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Schluss mit intransparenten und undemokratischen Konzern-Klagerechten!

Umweltausschuss diskutiert Vattenfall-Klage gegen Atomausstieg

Pressemitteilung
PowerShift
Attac Deutschland
Naturfreunde Deutschland



Der Umweltausschuss des Deutschen Bundestags berät am Mittwoch über die internationale Klage vor dem Weltbank-Schiedsgericht, die der
Vattenfall-Konzern gegen den Atomausstieg Deutschlands anstrengt. Aus
diesem Anlass haben das globalisierungskritische Netzwerk Attac, der
Verein PowerShift und die Naturfreunde Deutschlands heute eine
Offenlegung aller Prozessakten und eine Kehrtwende Deutschlands bei der
Aushandlung internationaler Investitionsverträge gefordert. Sie
kritisieren, dass diese Verträge – wie etwa der kaum bekannte
Energiecharta-Vertrag –internationalen Investoren eigene
Klagemöglichkeiten bei internationalen Schiedsgerichten eröffnen und
dabei keine Rücksicht auf demokratische Politikentscheidungen oder das
Rechtssystem der Bundesrepublik nehmen.

"Zum zweiten Mal klagt Vattenfall nun in einem internationalen
Schiedsverfahren gegen die Umwelt- und Energiepolitik Deutschlands.
Einmal hat das Unternehmen so bereits die Umweltauflagen für das
Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg bekämpft. Die Mitglieder des Deutschen
Bundestags sollten den neuen Fall zum Anlass nehmen, endlich Licht ins
Dunkel der deutschen Investitionsverträge zu bringen", forderte Peter
Fuchs, Investitionspolitik-Experte von PowerShift. Die Bundesregierung
setze aber bisher weiter auf Geheimnistuerei, Konzernrechte ohne
Pflichten und auf eine Blockade sämtlicher Reformvorschläge. Alternative
Forderungen kämen dagegen aus Netzwerken der Zivilgesellschaft, aus den
Ländern des globalen Südens und neuerdings auch von der EU-Kommission
und der Welthandels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD.

"Die Atomwirtschaft muss nicht entschädigt, sondern jetzt beendet
werden. Atomkraft heißt: Milliardenprofite für Anleger, Risiko und Müll
für Generationen – und das alles mit 300 Milliarden Euro
subventioniert", sagte Eberhard Heise vom Attac-Koordinierungskreis.
"Dass RWE und EON im Jahr nach Fukushima vor das Verfassungsgericht
ziehen und Vattenfall für die Abschaltung seiner Schrott-Reaktoren
Krümmel und Brunsbüttel Entschädigung will, zeigt die zynische Logik
unserer Wirtschaftsordnung."

Uwe Hiksch von den Naturfreunden Deutschlands ergänzte: "Nötig ist jetzt
die demokratisch kontrollierte, soziale und ökologische Energiewende:
Atom- und Kohleausstieg, Energieeinsparung, dezentrale Erneuerbare
Energien, demokratische Stadtwerke und kommunale Netze. Undemokratische Investitionsverträge und intransparente Schiedsverfahren im Interesse großer Konzerne müssen abgeschafft werden."

Die Organisationen fordern juristische Transparenz, parlamentarische
Kontrolle und die Beteiligung der Öffentlichkeit in diesem und ähnlichen
Verfahren. Die Bundesrepublik müsse sich aktiv an der Entwicklung
sozialökologischer Investitionsverträge beteiligen. Notwendig sei zudem
eine demokratisch kontrollierte, dezentrale Energieversorgung.
PowerShift hat den Mitgliedern des Umweltausschusses heute eine
kritische juristische Analyse zur Vattenfall-Klage zugesandt.

Für Rückfragen:

  • Peter Fuchs, PowerShift: 0177 – 6334 900
  • Eberhard Heise, Attac Koordinierungskreis: 0175 - 6878 455
  • Uwe Hiksch, Naturfreunde Deutschlands: 0176 - 6201 5902

 

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Hintergrundinformationen


  • Umweltausschuss: In seiner Sitzung am 27.6.2012 befasst sich der Umweltausschuss des Deutschen Bundestages mit der Schiedsgerichtsklage von Vattenfall. Allerdings hat sich die Bundesregierung (Federführung: BMWi) trotz ausdrücklicher Anfragen des Parlaments bislang geweigert, Einzelheiten zu dem Streitfall an den Bundestag oder gar an die interessierte Öffentlichkeit zu geben.



