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Überlegungen zur Zukunft der Arbeit
Auszüge aus einem Artikel von Werner Rätz.
Die Langfassung ist zu finden auf der Website der AG "Genug für alle" unter dem Stichwort „Überlegungen zur Zukunft der Arbeit“:
http://www.grundeinkommen-attac.de/arbeitsthemen/arbeitsgesellschaft/
Inhalt:
I. Arbeit ist ein historisch gewachsenes Zwangsverhältnis
I. Arbeit ist ein historisch gewachsenes Zwangsverhältnis
In unserem Alltagssprachgebrauch benutzen wir mindestens vier verschiedene Begriffe von „Arbeit“. Zunächst einmal sprechen wir von Arbeit im Sinne von etwas tun. „Ich habe heute noch reichlich Arbeit vor mir“ ist ein im Konkreten höchst uneindeutiger Satz. Der Wiener Sozialphilosoph Manfred Füllsack beschreibt „die menschliche Arbeit ganz allgemein als den Versuch, Probleme zu lösen“ (Füllsack 2002, S.15). Das ist keine genaue Definition, es dient einfach nur dem Zweck, alles das zu erfassen, was Menschen irgendwie so tun und für sinnvoll, nützlich, unumgänglich halten.
Ein zur gesellschaftlichen Kommunikation tauglicher Arbeitsbegriff müsste Tätigkeiten bezeichnen, die nach allgemeiner Übereinkunft als sinnvoll und nützlich gelten. Ein solcher Begriff bildet sich kaum spontan, sondern ist eher Ergebnis bewussten Nachdenkens. Er hat viele Quellen und unterschiedliche Schattierungen, in denen aber immer ein Gemeinsames mitschwingt: Arbeit in diesem Sinne gilt als unwandelbar, durch alle Zeiten dem Menschen zugehörig, als anthropologische Konstante. Menschen haben zu allen Zeiten sich mit der Natur auseinandergesetzt, haben getan, was zur Befriedigung ihrer unmittelbaren und sehr bald auch ihrer kulturellen Bedürfnisse notwendig und möglich war. Diesen Arbeitsbegriff finden wir etwa bei zahlreichen Gewerkschaftern, die die Notwendigkeit von „Arbeit“ gegen die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens verteidigen wollen (so z.B. Schlecht in Labournet). In diesem Sinne umfasst Arbeit also all die Tätigkeiten, die zur Entstehung von Gesellschaft beitragen. Manchmal wird der Begriff auch ein wenig eingeschränkter nur für das verwandt, was zur Produktion des gesellschaftlichen Reichtums getan werden muss.
In unserer Gesellschaft hat sich für notwendige und nützliche Arbeit ein Kriterium herausgebildet, das in der Alltagssprache allgegenwärtig ist: Arbeit – und damit nützlich und gesellschaftlich anerkannt – sind all die Tätigkeiten, die bezahlt werden. Spricht jemand das aus, erntet man sofort Widerspruch: Niemand würde direkt behaupten, die Tätigkeit einer Mutter oder einer nicht berufstätigen Frau, die kranke Angehörige pflegt, sei nicht nützlich und sinnvoll. Und doch würde sich niemand wundern, wenn diese Frauen auf die Frage: „Was bist du?“ mit: „Ich bin nichts, ich bin nur Hausfrau“ antworten würden. „Arbeit“ und Erwerbsarbeit sind in unserem Verständnis eine enge Verbindung eingegangen.
