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"Wir stehen hier, weil wir wollen, dass dieses sinnlose Sterben aufhört!"

Rede von Stephan Lindner (Attac) auf der Demonstration "Ukraine: Stoppt Eskalation und drohenden Krieg" am 31. Mai 2014 in Berlin

Foto: Uwe Hiksch

Liebe Freundinnen und Freunde!

Wir haben uns heute hier um fünf vor zwölf versammelt, um ein Zeichen zu setzen. Für viele Menschen in der Ukraine ist es bereits fünf Minuten nach zwölf. Täglich hören wir von neuen Toten, die bei bewaffneten Auseinandersetzungen ums Leben kamen. Wir stehen hier, weil wir wollen, dass dieses sinnlose Sterben aufhört!

Ich möchte hier kurz etwas zu den wirtschaftlichen Hintergründen dieses Konfliktes sagen. Erinnern wir uns, wie alles anfing: Menschen gingen unter anderem auf die Straße, weil die Verhandlungen für ein sogenanntes Partnerschaftsabkommen mit der EU gescheitert waren. Für das Scheitern gab es gute Gründe, denn dieses Abkommen steht, anders als sein Name, nicht für eine faire Partnerschaft.

Dieses Abkommen stellt die Ukraine vor eine Wahl, die sie nicht treffen kann, ohne innerlich zerrissen zu werden: West oder Ost, EU oder Eurasische Union, USA oder Russland. Die Folgen dieser aufgezwungenen Entscheidung sehen wir jetzt: Blutige Kämpfe mit immer mehr Toten. Wer das beenden will, der muss auch bereit sein, über dieses Abkommen neu zu verhandeln!

Die Folgen solcher Abkommen, bei denen auch der IWF mit im Boot sitzt und strikte Sparprogramme diktiert, können wir bereits in vielen Ländern sehen. Die heimische Wirtschaft hält dem Konkurrenzdruck ausländischer Konzerne nicht stand, Löhne sinken, Unternehmen gehen pleite und die Arbeitslosigkeit steigt. Für die Ukraine käme hinzu, dass sie den für ihre Industrie wichtigen Absatzmarkt im Osten verliert. Sie würde auf die Rolle eines billigen Rohstofflieferanten degradiert. Es käme zu einer weiteren Abwärtsspirale von immer mehr Not und Elend. Dazu sagen wir: Nein!

Wer über die Ukraine spricht, kommt am Thema Oligarchen nicht vorbei – es sei denn, er ist Teil unserer Bundesregierung oder ihrer Freunde. Die hieven nämlich, ohne groß darüber zu reden, genau jene Oligarchen fester als je zuvor in den Sattel, gegen die zuvor sowohl auf dem Maidan als auch jetzt im Südosten der Ukraine protestiert wurde. All diesen Menschen, in der gesamten Ukraine, die für die Entmachtung der Oligarchen und ein besseres Leben für alle eintreten, gilt unsere Solidarität!

Befasst man sich näher mit diesen Oligarchen, ist vieles nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint. Julia Timoschenko, vom Westen zur Freiheitskämpferin hochstilisiert, hat es in den Neunziger Jahren vor allem dank ihrer guten Kontakte nach Russland zu einem Milliardenvermögen gebracht. Und Viktor Janukowitsch, vermeintlich prorussischer Präsident, wurde in den letzten Jahren vor allem von der Wallstreet, genauer von einer Fondsgesellschaft namens Templeton finanziert. Verträge für Fracking, die vor allem für seine Familie lukrativ waren, zuerst mit Chevron und dann zusätzlich mit Shell, verschafften seiner Kleptokratie weitere Einnahmen. Und um auch in Zukunft weiter flüssig zu bleiben, wurde bereits über Landgrabbing Projekte im großen Stil mit China verhandelt.

In der Ukraine geht es daher nicht nur darum, ob sich Ost gegen West durchsetzt oder umgekehrt. Es geht auch darum, ob die Reichtümer der Ukraine den dort lebenden Menschen zu Gute kommen. Doch statt diese Menschen zu unterstützten, setzt unsere Bundesregierung nicht nur weiter auf die Oligarchen, sondern stört sich auch nicht daran, dass deren ohnehin mafiösen Strukturen jetzt auch offen faschistisch agieren. Wir sagen nein zu einer deutschen Politik, die mit einer ukrainischen Regierung zusammenarbeitet, an der Faschisten beteiligt sind! Und wir sagen nein zu einer deutschen Politik, die eine Regierung unterstützt, die Oligarchen dazu ermuntert, Privatarmeen zu finanzieren, statt ordentlich Steuern zu bezahlen und sich an Recht und Gesetz zu halten!

Mein letzter Punkt: Auch bei uns versuchen mächtige Interessen aus der Krise in der Ukraine Profit zu schlagen. Auch denen gilt es entgegen zu treten. Deshalb sagen wir auch nein zu einer Rüstungsindustrie, die jetzt für höhere Rüstungsausgaben wirbt! Und wir sagen nein zu Energiekonzernen, die uns Fracking und Flüssiggas als Alternative zu russischem Gas schmackhaft machen wollen. In Wirklichkeit wollen sie damit nur die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien sabotieren.

Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!