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Selbstverständnis des Attac FLINTA*Plenums Wer wir sind und was wir wollen

‚Ist eine eigene Organisierung von Frauen oder FLINTA* überhaupt noch nötig?‘ werden wir oft gefragt. ‚Hat sich die Gleichstellung weiblich gelesener Menschen in den letzten 50 Jahren nicht rasant verbessert? Quotierung, Kanzlerin, #metoo–Debatte, geschlechtsensible Sprache – das ist doch alles in der Mitte der Gesellschaft angekommen‘.

Und es stimmt ja: Die Frauenbewegung ist die erfolgreichste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts und hat alle Gesellschaftsschichten erfasst. Sie hat nicht nur bessere Lebensbedingungen für Frauen* erkämpft, sondern auch unsere Ideen von Zusammenleben erheblich verändert. Gerade diese Erfolge haben aber dazu geführt, dass die Angriffe auf unsere erkämpften Rechte durch rechte und konservative Kräfte in der letzten Zeit zugenommen haben.

Im Übrigen bleibt – wie alle FLINTA* alltäglich erfahren - noch viel zu tun. Die Entgelt-Diskriminierung ist kaum geringer geworden, die Repräsentanz von weiblich gelesenen Personen muss immer noch durch Quotierung gesichert werden und hat in keinem öffentlichen Bereich 50% erreicht, die bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit ist immer noch zum überwiegenden Teil weiblich. Zugänge zu materiellen Ressourcen und Wirtschaftsmacht sind nach wie vor einer weißen männlichen Elite vorbehalten. Und sowohl Frauen als auch alle, die nicht in die heteronormative Geschlechterordnung passen, erleiden Diskriminierung und Gewalt.
Wir müssen also weiter kämpfen und deshalb ist eine eigene Organisierung weiter notwendig. Das Attac-FLINTA*Plenum eröffnet innerhalb von Attac einen geschützten Raum für die gemeinsame Anstrengung zur Schaffung von tatsächlicher Geschlechtergerechtigkeit. Dieser Kampf kann – so unsere Überzeugung – nur feministisch und antikapitalistisch sein.

Wer wir sind

Das FLINTA*Plenum ist eine offene Struktur innerhalb von attac von und für aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer geschlechtlichen Zuordnung gesellschaftlich diskriminierte Menschen. Auch in linken, emanzipatorischen Projekten wie attac sind wir mit der Dominanz von Männern, mit patriarchalen Umgangsformen und Sexismus konfrontiert.
FLINTA* steht für
•    (cis-)Frauen (,cis’ bedeutet: Frauen, die sich mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren),
•    Lesben, also für homosexuellen Frauen,
•    intersexuelle Menschen, die sowohl mit weiblichen als auch mit männlichen Geschlechtsanteilen geboren worden sind,
•    nicht-binäre Menschen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen,
•    trans Menschen, die sich als transident, transgender oder transgeschlechtlich bezeichnen und sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen zum Zeitpunkt ihrer Geburt zugewiesen worden ist, und für
•    agender: Menschen, die kein Geschlecht haben oder sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen.
•    Das Sternchen besagt, dass es viele weitere Ein- und Zuordnungen hinter (biologischem) ,sex’ und (sozialem) ,gender’ gibt - viele Menschen werden aufgrund dieser Einordnung und Zuordnung gesellschaftlich immer noch stark diskriminiert und sind daher im Attac-FLINTA*Plenum willkommen.

Diese verschiedenen geschlechtlichen Identitäten der Menschen werden durch die traditionelle binäre Geschlechterordnung (Männer/Frauen) nicht erfasst. Unser Blick richtet sich auf alle, die in unserer männerdominierten, patriarchalen Gesellschaft wegen ihres Geschlechts Gewalt, Diskriminierung und Unterdrückung erfahren. Wir wollen FLINTA*-Perspektiven in alle attac-Aktionen einbringen. Wobei wir wissen: Wir leben zwar alle in einer patriarchalen Gesellschaft, aber unsere Vorstellungen und unsere politische Arbeit sind von unterschiedlichen Erfahrungen und Denkmustern geprägt. Die gilt es zu hinterfragen, denn eine bessere Welt verlangt auf allen Ebenen nach Gerechtigkeit. Geschlechtergerechtigkeit ist deshalb bei Attac ein wichtiges Thema.

