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Regierung droht mit „Vollbeschäftigung“
Aktuell werden offiziell etwa 3 Mio. Arbeitslose ausgewiesen und am Horizont sieht Frau Merkel schon die Vollbeschäftigung leuchten – allerdings mit geringfügiger Beschäftigung, Teilzeit, Leiharbeit und 1-€-Jobs… Doch in Deutschland hat man auch davor Angst, denn es könnte schließlich ein Fachkräftemangel drohen. Tatsächlich droht Armut trotz Arbeit! Aber:
Wir werden schon seit Jahren darauf konditioniert, aus zukünftigen Entwicklungen Ängste abzuleiten, um uns nicht mit den Problemen der Gegenwart zu beschäftigen.
Beispiel Demografie: Wir wissen heute über die Bevölkerungszahl von 2050 soviel wie die Menschen vor 100 Jahren über die Bevölkerungszahl von 1950: nichts!
Hätten die Menschen in Deutschland 1910 schon gewusst, was sie in den nächsten 40 Jahren erwartet, hätten es die zwei Weltkriege vielleicht nicht gegeben. Die Angst davor wäre jedenfalls weitaus berechtigter gewesen als die Angst vor einer schrumpfenden Bevölkerung heute.
Dabei könnten wir aus der Vergangenheit Mut schöpfen, wenn wir uns mit ihr genauer befassen würden.
Beispiel: Die enormen Wachstumsraten von 1960 bis 1973 führten im krassen Gegensatz zum „Allgemeinwissen“ nicht zu mehr sondern zu weniger Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung, Urlaubsverlängerung, Schulzeitverlängerung und früheren Renteneintritt. In keiner vergleichbaren Phase danach sank das Volumen der Erwerbsarbeit so stark wie in dieser Phase (um 5,58 Mrd. Stunden), was einem rechnerischen Verlust von 2,99 Mio. Arbeitsplätzen [1] entsprach. Trotzdem hatten wir damals Vollbeschäftigung. Diese ist allerdings nur deshalb entstanden, weil durch die Einführung der 40 Stunden- und 5-Tagewoche ein zusätzlicher Arbeitskräftebedarf von 4,27 Mio. Personen [1] aufgebaut wurde, so dass in der Differenz die Zahl der Erwerbstätigen von 1960 bis 1973 real um 1,11 Mio. Personen anstieg.
Wir brauchen also als ökonomische Voraussetzung für Vollbeschäftigung gar nicht mehr Arbeit - wir müssen sie nur gleichmäßiger und gerechter verteilen!
Genau da liegt aber das Problem. Der Interessengegensatz zwischen den Unternehmern und Beschäftigten wird oft überlagert von der Konkurrenz der Beschäftigten (und Arbeitslosen) untereinander. Um die halbwegs gut bezahlten Vollzeitstellen bewirbt sich am Arbeitsmarkt nur noch jeder zweite Bewerber erfolgreich. Eine Arbeitsumverteilung führt dabei in den Konflikt von Geben und Nehmen. Das ist kein zufällig entstandener Konflikt, sondern von den Unternehmern und ihren Politikern geschickt herbeigeführt.
Warum ist die „Angst“ vor Vollbeschäftigung berechtigt?
Zunächst einmal: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist heute mit rund 27 Millionen so groß wie vor 50 Jahren in der alten Bundesrepublik bei echter Vollbeschäftigung. Der große Unterschied zwischen 1960 und 2010 ist die Zahl der Teilzeitbeschäftigten und Arbeitslosen, denn diese ist von 1 Mio. auf 17 Mio. gewachsen. Davon sind heute mindestens 7 Mio. unfreiwillig teilzeitbeschäftigt oder arbeitslos. Neu ist seit einigen Jahren die Zunahme von Unterbeschäftigung in Form von Arbeitszeit und Arbeitseinkommen, in denen Arbeitslosigkeit geschickt aufgefangen und versteckt wird. Wenn demnächst weitere 2 Mio. Arbeitslose als unterbeschäftigte Erwerbstätige ausgewiesen werden sollten, dann ist die „statistische Vollbeschäftigung“ erreicht, obwohl im Vergleich zu 1960 die Verdoppelung der Haushaltszahl keine Entsprechung in der Entwicklung der Vollzeitbeschäftigung gefunden hat.
