für die Demokratie in Deutschland und in Europa, wo sich profaschistische Parteien teils längst etabliert und teilweise Macht übernommen haben. Umso notwendiger ist es jetzt, die Proteste noch breiter und damit unüberhörbar zu machen!
Autorin: Judith Amler. Sie vertritt Attac Deutschland im Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«.