Gedenken an deutsche Kolonialverbrechen in Namibia

Am 12. April wird in Namibia an ein Massaker erinnert, das deutsche Truppen 1893 im Zuge eines Überfalls auf die zentralnamibische Siedlung Hornkranz begangen haben und das als Auftakt der deutschen Kolonialverbrechen in Namibia gilt. Jedes Jahr findet daher an diesem Tag ein Gedenkmarsch auf Shark Island (Haifischinsel) an der südlichen Küste Namibias statt, um den Opfern deutscher Kolonialverbrechen zu gedenken und an die Gräueltaten des ersten Völkermordes des 20. Jahrhunderts zu erinnern. Während ihrer Kolonialherrschaft errichteten deutsche Truppen das erste Konzentrationslager im Hafen von Lüderitz auf Shark Island und ermordeten Schätzungen zufolge bis 4.000 Menschen der Volksgruppen Nama und Ovaherero auf brutale Weise.
Das Gedenken an diesem Ort ist allerdings gefährdet durch die Pläne, den Hafen massiv auszubauen, damit in Zukunft von dort in Namibia produzierter „grüner Wasserstoff“ verschifft werden kann Die Gedenkstätte könnte durch den Hafenausbau massiv und unwiderruflich beschädigt werden und ein angemessenes Gedenken wäre durch den Industrielärm unmöglich.
Paul Thomas, Sprecher der Nama Traditional Leaders Association (NTLA): „Der Ausbau des Hafens von Lüderitz ist in der Tat eine Bedrohung für die Geschichte und das Gedächtnis des Volkes der Nama und Ovaherero. Mit dem Ausbau werden die entscheidenden historischen Beweise für die unvergesslichen Verbrechen des ehemaligen Deutschen Reiches ausradiert.“
Vor dem Hintergrund der deutschen Kolonialgeschichte ist besonders brisant, dass der Hafenausbau vor allem für die Wasserstoff-Lieferungen nach Deutschland dienen soll. 350.000 Tonnen Wasserstoff sollen durch das namibische Konsortium „Hyphen Hydrogen Energy“ unter Beteiligung des deutschen Unternehmens „Enertrag“ und mit tatkräftiger Unterstützung durch die deutsche Bundesregierung produziert werden.
Attac kritisiert, dass das „Hyphen“-Wasserstoffprojekt zweifellos kolonialistische Züge trägt: Gigantische Wind- und Solarfelder sollen den Hunger des Globalen Nordens nach „grünem Wasserstoff“ stillen, während Namibia mit dreckigem Strom aus Südafrika versorgt wird und ganze Gebiete nicht an das Stromnetz angeschlossen sind. Zudem bestehen große Bedenken seitens der namibischen Bevölkerung hinsichtlich der grundlegenden Umweltauswirkungen.
Zivilgesellschaftliche Organisationen bemängeln vor allem die völlige Intransparenz bei der Vergabe und den Rahmenbedingungen des Projektes. „Die Aktivist*innen in Namibia fordern einen Stopp des Projektes und die Durchführung einer umwelt- und sozialpolitischen Risikoanalyse, aber weder die Regierung in Windhoek noch die deutsche Bundesregierung haben bisher auf diese Forderungen und Sorgen reagiert“, sagt Annette Schnoor, Attac-Aktivistin im H2-Namibia Netzwerk. „Dabei tragen wir angesichts der deutschen Kolonialgeschichte eine besondere Verantwortung. Ausbeuterischer Kolonialismus unter dem Deckmantel einer grünen Energiewende ist inakzeptabel und bleibt Greenwashing.“
Attac legt im kommenden Halbjahr einen Arbeitsschwerpunkt auf die kritische Begleitung des geplanten Wasserstoffprojektes in Namibia. Eine Speakers-Tour namibischer Aktivist*innen Anfang Oktober durch acht deutsche Städte soll der Höhepunkt der Aktivitäten sein.