  • Schiedsgerichtsverfahren (Investor-Staat-Schiedsgerichtsklage): Vattenfall hat wegen des in Deutschland beschlossenen Atomausstiegs ein internationales Schiedsgerichtsverfahren (Investor-Staat-Schiedsverfahren) gegen die Bundesregierung initiiert. Das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID; angesiedelt bei der Weltbank in Washington) hat den Fall am 31.5.2012 registriert (ICSID Case No. ARB/12/12). Vattenfall beruft sich auf seine Rechte aus dem Energiecharta-Vertrag, einem internationalen Handels- und Investitionsabkommen im Energiebereich. Dieser Vertrag gibt, so wie viele internationale Investitionsschutzabkommen, ausländischen Investoren das Recht, ohne Einbeziehung staatlicher Gerichte des Gastlandes direkt vor ad hoc eingesetzten internationalen Schiedsgerichten gegen staatliche Maßnahmen zu klagen. Wegen der Stilllegung der AKWs Krümmel und Brunsbüttel wird Vattenfall voraussichtlich deutlich über 1 Mrd. Euro Schadensersatz verlangen. Dieses Verfahren läuft formal, rechtlich und institutionell völlig getrennt von den Verfahren deutscher Atomkonzerne vor dem Bundesverfassungsgericht. Auch bei Verfassungsmäßigkeit des Atomausstiegs kann Vattenfall möglicherweise über das ICSID-Verfahren eine hohe Entschädigung aus dem Bundeshaushalt erkämpfen.



  • Der Energiecharta-Vertrag und internationale Investitionsabkommen: Der 1994 abgeschlossene und 1998 in Kraft getretene Energiecharta-Vertrag (engl. Energy Charter Treaty, ECT) ist von einundfünfzig Staaten sowie der Europäischen Union und Euratom unterzeichnet worden (Staaten West- u. Osteuropas, ehemalige Sowjetunion, Japan, Australien). Es ist ein multilateraler Vertrag, der die transnationalen Rahmenbedingungen für Handel, Transit und Investitionsschutz auf dem Energiesektor regelt. Neben seinem umfassenden Schutz ausländischer Investoren im Energiesektor (Teil III mit den Artikel 10-17: Förderung und Schutz von Investitionen) sieht er auch einen Streitschlichtungsmechanismus vor, der den Investoren im Konfliktfall ein eigenes Klagerecht gegen Staaten gibt (Artikel 26: Beilegung von Streitigkeiten zwischen einem Investor und einer Vertragspartei). Ergänzend zum Energiecharta-Vertrag werden die allermeisten Investitionsschutzabkommen auf bilateraler Ebene zwischen zwei Staaten und ohne sektorale Begrenzung auf einen Wirtschaftssektor geschlossen (engl.: Bilateral Investment Treaty, BIT; dtsch.: Investitionsförderungs- und –schutzvertrag, IFV).



  • Streit um Investitionspolitik - EU, Staaten und Zivilgesellschaft: Zwischen der EU und Mitgliedstaaten wie Deutschland tobt seit 2009 ein Streit um die Ausgestaltung zukünftiger Investitionsverträge und gegenwärtig auch um die Regeln für die umstrittenen Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren. Deutschland verteidigt entschiedener als jedes andere Land ausschließlich die Investoreninteressen statt anderer öffentlicher Anliegen. Weitere Infos



  • Zivilgesellschaftliche Alternativen: Gleichzeitig entwickeln wachsende europäische Netzwerke umwelt-, entwicklungs- und wirtschaftspolitischer Organisationen der Zivilgesellschaft Alternativen zur gegenwärtigen Investitions- und Handelspolitik, z.B. vom 26.-27.6.2012 in Brüssel, auf einer Tagung der "Alternative Trade Mandate Alliance". Weitere Infos