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Die Energiewende konsequent denken

Bericht von der Tagung "Schon mal abschalten?!" am 8.3. 2014 in Hannover

In der öffentlichen Debatte sind Themen wie der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Strompreise, Gebäudedämmung und die EEG-Umlage Dauerbrenner. Dabei stehen oft technische Details im Fokus, sodass man denken könnte, wir müssten Ingenieur_innen oder Physiker_innen sein, um über die Energiewende zu sprechen. Fundamentale Fragen an unser auf Überflussproduktion angelegtes Wirtschaftssystem werden dabei selten gestellt. Gleichzeitig gibt es einen wachstumskritischen Diskurs, der sich stark auf die Frage des individuellen Lebensstils und Konsumverzichts fokussiert.

Die Tagung "Schon mal abschalten?! – Wie können klimaschädliche Industriebereiche beendet werden?", die am 8. März in Hannover stattfand, wollte den Anstoß geben, in Positionen zur Energiewende jetzt konsequent Fragen der Industrieproduktion einzubeziehen. Unsere Diskussion baut auf der These auf, dass ein Abschalten energieintensiver Produktionsbereiche unumgänglich ist, damit jetzt der Ausstieg aus Kohle- und Atomkraft gelingt und der Klimawandel effektiv begrenzt werden kann. Energiewende als wirtschafts- und gesellschaftspolitische Abkehr von einer "imperialen Lebensweise" (Wissen, Brand) zu verstehen, ist demnach Voraussetzung dafür, dass sie zur globalen Klimagerechtigkeit beiträgt und kein kapitalistisches Luxus-Investitionsprogramm wird.

Dass die Fragestellungen, die sich aus dieser These ergeben, einen Nerv getroffen haben, zeigt die große Resonanz auf die Tagung: Über 100 Personen aus dem ganzen Bundesgebiet – WissenschaftlerInnen, AktivistInnen, Mitglieder von Gewerkschaften und Umweltverbänden - kamen an einem sonnigen Samstag nach Hannover, um über diese Fragen zu debattieren. Eingeladen hatten die Attac-AGs Energie, Klima, Umwelt (EKU) und Jenseits des Wachstums (JdW), PowerShift und der BUKO-Arbeitsschwerpunkt Gesellschaftliche Naturverhältnisse.

"Um die schlimmsten Folgen der globalen Erwärmung zu verhindern, sind sofortige massive Energieeinsparungen nötig. Da diese nicht  allein durch Effizienz zu erreichen ist, müssen wir uns trauen, über Abschalten und Konversion von Produktion zu reden. Dann müssen wir aber die Konsequenzen sehr ernst nehmen, die sich daraus ergeben“, stand in der Einladung zur Tagung.  Denn dann geht es sofort um die Frage von Arbeitsplätzen, um Modelle sozialer Sicherung in einer Postwachstums-Wirtschaft, um die Verhinderung von Auslagerung schmutziger Industrie. Und hinter all dem immer um gesellschaftliche Aushandlungsprozesse – von Kooperationen mit Gewerkschaften bis zu vielfältigem aktivistischem Widerstand.

Die Frage, wie klimaschädliche Industriebereiche abgeschaltet werden können, wurde in Workshops beispielhaft für die Bereiche Rüstung, Mobilität und Agrarindustrie vertieft. Angesichts der Tatsache, dass militärische Aktivitäten für ca. 10 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, war gerade in diesem Bereich ein Zusammenbringen von Ökologie- und Konversionsbewegung fruchtbar. Am Nachmittag wurde in einer Reihe von Kurzvorträgen untersucht, welche sozialen Konsequenzen ein konsequentes Abschalten der genannten Industriebereiche hätte und was wir der Angst etwa vor dem Verlust von Arbeitsplätzen entgegensetzten könnten.

Verschiedene Lösungsansätze, wie das bedingungslose Grundeinkommen oder regionale, selbstverwaltete Produktionsweisen wurden kontrovers diskutiert. "Viele der dargestellten Ansätze sind tolle Ideen – allerdings nur für das Leben nach einer gesellschaftlichen Transformation, die wir noch nicht geschafft haben", sagte eine Teilnehmerin. "Auf dem Weg zur Postwachstumsökonomie müssen wir auch Widerstand leisten", sagte eine junge Frau aus dem Publikum. "Das heißt: auf die Straße gehen, Bäume besetzen, sich vor Kraftwerkstore setzen." In Beiträgen zur Konversion wurde deutlich, dass jetzt der Austausch mit GewerkschafterInnen wiederbelebt werden muss – zu einem sowieso anspruchsvollen Thema jetzt auch mit dem untrennbaren Aspekt der globalen Klimagerechtigkeit. Berichte aus Mexiko und von den Philippinen zeigten den Widerstand gegen zerstörerische Produktion als Thema einer wachsenden Bewegung des Globalen Südens.

Die Tagung hatte natürlich nicht den Anspruch, innerhalb von acht Stunden Antworten auf alle angerissenen Fragen zu geben. Sie war vielmehr der Auftakt für einen Arbeitsprozess, der unter anderem auf der European Summer University in Paris und auf der Degrowth-Konferenz in Leipzig weitergeführt werden wird. Und der Anfang einer Debatte, der wir uns stellen müssen. Dringend.