Viele Menschen arbeiten inzwischen ohne haushaltssichernde Einkommen, so dass sie trotz Arbeit auf Unterstützung angewiesen sind, um sich eine eigene Wohnung leisten zu können.
Gibt es eine einfache Problemlösung?
Statistisch ja – politisch nein!
Die abhängig Beschäftigten in Deutschland arbeiten schon seit 2005 Jahr für Jahr im Durchschnitt 30 Stunden in der Woche – allerdings sehr ungleich verteilt. Eine relative Gleichverteilung von Erwerbsarbeit wie vor 50 Jahren könnte das Problem lösen, wird aber von der Mehrheit der Gesellschaft nicht gewollt, denn nur ein Drittel der Beschäftigten und die Unterbeschäftigten würde direkt davon profitieren.
Solidarisches Teilen von Arbeit bedeutet für viele Menschen die Angst vor dem Verlust von Einkommen, Ansehen oder Macht – für einige Menschen alles gleichzeitig. Da ist es nur natürlich, dass sie es meiden.
Allerdings erweist sich für viele von ihnen die kurzfristige Beschäftigungssicherung als langfristiger Irrtum: Die eigenen Kinder nehmen die gesellschaftlichen Signale frühzeitig war und scheitern immer häufiger am Leistungsdruck. Später gibt es statt einer Vollzeitstelle zunächst viele Praktika, bevor man vielleicht 20 Jahre lang halbwegs gut verdient. Danach droht die Altersdiskriminierung am Arbeitsmarkt und mit Hartz-IV der Verlust der Ersparnisse.
Langfristige Beschäftigungssicherung funktioniert nur über Arbeitsumverteilung auf der gesellschaftlichen Ebene!
Das einzige Argument zur Solidarisierung aller Beschäftigten und Arbeitslosen wäre die langfristige Beschäftigungssicherung. Diese ist von wenigen Ausnahmen abgesehen eben nicht abhängig von lebenslanger Qualifizierung und loyalem Arbeitnehmerverhalten, sondern von der Verknappung der Ware Arbeitskraft. Jede Ware gewinnt am Markt an Wert, wenn sie knapp wird – Arbeit auch! Die Unternehmer wissen das und verlängern lieber die Arbeitszeit und erhöhen die Arbeitsintensität, wodurch der Druck auf Löhne und Arbeitsplätze erhöht wird. Deshalb wird es auch in Zukunft in Deutschland keinen Fachkräftemangel geben.
Langfristige Beschäftigungssicherung erfordert zwingend die relative Gleichverteilung von Erwerbsarbeit auf alle diejenigen, die arbeiten wollen und können.
- Nur dadurch erhöht sich wieder der Wert der abhängig Beschäftigten in den Tarifverhandlungen.
- Nur dadurch steigen wieder die Sozialleistungen.
- Nur dadurch erfährt die Gesellschaft wieder eine konstruktive Ausrichtung in ihrem Handeln.
Hört auf zu träumen!
Wenn nur noch jeder zweite Bewerber um eine halbwegs gut bezahlte Vollzeitstelle ein Gewinner ist, dann stimmt mit der Verteilung etwas nicht
ArbeitFairTeilen:
Kurze Vollzeit, 30-Stunden- bzw. 4-Tage-Woche für Alle!
Die Arbeitszeit kann orientiert an persönlichen oder betrieblichen Bedürfnissen ungleich verteilt sein, muss aber immer wieder auf 30 Stunden im Wochenschnitt ausgeglichen werden.
Attac AG ArbeitFairTeilen,
Redaktion: Jörg Melz / Stephan Krull
[1] Berechnung auf Basis der Jahresarbeitszeit von 1973