Menü

Lehman können wir vergessen!

Am 15.9. jährte sich der Tag, an dem die US-amerikanische Großbank Lehman Brothers Pleite ging. Weltweit erlitt die stark vernetzte Finanzbranche teils ruinöse Verluste. Doch die wahren Auslöser der Krise sitzen tiefer.

In Fernsehduellen und Wahlkampfauftritten werden Politiker und Politikerinnen der großen Parteien nicht müde, den Lehman-Konkurs als eine Art 9/11 der Weltwirtschaft darzustellen - als singuläres Ereignis, das vergleichbar dem Einsturz der New Yorker Twin Towers die ganze Welt erschütterte. Praktischerweise krachte die Bank in den USA und es war die alte, ungeliebte Bush-Regierung, die es versäumt hatte, diese "systemrelevante Bank" zu retten. Zuletzt wärmten Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und seine Kollegen aus den Banken-Chefetagen das Märchen beim HRE-Untersuchungsausschuss wieder auf: Erst das "Ereignis Lehman" habe für alle unvorhersehbar die zahlreichen Verwerfungen auch unter den hiesigen Finanzhäusern, insbesondere der Hypo Real Estate, verursacht. WirtschaftsexpertInnen und kritische JournalistInnen weisen jedoch regelmäßig darauf hin, dass die mühevoll gestützten Banken und Unternehmen durch eigene Misswirtschaft die Krise mitverursacht haben und diese auch dann eingetreten wäre, wenn die US-Regierung bei den Lehman Brothers eingegriffen hätte (s. dazu das CNBC-Interview mit Michael Roubini, englischsprachiges Video).

In der öffentlichen Diskussion wird eine echte Analyse der krisenverursachenden Wirtschafts- und Finanzpolitik jedoch vermieden. Entsprechend mager sieht die Jahres-Bilanz der eingeführten Gegenmaßnahmen aus. Die Politik und die Banken haben nicht einmal ansatzweise die notwendigen Konsequenzen aus der Finanzkrise gezogen. Allen Ankündigungen zum Trotz ist in den vergangenen zwölf Monaten so gut wie nichts in Richtung einer verstärkten Kontrolle und Regulierung der Finanzmärkte passiert. Dringend nötig wären strengere Regeln für den Handel auf den Finanzmärkten, das Verbot von hoch riskanten Finanzprodukten wie Zertifikaten, Derivaten und Hedgefonds, strengere Eigenkapitalvorschriften oder auch eine Besteuerung von Finanzmarkttransaktionen. Stattdessen wird, weil es so schön populär ist, ein großes Bohei um Managerboni gemacht, als wäre es damit getan.

Auch die Geschäftsmodelle der Banken blieben im vergangenen Jahr unangetastet, während die Allgemeinheit gezwungen wurde, marode Institute mit Milliarden Euro an Steuergeldern zu retten. Die Banken haben derweil das Casino wieder eröffnet und zocken ungehindert weiter. Kreditausfall-Versicherungen (CDS) und Verbriefungen, also jene Produkte, die die Krise maßgeblich mitverursacht haben, schaffen bereits die nächsten Finanzmarkt-Blasen. Anstatt die Ausbildung von Großbanken zu verhindern, deren Zusammenbruch die ganze Wirtschaft in den Abgrund reißen könnte ("too big to fail"), hat die Commerzbank sogar noch die Dresdner Bank auf Kosten der Steuerzahler geschluckt und so ihr Erpressungspotenzial vergrößert.

Vor wenigen Tagen versprachen Steinbrück und Merkel, sich international für die Einführung der Tobin-Steuer einzusetzen, eine - wenn auch zehn Jahre alte - Forderung der globalisierungskritischen Bewegung. Auch dieser Vorschlag fällt weit hinter den nötigen Regulationen zurück, wäre aber immerhin ein Anfang. Es steht jedoch zu befürchten, dass es sich um reines Wahlkampfgetöse handelt. Attac macht mit den Aktionen "Karten auf den Tisch" vor und nach der Bundestagswahl Druck auf die Parteien, ihre Pläne zur Krisenpolitik offenzulegen und dafür einzustehen. Außerdem wird das europäische Attac-Netzwerk bei den G20-Protesten in Pittsburgh vor Ort sein und sich für die Finanztransaktionssteuer stark machen.