Für die kapitalistische Produktionsweise ist die Höhe der Reproduktionskosten der Beschäftigten, die sich mehr oder weniger in der Höhe des Arbeitsentgelts widerspiegelt, von (profit)entscheidender Bedeutung. Deshalb ist die unbezahlte Care- bzw. Sorgearbeit, die die Reproduktionskosten niedrig hält, ein wichtiges Strukturelement der kapitalistischen Gesellschaft. Diese Arbeit wurde und wird in den Gesellschaften, in denen der Kapitalismus entstand, Frauen* als angeblich „naturbestimmt“ zugewiesen. Patriarchat und Kapitalismus sind also strukturell miteinander verbunden und deshalb wird sich tatsächliche Geschlechtergerechtigkeit - trotz aller möglicher und wünschenswerter Fortschritte in der formalen Gleichstellung der Geschlechter - innerhalb des Profitsystems letztlich nicht erreichen lassen. Es bedarf einer grundlegenden sozial-ökologischen Transformation.

… und was wir wollen

Die geschlechts- hierarchische gesellschaftliche Arbeitsteilung hat auch gravierende Folgen im Bereich der bezahlten Arbeit.

Da Care-Arbeit unbezahlt ist, ist sie - nach dem in kapitalistischen Gesellschaften gängigen Motto: "Was nichts kostet, taugt auch nichts" - 'wertlos'. Die 'Wertlosigkeit' unbezahlter Arbeit strahlt aus auf die bezahlte Sorgearbeit, die ebenfalls „naturgemäß“ weiblich gelesenen Personen zuwächst.

Überhaupt haben in der BRD – das galt nicht in gleicher Weise für den Osten – Berufe und Arbeitsplätze ein Geschlecht: Frauenarbeitsplätze sind entweder Dienst am Menschen oder Dienst am Kunden oder schlecht bezahlte repetitive Arbeit in der Industrie. An Männerarbeitsplätzen werden Maschinen oder Computer-Programme gehändelt und das wird - z.T. erheblich - besser bezahlt. Selbst innerhalb der gleichen Tarifverträge in der Metallindustrie sind die Lohnunterschiede zwischen einer („ungelernten“) Arbeiterin in der Elektroindustrie und einem („ungelernten“) Bandarbeiter in der Automobilindustrie beeindruckend.

Eine andere durch die Globalisierung entstandene Form der Ausbeutung sind die sogenannten „Global care chains“. Bei der globalen Betreuungskette übernehmen Arbeitsmigrantinnen (fast ausschließlich Frauen, z.B. Polinnen) Betreuungs-, Pflege- und Haushaltsaufgaben z.B. in der BRD, während zugleich ihre eigenen Kinder im Heimatland bleiben und dort von anderen (Familienangehörigen oder wiederum Migrantinnen aus ärmeren Ländern) betreut werden.

Generell sind Frauen*, sowohl als Beschäftigte als auch als Selbständige, oft von Prekarisierung betroffen.

Um kurzfristig materielle Verbesserungen und mehr individuelle Lebenschancen für FLINTA* zu erreichen, fordern wir:

•    Radikale Arbeitszeitverkürzung, damit die Sorge- und die Erwerbsarbeit gleichberechtigt auf alle Geschlechter aufgeteilt werden kann;
•    Anonyme Bewerbungen, damit als Frauen gelesene Menschen oder Migrant*innen nicht gleich aussortiert werden;
•    Überproportionale Lohnerhöhungen in typischen „Frauenberufen“;
•    Eine erhebliche Aufstockung der Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitsbereich;
•    Eine an Interessen von FLINTA* orientierte Sozialpolitik;
•    Eine ausreichende Pflegeversicherung;
•    Renten, die das soziokulturelle Existenzminimum gewährleisten und die Entgelt-Diskriminierung nicht ins Alter hinein verstetigen.

