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Siegeszug der extremen Rechten in Argentinien Ursachenforschung

Foto: Santiago Sito
Foto: Santiago Sito

Der triumphale Wahlsieg des jetzigen anarchokapitalistischen Präsidenten Daniel Milei hat Menschen in Argentinien wie weltweit überrascht. Wie kam es zu diesem unerwarteten Sieg? Ein Teil der Antwort findet sich in den sozialen Medien. Dort präsentierte Milei sich als respektloser Kolumnist, der es verstand, die sozialen Netzwerke als moderne Kommunikationsform zu nutzen. Die Ergänzung klassischer Medien durch Netzwerke wie TikTok brachte ihn jungen Menschen näher, die von der Wirtschaftskrise in Argentinien besonders betroffen sind.

Diese Krise hat in Argentinien die wirtschaftliche und soziale Struktur des Landes tiefgreifend verändert und zu einer Zunahme von Armut, Marginalisierung und prekären Arbeitsverhältnissen geführt. Das traditionelle politische System blieb den Menschen Antworten auf die Krise schuldig; sie wandten sich deshalb denjenigen zu, die als »systemkritisch« auftraten und sich gegen »die da oben« wandten. Milei füllte diese Lücke.

Der Kern dieses Triumphs hat also mit der tiefen Krise des Kapitalismus zu tun, lokal und global, wirtschaftlich und politisch. In Argentinien kommt auch eine Krise der politischen Repräsentation dazu. Milei versucht sich an einer konservativen Restauration im Sinne der Putschisten, insbesondere der mörderischen Diktatur von 1976, was auch in den 1990er Jahren unter der Regierung Menem versucht wurde. Er vertritt damit das ausländische wie inländische Kapitalinteresse: ein extrem liberalisiertes Exportproduktionsmodell als Teil eines globalen Kapitalismus zu etablieren.

Milei kann als Verkörperung eines neuen Ansatzes der Rechten gelten und wird deshalb in der gesamten kapitalistischen Welt genau beobachtet. Deshalb muss die Linke, ausgehend von einer kritischen Analyse der veränderten Bedingungen im heutigen Kapitalismus, neue, international funktionierende Strategien diskutieren.

Milei stellt mit seinen Botschaften den gesellschaftlichen Konsens weiterhin infrage, bis hin zur Anpassung und regressiven Umstrukturierung der Wirtschaft, des Staates und der Gesellschaft in Argentinien. Es heißt, seine Rede beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos sei kein Erfolg gewesen, da sie die anwesenden Unternehmer*innen nicht zu zeitnahen Investitionen in Argentinien veranlasst hätte. Das ist ein Irrtum. Mileis Ziel war es, längerfristig Weichen für die Zukunft des Landes, der Region und der kapitalistischen Welt in der Krise zu stellen.

In Argentinien versucht er, die Geschäfte mit Wasserstoff, Lithium und Mega-Tagebau anzukurbeln und den Agrarexportkomplex zu stärken. Milei ist also nicht einfach »ein Verrückter«; vielmehr ist sein ultraliberales Projekt Sinnbild konzentrierter Macht. Als Fahnenträger der Staatskritik zelebriert er Anarcho-Kapitalismus: Alles für den freien Handel, den freien Markt und den Wettbewerb – ohne staatliche Regulierung. 

Man kann und sollte die Widersprüchlichkeit des Denkens von Milei und der österreichischen neoliberalen Schule kritisieren, aber man sollte die Macht seiner propagandistischen Predigten, die ihn an die Spitze der Regierung gebracht haben, nicht unterschätzen. Jetzt möchte er weit über Argentinien hinaus predigen.

Die Politik der Exekutive in Argentinien ist klar, und sie setzt die anderen Regierungszweige unter Druck. Unter diesen Vorzeichen wurde wenige Tage nach Mileis Amtsantritt das »Dekret der Notwendigkeit und Dringlichkeit« (DNU) verabschiedet, das paradoxerweise »Grundlagen für den Wiederaufbau der argentinischen Wirtschaft« heißt. Auch der aktuell diskutierte Gesetzentwurf »Grundlagen und Ausgangspunkte für die Freiheit der Argentinier«, im Volksmund als »Omnibusgesetz« bekannt, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Es ist zwar Mileis Werk, allerdings unter dem Einfluss der am stärksten konzentrierten Wirtschaftsgruppen und dem IWF entstanden. Noch wird das Gesetz parlamentarisch diskutiert, aber die Regierung kann jederzeit die Trumpfkarte der »außerordentlichen Befugnisse« zücken, die ihr der Kongress einräumen kann, um per Dekret das Parlament auszuhebeln. Das Ende ist noch offen. 

Unsere Antwort liegt in der Organisierung sozialer Bewegung. Der Streik vom 24. Januar (24E) war wichtig, um zu klären, wer siegt – die Strategie der Anpassung oder der Widerstand und die Suche nach Alternativen, um soziale Bedürfnisse zu befriedigen. Sowohl die DNU als auch der Entwurf des Omnibus-Gesetzes werden schwerwiegende Auswirkungen auf das Leben und die volle Gültigkeit der Menschenrechte in Argentinien haben, da sie zahlreiche Normen ändern und aufheben, die die Grundrechte schützen. Deshalb ist eine internationale solidarische Unterstützung mit dem Kampf der sozialen Bewegung Argentiniens dringend notwendig. Argentinien ist keine Ware!

Dr. Julio Gambina ist Vorsitzender der Stiftung für Sozial- und Politikforschung und engagiert
sich wie Lic. María Elena Saludas bei Transparency International. María ist außerdem im Komitee zur Streichung illegitimer Schulden aktiv. Wir danken den beiden Aktivist*innen von Attac Argentinien für diesen Beitrag!