Und doch wird genau daran sichtbar, dass nützliche und sinnvolle Tätigkeit nicht in bezahlter Arbeit aufgeht. Vieles Nützliche wird nicht bezahlt, vieles wird bezahlt, das in keiner Weise notwendig, oft nicht einmal nützlich ist. Man denke nur an die unendliche Kreativität, die in der Werbung vergeudet wird – auch und gerade für überflüssige und schädliche Produkte wie Zigaretten oder Hamburger. Auch die Sinnhaftigkeit der Produktion von Atomkraftwerken, die eines Tages garantiert in die Luft gehen und viel mehr Schaden anrichten, als sie vorher jemals Nützliches leisten könnten, kann hinterfragt werden, ebenso wie andere Destruktivtechnologien wie Gentechnik oder Rüstungsproduktion. Trotzdem gelten sie als Arbeit und werden bezahlt, während für den politischen Aktivismus dagegen, für das Verteilen von Flugblättern und die Organisierung von Demonstrationen kein Einkommen erzielt wird. Warum ist das so? Darauf wird zurückzukommen sein, hier muss zuerst noch ein vierter Begriff von Arbeit erläutert werden: Arbeit sind all die Tätigkeiten, in deren Verrichtung regelmäßig ein größerer Wert entsteht, als die Arbeitskraft zu ihrer Erhaltung verbraucht. Arbeit in diesem Sinne ist also Wert- oder genauer Mehrwertproduktion (MEW23).
Spontan und unreflektiert meint Arbeit meist Erwerbsarbeit. Dafür gibt es gute Gründe. (Zum Folgenden Exner; Rätz; Zenker, S. 10ff) Erwerbsarbeit ist nicht nur der Ort, wo diejenigen, die darüber verfügen, sich während eines großen Teils ihres Lebens aufhalten. Es ist der Ort, wo sie das Geld verdienen, das sie für die Teilhabe an fast allen anderen Lebensbereichen brauchen, und an dem sie die meisten Freunde und Bekannten finden. Für sehr viele Menschen entscheidet sich hier auch ihre Stellung in der Gesellschaft; ob sie Sekretärin, Grundstücksmakler oder Pilot sind, prägt Erwartungen an sie und Rollenzuschreibungen ebenso wie Selbstbilder und Selbstwertgefühl. Gelingt die Berufswahl, finden wir Beschäftigung in unserem Wunschberuf, dann zeigen wir dort auch etwas von dem, was wir wirklich können und wirklich tun mögen. Selbst wenn die konkrete Tätigkeit uns nicht gefällt, ist Erwerbsarbeit ein wesentlicher Teil unseres Lebens und unserer Lebenszeit. Das prägt – manche so sehr, dass sie sich völlig mit Betrieb und Tätigkeit identifizieren, selbst wenn sie Rüstungsarbeiter oder Pressesprecherin eines Gentechnikkonzerns sind.
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Beide, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, stehen unter einem äußeren Druck, der rein formal wirkt, jenseits jeglicher konkreter Beschaffenheit der Tätigkeit oder des Produkts. Der eine muss tun, was verlangt wird, weil er nur so ein Einkommen erhält, und der andere muss produzieren lassen, was verkaufbar erscheint, weil nur so ein Gewinn und damit Einkommen und reinvestierbares Kapital entsteht. In diesem Sinne ist kapitalistische Produktion reiner Selbstzweck (Lohoff, S.289).Arbeit in diesem, wertschaffenden Sinn ist frei von jeder Konkretheit. Sie ist nicht bedeutsam als Betongießen oder Medikamente Erfinden , sondern nur weil und insoweit sie Wertschafft. Und sie ist ein Verhältnis des gesellschaftlichen Zwangs ist. Die Arbeitenden tun ihre Tätigkeit nicht, weil sie genau das wollen, weil sie die Produkte brauchen, weil sie von der Sinnhaftigkeit ihres Tuns überzeugt sind, sondern ausschließlich, weil sie ein Einkommen benötigen, um in einer Warengesellschaft überleben zu können. Sie müssen ihre Arbeitskraft verkaufen, ob sie wollen oder nicht, und sie verlieren jede eigene Kontrolle über ihre konkrete Tätigkeit, sobald sie diesen Verkauf getätigt haben. Verweigern sie ihn, fallen sie ganz aus der Gesellschaft heraus. Der Verkauf der Arbeitskraft bestimmt ja nicht nur darüber, ob man einen Arbeitsplatz und damit Kolleginnen und Kollegen und die damit verbundenen Kontakte hat. Daran hängt auch das Geldeinkommen, das notwendig ist, um alle anderen Dinge zu kaufen, die wir benötigen. Die Möglichkeiten des Überlebens außerhalb der Warenkäufe und -verkäufe sind äußerst gering. Gesellschaft ist heute eine der Waren- und Geldbesitzer.