Nicht nur die Arbeit, auch die persönliche Würde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit von FLINTA* werden in patriarchalischen Gesellschaften geringgeschätzt. Catcalling, sexuelle Belästigung, sexualisierte Gewalt - die körperliche und sexuelle Selbstbestimmung von FLINTA* wird immer wieder infrage gestellt. Die extremste Form patriarchaler Machtdemonstration sind Femizide, die Ermordung von Frauen wegen ihres Geschlechts. Aber alle anderen Menschen, die sich in der heteronormativen patriarchalischen Geschlechterordnung nicht wiederfinden, sind ebenfalls - auch immer wieder tödlichen - Angriffen ausgesetzt. Darüber hinaus werden auch homosexuelle Männer wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, in manchen Staaten verfolgt und teilweise mit dem Tode bedroht.

Die Verweigerung des Rechts auf die selbstbestimmte Entscheidung für ein Kind oder einen Schwangerschaftsabbruch ist eine weitere Machtdemonstration: Männer beanspruchen, über die Körper von Frauen zu bestimmen. Den Schmähungen und Aggressionen der Abtreibungsgegner, den Angriffen auf schwangere Frauen, Beratungsstellen und Arztpraxen durch sogenannte „Lebensschützer“ muss dringend eine Abfuhr erteilt werden.

Wir treten ein für:
•    Die Umsetzung der „Istanbul-Konvention", einem Abkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen,
•    Die Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch und Verankerung des Rechts auf Abtreibung in der Verfassung,
•    Ein wirksames Verbot von Aktionen von Abtreibungsgegnern in der Nähe von Praxen und Beratungsstellen,
•    Ein Selbstbestimmungsgesetz, das die Forderungen von intersexuellen, nicht-binären, trans und agender Personen nach dem Ende von Diskriminierung und Bevormundung einlöst.
Als Attac-FLINTA* liegen uns insbesondere auch die Anliegen sowie die wirtschaftliche und soziale Situation von FLINTA* weltweit am Herzen. FLINTA* sind von den negativen Auswirkungen der kapitalistischen Globalisierung besonders betroffen, etwa durch Naturkatastrophen und Klimakrise, als Geflüchtete in Kriegen, durch Ausbeutung in internationalen Lieferketten. Die weltweiten feministischen Kämpfe gegen patriarchale Strukturen sind unverzichtbarer Teil unserer Bewegung. Wir sind mit ihnen solidarisch und lernen von ihnen – vor allem von dem mutigen Kampf der Frauen im Iran und von den feministischen Streiks (befristete Niederlegung der bezahlen und unbezahlten Arbeit) in Lateinamerika.

Wir treten ein für
•    Akzeptable Arbeitsbedingungen in internationalen Lieferketten, insbesondere auch für FLINTA*,
•    Anerkennung geschlechtsspezifischer Asylgründe,
•    Aufnahme der Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Umweltkatastrophen fliehen.

Wir streiten für eine Welt, in der „Geschlecht" keine relevante Kategorie für Lebenschancen, soziale und finanzielle Sicherheit, gesellschaftliche Rollen und Normen ist. Für ein Miteinander, in dem alle Geschlechter gleichberechtigt an den politischen und ökonomischen Entscheidungsprozessen teilnehmen und Verantwortung für Sorgearbeit tragen –weltweit! Eine bessere Welt ist nicht vorstellbar ohne eine gleichberechtigte Teilhabe von FLINTA* und ohne das Selbstverständnis, dass FLINTA* sich selbst ermächtigen können und dürfen – lasst uns dies gemeinsam schaffen!