Die G20 und der Fetisch Wachstum
Im letzten Jahr haben sie sich am 4. und 5. September in Hangzhou in China versammelt. In ihrem zwölfseitigen Abschlusskommuniqué[2] taucht der Begriff Wachstum im Sinne von Wirtschaftswachstum allein 62 Mal auf. So erklären die G20, sie seien davon „überzeugt, dass durch eine engere Partnerschaft und gemeinsames Handeln der G20-Mitglieder das Vertrauen in das Wachstum der Weltwirtschaft und wachstumsfördernde Kräfte gestärkt und die Zusammenarbeit in diesem Bereich gefördert werden und so ein Beitrag zum Wohlstand aller und mehr Wohlergehen in der Welt geleistet“ würde. Sie wollten einen neue „Ära des globalen Wachstums“ fördern und „eine umfassende und ganzheitliche Strategie für ein starkes, nachhaltiges, ausgewogenes und integratives Wachstum ins Leben“ rufen.
Beim anstehenden Treffen der G20 am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg wird der Tenor der Erklärung vermutlich kein anderer sein.
Freihandel soll Wachstum schaffen
Den Ausbau des Freihandels und die weitere Deregulierung der Märkte für Güter und Dienstleistungen ist für die G20 ein wesentlicher Hebel, um Wirtschaftswachstum zu schaffen. Mehr Welthandel, so ihr Credo, führt zu mehr Wirtschaftswachstum. Dabei ist in den letzten Jahren durch die Zunahme des Welthandels in erster Linie der Güterverkehr gewachsen und deutlich langsamer die Güterproduktion. In einer Studie vom Frühjahr 2016, die im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur erstellt wurde, wird davon ausgegangen, dass die nationalen Gütertransporte bis Ende 2019 nur geringere Zuwächse zeigen werden, aber für „die grenzüberschreitenden Güterverkehre – Versand, Empfang und Durchgangsverkehre von Gütern – deutlich höhere Wachstumsraten zu erwarten sind.“[3] Güter werden also über immer weitere Strecken transportiert, ohne dass dies insgesamt einen Wohlfahrtsgewinn ergäbe. Im Gegenteil, die damit einher gehende Naturzerstörung führt zu Wohlfahrtsverlusten. Trotzdem erklären die G20 in ihrem Abschlusskommuniqué 2016: „Wir werden verstärkt am Aufbau einer offenen Weltwirtschaft arbeiten, Protektionismus eine Absage erteilen sowie Welthandel und weltweite Investitionen fördern, auch durch die weitere Stärkung des multilateralen Handelssystems, und breitgefächerte Möglichkeiten, die sich durch mehr Wachstum in einer globalisierten Wirtschaft ergeben, sowie die breite Unterstützung der Öffentlichkeit dafür sicherstellen.“
Nicht gestellte Fragen
Die Frage, ob Wirtschaftswachstum überhaupt notwendig ist, um die Probleme der Welt, also Hunger, soziale Ungleichheit, Naturzerstörung, Krieg, Flucht zu lösen, wird auf den Gipfeltreffen der G20 nicht gestellt. Und ob Wirtschaftswachstum angesichts des Klimawandels nicht vielleicht sogar schädlich ist, weil es den Raubbau an der Natur beschleunigt, ist genauso wenig Thema. Die Austeritäts- und Freihandelspolitik der G20- Staaten wurde und wird immer wieder damit begründet, dass sie Wachstum und damit Wohlstand für alle schaffe. Eingelöst wurden die Versprechen nicht. Trotzdem wird von Seiten der G20 diese Politik nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil, je weniger sie nützt, umso nachdrücklicher werden sie propagiert.
Und die Realität
Dies verwundert umso mehr, als allen, die sich mit Wirtschaftswachstum beschäftigen, deutlich geworden sein müsste, dass Wachstumsraten, wie wir sie in den USA und in Westeuropa in den 1950er und frühen 1960er Jahren erlebt haben und in China in den letzten zwei Jahrzehnten, immer Ausfluss besonderer historischer Konstellationen waren und nicht den Normalzustand der kapitalistischen Ökonomie darstellt.
Immerwährendes Wirtschaftswachstum stößt an zwei Grenzen. Erstens an eine dem System immanente, die in der Gesetzmäßigkeit der kapitalistischen Ökonomie liegt und zweitens an eine externe bzw. naturwissenschaftliche. Letztere lässt sich auf die einfache Feststellung zusammenfassen, dass auf dem begrenzten Planeten Erde kein endloses Wirtschaftswachstum mit dem entsprechenden Ressourcenverbrauch möglich ist. Die internen Grenze ist bereits von Ricardo, Marx und Keynes beschrieben worden,[4] inwieweit sie tatsächlich zu einem quasi automatischen Ende des Kapitalismus führen, ist aber auch in der wachstumskritischen Linken umstritten. Feststellbar ist aber, dass Wachstumsraten von über 2 Prozent, wie wir sie in der Blütezeit des Kapitalismus kannten, heute nicht mal mehr die OECD träumt[5]. Selbst die Gesundbeter des Systems sind froh, wenn die Wachstumsraten sich irgendwo zwischen 0,5 und 1,5 Prozent bewegen und nennen das schon eine robuste Konjunktur.