Gegen dieses Zwangsverhältnis hat es immer Protest und Widerstand gegeben (zum Folgenden Rätz; Paternoga; Steinbach). Zwar geht es bei der Arbeit der Beschäftigten überhaupt gar nicht darum, was sie konkret tun, sondern nur um die Verkaufbarkeit des Produkts. Dennoch ist ihre Tätigkeit für sie die Form, in der sie sich produktiv mit der Welt um sich herum auseinandersetzen. Deshalb wollen sie diesen Prozess auch so gestaltet sehen, dass sie sich darin wohlfühlen können. Damit stellen sie weder die kapitalistischen Produktionsverhältnisse in Frage noch die Warengesellschaft. Es geht um betriebliche Mitbestimmung, um Gestaltung der Arbeitsabläufe und Arbeitsplätze, etc. Vor allem (Betriebs)Gewerkschaften haben diese Fragen schon sehr früh aufgenommen. Man könnte dieses Bestreben »Befreiung in der Arbeit« nennen: Ich will eine sinnvolle Tätigkeit haben!
Der Widerspruch bleibt: Unter dem Kommando des Kapitals wird die Arbeit am möglichen und notwendigen Profit ausgerichtet und nicht daran, wie sinnvoll sie jemand finden könnte. Deshalb wollen die Arbeitenden selbst bestimmen, wie der Arbeitsprozess aussehen soll. Ihnen geht es um die Frage der Kontrolle: Wer hat zu sagen und in wessen Interesse wird gearbeitet? Wem gehören die Produktionsstätten? Das waren die klassischen Anliegen der politischen Arbeiterbewegung und ihrer Parteien, unabhängig davon, ob sie sich den Übergang schneller (so die Kommunisten) oder langsamer (so die Sozialdemokraten) vorstellten. Das Ganze könnte »Befreiung der Arbeit« heißen: Ich will in meiner Tätigkeit nicht fremdbestimmt werden!
Mein Vorschlag ist, über eine dritte Ebene nachzudenken. Ich habe versucht zu zeigen, wie unter den gegenwärtigen Bedingungen das Zwangsverhältnis Erwerbsarbeit die Voraussetzung zur gesellschaftlichen Teilhabe darstellt. Das betrifft zuerst und vor allem das Einkommen, das ohne Erwerbsarbeit (eigene oder fremde, vom Ehemann, Vater geleistete) nicht ins Haus kommt, aber auch viele andere Bereiche. Gesellschaft entstehet heute weitgehend überhaupt erst, wenn und indem Lohnarbeit stattfindet. Warum sollte zukünftig sie nicht aus freier Übereinkunft der Beteiligten hergestellt werden können? Eine solche Übereinkunft würde selbstverständlich die Notwendigkeit nicht beseitigen, dass der gesellschaftliche Reichtum immer wieder neu hergestellt wird und die dazu erforderlichen Tätigkeiten verrichtet werden. Aber zuerst bekäme jeder Mensch das notwendige Einkommen und Arbeit wäre nicht mehr Voraussetzung zur Teilhabe. Hier ginge es um eine »Befreiung von der Arbeit«: Ich will in Freiheit tätig sein!
