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Zehn Jahre ohne Gemeinnützigkeit: Attac kämpft weiter Demokratische Zivilgesellschaft in Gefahr

Die Nachricht sandte Schockwellen durch die Zivilgesellschaft: Das Frankfurter Finanzamt hatte Attac Deutschland die Gemeinnützigkeit aberkannt. Das Netzwerk agiere zu politisch, begründete die Behörde ihren Bescheid vom 14. April 2014. Der Einsatz für regulierte Finanzmärkte, eine Finanztransaktionssteuer – immerhin die Gründungsforderung von Attac – oder eine Vermögensabgabe sei nicht gemeinnützig, hieß es in dem Schreiben. Damit war klar: Geht das durch, ist ein Präzedenzfall geschaffen, der nahezu alle gemeinnützigen Organisationen bedroht, die sich demokratisch einmischen.

Zehn Jahre ist das her. Noch immer kämpft Attac darum, die Gemeinnützigkeit zurückzubekommen – juristisch und politisch. 

Finanzielle Folgen nach einem Jahrzehnt massiv

»Der Entzug der Gemeinnützigkeit behindert unser Engagement für eine global gerechte Ökonomie enorm. Die Folgen spüren wir inzwischen auch wirtschaftlich massiv. Attac steht finanziell unter Druck«, sagt Judith Amler vom Attac-Koordinierungskreis. Wer an einen nicht gemeinnützigen Verein spendet, darf seine Spende nicht von der Steuer absetzen. In Zeiten, in denen viele Menschen ihr Geld zusammenhalten müssen, kann sie das davon abhalten, Attac nicht nur ideell, sondern auch finanziell zu unterstützen. Das gilt insbesondere für höhere Spenden. Auch Projektmittel sind seither für Attac schwieriger zu erhalten: Stiftungen dürfen oft nur gemeinnützige Organisationen fördern.

Maulkorb für demokratische Zivilgesellschaft

»Das ist aber nicht alles«, betont Judith Amler. »Das ›Attac-Urteil‹ wirkt wie ein Maulkorb für die demokratische Zivilgesellschaft. Gemeinnützige Vereine müssen sich seither immer fragen, ob und wie sie sich engagieren dürfen und halten sich im Zweifel lieber zurück. In Zeiten, in denen die Zustimmung zur Demokratie sinkt und der Rechtsextremismus erstarkt, ist das eine verheerende Entwicklung. Auch deswegen kämpfen wir weiter um unsere Gemeinnützigkeit.«

Der 2023 erschienene Report »ZiviZ Survey« belegt diese Selbstzensur: Fünf Prozent der befragten Organisationen gaben an, sich aus Sorge um ihren Gemeinnützigkeitsstatus nicht intensiver politisch zu engagieren. Mit anderen Worten: 30.000 Vereine in Deutschland mischen sich nicht für Demokratie ein, obwohl sie es wollen.

Unmittelbar nachdem der Bundesfinanzhof 2019 die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac bestätigt hatte, entzogen zudem Finanzämter weiteren Vereinen die Gemeinnützigkeit – darunter Campact und das Demokratische Zentrum in Ludwigsburg, das sich gegen Rechtsextremismus einsetzt.

Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts? Fehlanzeige

Und was macht »die Politik«? Wenig. Zwar hat die Ampel versprochen, das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren und mehr Rechtssicherheit für engagierte Vereine zu schaffen. Passiert ist bisher nichts. Immerhin hat es »Klimaschutz« zusammen mit »Ortsverschönerung« vor ein paar Jahren als gemeinnütziger Zweck in die Abgabenordnung geschafft, die die Gemeinnützigkeit regelt. Aber bei »Demokratie«, »Menschenrechten« oder »sozialer Gerechtigkeit« klafft nach wie vor eine Lücke. »Viele Vereine scheitern genau daran, dass diese Zwecke im Gemeinnützigkeitsrecht nicht festgeschrieben sind«, kritisiert Stefan Diefenbach-Trommer von der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung«. Die von Attac mitgegründete Allianz setzt sich seit 2015 für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht ein.

Bundesfinanzministerium mischte mit – gegen Attac

Während bei der Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts also wenig vorangeht, mischte die Politik im »Fall Attac« ordentlich mit. Zwei Jahre nach dem Bescheid des Finanzamtes zeigte sich, woher der Wind wehte: 2016 schaltete sich Berlin ganz offen in das Verfahren ein. Der Grund: Attac hatte in erster Instanz vor Gericht gewonnen. Das Finanzamt wollte die Sache damit auf sich beruhen lassen. Doch das Bundesfinanzministerium – damals noch unter Wolfgang Schäuble – wies das Amt in Frankfurt an, in Revision zu gehen. Das Schäuble-Ministerium wurde zudem offiziell Verfahrenspartei und damit Prozessgegner von Attac. Das Ergebnis der Einmischung aus Berlin: 2019 sprach das oberste deutsche Finanzgericht, der Bundesfinanzhof, Attac in einem viel kritisierten Urteil die Gemeinnützigkeit ab. 
Vor drei Jahren hat Attac Verfassungsbeschwerde eingelegt. Wann der Fall in Karlsruhe verhandelt wird, ist weiterhin offen. Umso wichtiger, dass sich in Sachen Gemeinnützigkeitsrecht etwas bewegt!

Frauke Distelrath ist Geschäftsführerin von Attac Deutschland.