Wachstum führt zu Ungleichheit
Eines der Versprechen des Kapitalismus, insbesondere in seiner rheinischen Form, war, dass es nicht nur den Vermögenden immer besser geht, sondern sich auch für die Lohnabhängigen der Wohlstand wächst. Nach drei Jahrzehnten neoliberaler Globalisierung wissen wir: Wirtschaftswachstum schließt nicht die Schere zwischen Arm und Reich, sondern öffnet sie immer weiter. Zwar ist es in den 1950er bis Anfang der 1970er Jahren, in denen es in den USA und Westeuropa hohe Wachstumsraten und eine starke Gewerkschaftsbewegung gab, gelungen, Reallohnsteigerungen durchzusetzen. Dies ist inzwischen aber lange Geschichte. Im Nachhinein wird aber klar, dass es sich hier um historische Ausnahmezeiten gehandelt hat. Zuletzt machten dies die Untersuchungen von Piketty[6] deutlich. Er ist wahrlich kein ausgewiesener Gegner des Kapitalismus. Trotzdem kommt er bei der Betrachtung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse zur Überzeugung, dass es ökonomische Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Marktwirtschaft sind, die im Laufe der Zeit quasi unabhängig von menschlichem Handeln ökonomische Ungleichheiten hervorrufen und vor allem verstärken, wenn ihnen nicht entgegen gesteuert wird. „Unter bestimmten Voraussetzungen (wesentlich ist dabei der prognostizierte Rückgang des Wirtschaftswachstums) kommt es bei Piketty zu einem immer weiter steigenden Kapital-Einkommen-Verhältnis und zu einem stetig wachsenden Anteil der Kapitaleinkommen am Gesamteinkommen (die Gewinnquote steigt).“[7]
Ist Wachstum überhaupt wünschenswert?
Angesicht der ökonomischen und ökologischen Krisenerscheinungen scheint es naheliegend, beide Probleme über einen Green New Deal[8] zu lösen. Mit ihm soll beispielweise durch Investitionen in erneuerbare Energien einerseits Wachstum generiert werden, der gleichzeitig ökologisch nachhaltig ist. So sinnvoll solche Maßnahmen im Einzelnen sind, sie werden die zerstörerische Dynamik eines auf Wachstum angewiesenen Systems nicht im notwendigen Maß eindämmen können. Sieht man sich allein die Zunahme der Seeverkehre durch den Wachstum des globalen Güteraustausches an, so sind diese ökologisch extrem schädlich und nützt neben den exportierenden Firmen in erster Line den großen international agierenden Reedereien. „Aufgrund riesiger Überkapazitäten im Containerfrachtverkehr liefern sich die Reedereien einen desaströsen Preiskampf mit der Folge, dass der Transport eines Containers von Shanghai nach Nordeuropa im März 2016 zeitweise nur noch 212 Euro kostete. Der Transport von 20.000 Kilogramm Gütern über 20.000 Kilometer war also billiger als eine reguläre Bahnfahrt zweiter Klasse von München nach Göttingen und zurück.“[9]
Wachstumsideologie
Wirtschaftswachstum löst also weder automatisch die sozialen Probleme noch schafft er eine krisenfreie Ökonomie. Zudem verschärft er die ökologischen Probleme und führt zu mehr statt weniger Ungleichheit. Warum spielt die Anrufung des Wachstums trotzdem bei den Treffen der G20, und nicht nur da, eine so große Rolle? Das hat offensichtlich damit zu tun, dass in ihn eine unheimliche Hoffnung gesetzt wird, die mehr vom Glauben als vom Wissen geprägt ist. Wachstum ist zum Fetisch geworden. Seine Anrufung allein verspricht schon Heilung, für die es keiner Begründung bedarf.
Alternativen
Wir brauchen nicht mehr oder einfach nur anderes Wachstum, sondern eine grundlegend andere Art der Ökonomie, die nicht mehr wachstumsgetrieben ist.[10] Darin wird es dann Bereiche geben, die schrumpfen müssen (z. B Aluminiumproduktion, Kohleverstromung) und andere die wachsen sollen (z.B. Sorgebereich) wie dies im Arbeitspapier „Was muss schrumpfen, was muss wachsen“ der Projektgruppe Wachstumskritik: Globale Armut und Naturzerstörung solidarisch überwinden beschrieben ist.[11]
[1] https://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/G20/Texte/g20-faq.html;jsessionid=ED049F294C964517AFE7037E16502ED8.s1t2?nn=437032#doc2003826bodyText4. Download: 4.1.2017
[2] https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/G7_G20/2016-09-04-g20-kommunique-de.pdf?__blob=publicationFile&v=7. Download: 27.11.2016
[3] https://www.bag.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Verkehrsprognose/Verkehrsprognose_Winter_2015_2016.pdf?__blob=publicationFile: Download: 3.1.2017
[4] http://theorieblog.attac.de/2016/04/normative-wachstumskritik-und-positivistische-wachstumsskepsis/ Download: 3.1.2017
[5] https://www.welt.de/wirtschaft/article152368772/Warum-der-Welt-neue-Finanz-Turbulenzen-drohen.html. Download 3.1.2017
[6] Piketty, Thomas: Das Kapital des 21. Jahrhunderts. München 2014
[7] http://library.fes.de/pdf-files/wiso/11070.pdf. Download: 3.1.2017
[8] http://www.sven-giegold.de/2016/fr-gastwirtschaft-fuer-einen-green-new-deal-europa-braucht-eine-investitionspolitik/. Download: 4.1.2017
[9] https://www.heise.de/tp/features/Was-hilft-es-nur-Freihandelsvertraege-anzuprangern-3380212.html. Download: 3.1.2017
[10] https://postwachstum.net/2010/10/06/postwachstum-12-fluchtlinien-einer-solidarischen-okonomie-jenseits-des-wachstums/#_ftn1. Download: 4.1.2017
[11] http://www.attac.de/fileadmin/user_upload/bundesebene/Wachstumskritik/Inhalt_Dokumente/2015-07-27_Wachsen_und_schrumpfen_Arbeitspapier.pdf. Download: 4.1.2017
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