Das hätte erhebliche Konsequenzen. Bisher muss jeder Arbeitsplatz verteidigt werden, sei das, was dort geschieht, noch so gefährlich, unsinnig, schädlich. Schließlich benötigen die Beschäftigten das Einkommen. Ich habe den Aspekt der Destruktivtechnologien Atomkraft, Gentechnik, Rüstungsproduktion schon angesprochen. Auch Tätigkeiten, deren ganzer Sinn darin besteht, Leuten zu erzählen, dass sie etwas kaufen sollen, was sie gar nicht brauchen, wie Werbung oder Marktforschung ausschließlich zum Zweck der Erfindung neuer „Bedürfnisse“, können von denen kaum in Frage gestellt werden, deren Existenzen daran hängen. Da jeder kapitalistische Produzent erst mal nur für sich denken und rechnen kann und muss, kann er gar nicht anders, als für einen möglichst großen Markterfolg zu planen. Das schafft aufs Ganze gesehen Überkapazitäten in teilweise unvorstellbarem Ausmaß. Von nicht wenigen Produkten ließe sich leicht das Doppelte des tatsächlichen Bedarfs herstellen. Nebenbei: das bedeutet keineswegs, dass alle Bedürftigen auch das Notwendige bekommen, wie man leicht an der Tatsache sehen kann, dass für etwa 12 Milliarden Menschen Nahrungsmittel produziert werden, dennoch aber über 800 Millionen Menschen hungern. Dies alles geschieht nicht wegen der Schlechtigkeit der Welt, sondern weil unter gegenwärtigen Bedingungen nur so Arbeitseinkommen und Investitionskapital entstehen können.
II. Menschenwürde wird ohne soziale Sicherheit verletzt
Eine Gesellschaft, die Erwerbsarbeit und Einkommen trennte, wäre frei, darüber nachzudenken, was sie produzieren und wie sie das tun will. Sie müsste vielleicht in die Eigentumsverhältnisse eingreifen, aber sie könnte stattdessen die Lebensverhältnisse sichern. Die Frage nach dem Notwendigen könnte dann wieder als konkrete gestellt werden, als die danach, was die Not wendet (Dieckmann). Das steht quer zu den Vorstellungen der traditionellen Arbeiterbewegung, die darauf hoffte, dass die Selbstbestimmung der Arbeit zu einer neuen Gesellschaft führen würde. Aber wie sollen diejenigen, die existenziell auf die Arbeitsplätze angewiesen sind, die Berechtigung der dort erfolgenden Produktion anzweifeln? Im Gegenteil, es liegt viel näher, dass sich die Produktionsbedingungen im Bewusstsein und Verhalten der Produzentinnen reproduzieren. Der Arbeiter, der sich selbst nach den Bedürfnissen der Arbeit bearbeitet, der sich selbst produziert, ist Gegenstand mancher postmodernen Debatte (etwa Gorz).
Also käme es darauf an, das Tätigsein auf die konkreten Bedürfnisse der Menschen und nicht die abstrakten Notwendigkeiten der Kapitalverwertung auszurichten. Dazu wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen, wofür unsere AG Genug für alle bei attac ja eintritt, eine Möglichkeit. Es würde sich dabei um die Zahlung eines Geldbetrages in existenzsichernder Höhe an jedes Individuum ohne Bedürftigkeitsprüfung und Arbeitsverpflichtung handeln. Ein solches Grundeinkommen wäre aber selbst nur ein Mittel und nicht das Ziel. Ein Grundeinkommen wäre ja auch nur ein Geldbetrag, mit dem man auf den Märkten etwas kaufen kann. Das ist als solches noch kein Schritt heraus aus der Waren- und Arbeitsgesellschaft und manche Autoren sehen es deshalb auch entsprechend zurückhaltend (so Trenkle). Aber die unbedingte Sicherung der Existenz würde erst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen ohne Angst über ihre wirklichen Bedürfnisse nachdenken könnten. Erst wer sich nicht mehr um jeden Preis verkaufen muss, kann die Krise als Chance für einen schöpferischen Sprung zu etwas Neuem begreifen (Paternoga S. 41f). Erst wenn die Möglichkeit seiner Verwirklichung greifbar ist, können die meisten den Gedanken annehmen, dass alle Menschen das Recht auf ein gutes Leben haben.
Die Steigerung der Arbeitsproduktivität hat in den letzten beiden Jahrzehnten mit der mikroelektronischen Revolution eine neue Dimension erreicht. Sie vollzieht sich inzwischen rascher als die Aufnahmefähigkeit der Märkte wächst. Das heißt, selbst wenn wir alles herstellen, was Menschen heute brauchen und kaufen wollen und können, dann benötigen wir dafür immer weniger Arbeitszeit. Da entstehen Spielräume für umweltschonendere Verfahren, für menschlichere Arbeitsbedingungen und -zeiten, für nicht dem Markt angepasste Verhaltensweisen wie Entschleunigung und Solidarität.
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt die besondere Bedeutung der Kindererziehung und generell der Reproduktions- und Familienarbeit herausgestellt. Ohne gesellschaftspolitisches Engagement, oft als „Ehrenamt“ verniedlicht, ohne die nicht in formale Arbeitsbeziehungen gegossene neugierige Erforschung und kreative Gestaltung der eigenen Lebenswelt würde vielerlei Erwerbsarbeit gar nicht fruchtbar werden können. Würden Menschen sich nicht selbst und gegenseitig bilden und erziehen, wäre die gesamte Gesellschaft in mancherlei Beziehung funktionsunfähig. Künstlerische und sportliche Betätigung, ohne Zweifel wichtige Beiträge zur Gewährleistung von Gesellschaftlichkeit, werden in der Regel unentgeltlich vollbracht. Menschen, die solchen und anderen Tätigkeiten nachgehen, tun nicht nichts, sondern leisten – konkret höchst unterschiedliche – Beiträge zur Entstehung von Gesellschaft. Auf keinen dieser Beiträge kann verzichtet werden, ihre Diskriminierung gegeneinander darf nicht akzeptiert werden.
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In der realen Debatte vertreten vor allem gewerkschaftliche Linke eine solche Position der Vollbeschäftigung durch Aufteilung der vorhandenen Erwerbsarbeit und durch Schaffung von bezahlten Stellen in Bereichen, die bisher nicht über den Arbeitsmarkt organisiert sind (etwa Gerntke S. 66f).
III. Teilhabe muss global gedacht und verwirklicht werden
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Im Großen und Ganzen wird Vollbeschäftigung für möglich und notwendig gehalten (Kreutz). Dabei ist weitgehend unbestritten, dass das immense Wachstum der Produktivität weiterhin zu massiven Zeitersparnissen bei der Herstellung des gesellschaftlichen Reichtums führen wird. Die Rationalisierungs potentiale sind so hoch, dass sie alleine mit kürzerer Arbeitszeit nicht zu bewältigen sein werden, trotzdem werden sie z. B. von Gewerkschaftern immer wieder vorgeschlagen. Dazu wird zum einen darauf verwiesen, dass viele gesellschaftlich nützliche und notwendige Tätigkeiten heute unerledigt bleiben, weil sie am Arbeitsmarkt nicht gewinnbringend organisiert werden können. Das ist unzweifelhaft richtig. Will der Staat ihre Bezahlung sicherstellen, so muss er eine entsprechende Umverteilung von Gewinnen und Einkommen bewerkstelligen. Nur ist nicht einsehbar, warum das nur über bezahlte Erwerbsarbeit möglich sein soll und nicht auch darüber, dass allen Menschen ein Grundeinkommen, das Teilhabe sichert, bedingungslos gezahlt würde und ansonsten auf Initiative und Solidarität der Einzelnen in der Gesellschaft gesetzt würde. Warum sollten zwischenmenschliche Beziehungen besser funktionieren oder zuverlässiger sein, wenn sie über bezahlte Arbeit hergestellt werden als wenn sie aus eigener Einsicht in die Notwendigkeit oder aus Freude am Tun und Helfen entstehen? Ich spreche mich nicht grundsätzlich gegen Bezahlung aus. Sie wird sicher für lange Zeit noch nötig sein, um bestimmte Angebote gesellschaftlich dauerhaft absichern zu können. Als alleiniger Weg aber, als Strategie zur Herstellung von Gesellschaft ist sie der Freiwilligkeit unterlegen.
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Dabei sagt die ILO selbst, dass „Beschäftigung“ und “Nichtbeschäftigung” über die Lebenssituation der Leute nicht viel aussagen: “In developing countries most people simply cannot afford to be unemployed.” (ILO unnummerierte S. 1) Tatsächlich lebt knapp die Hälfte der “Beschäftigten” weltweit unterhalb der UN-Armutsgrenze von zwei US-Dollar täglich.
Mit diesen etwa drei Milliarden Menschen haben wir es hier zu tun. Was könnte für die Vollbeschäftigung heißen? Sie stellen ihre Gebrauchsgüter im Wesentlichen selbst her, leben von Subsistenzlandwirtschaft oder ähnlichem. In solchen Gesellschaften haben die Leute immer etwas zu tun, d. h. sie arbeiten so lange, wie sie können und müssen, damit genügend Güter zur Verfügung stehen. „Vollbeschäftigung“ im Sinne unserer oben geführten Diskussion kann im Unterschied dazu nur heißen, dass alle diejenigen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben müssen, das auch erfolgreich bewerkstelligen können. Wie die Verrenkungen der ILO zeigen, ist der Begriff überhaupt nur sinnvoll anzuwenden, wenn wir von kapitalistischen Arbeitsmärkten reden. Und die Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen darauf bald angewiesen sein werden, ist hoch. Nach Schätzungen könnte die Produktmasse, die sie herstellen, von etwa 50 Millionen Beschäftigten in moderner Landwirtschaft produziert werden (Roth S. 35).
Für 70 Prozent derjenigen von ihnen, die als erwerbsfähig gelten, also ganz grob gerechnet deutlich über eine Milliarde Menschen, müssten folglich Arbeitsplätze in der formalen Ökonomie geschaffen werden. Unbedingte Voraussetzung dafür wäre, dass das Produkt, das sie herstellen könnten, sich verkaufen lässt, also auf kaufkräftige Nachfrage stößt. Das ist offensichtlich völlig ausgeschlossen, existiert doch schon jetzt weltweit ein massives Überangebot an Gütern, dem keinerlei Kaufkraft entspricht. Wer sollte also heute in immensem Umfang neue produktive Arbeitsplätze anbieten, wenn klar ist, dass die Waren und Dienstleistungen sich nicht absetzen lassen?
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Im Rahmen des Basic Income Earth Network (BIEN) wird diese Debatte inzwischen weltweit geführt. Sie wird von niemandem als Alternative zwischen Arbeit und Grundeinkommen begriffen. Arbeit im Sinne menschlicher Tätigkeit, der aktiven und kreativen Auseinandersetzung mit der Welt um uns herum, ist unverzichtbar. „Kein Mensch kann ‚nix’ tun“ (Klimenta Folie 14). Es geht darum, auf welches Motiv für das Tun wir zukünftig setzen wollen. Und das hat dann wieder sehr eng mit dem Menschenbild zu tun, das wir haben. Ist es so, dass wir fürchten, Menschen würden sich um alle Aufgaben drücken, wenn sie nicht mehr unter Zwang stehen, oder sind nicht vielmehr reale Handlungsalternativen die Voraussetzung für jegliche Freiheit – und damit auch für die „Freiheit Bindungen einzugehen und soziale Verantwortung zu übernehmen“? (Büchele; Wohlgenannt Teil I,1.2)