Gemeinnützigkeit: Scholz-Vorhaben würde demokratische Zivilgesellschaft spalten
Die am Freitag öffentlich gewordenen Pläne von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zur Reform der Abgabenordnung stoßen bei Attac, der Bürgerbewegung Campact und dem Demokratischen Zentrum Ludwigsburg (DemoZ) auf deutliche Kritik. Die geplante Ergänzung des Paragraphen 51 der Abgabenordnung, wonach gemeinnützige Vereine ihre Zwecke nur noch "weit im Hintergrund" mit politischen Mitteln verfolgen dürften, wäre eine fatale Entwicklung für die Demokratie, warnen die drei Vereine, denen selbst die Gemeinnützigkeit entzogen wurde, weil sie zu politisch sind.
Auch die im Bundesfinanzministerium diskutierte Einführung einer neuen Kategorie "Politische Körperschaft", die nicht gemeinnützig, aber steuerbegünstigt wäre, führt aus Sicht der drei Vereine in eine falsche Richtung: Sie würde eine Aufspaltung der Zivilgesellschaft in einen vorgeblich unpolitischen gemeinnützigen Teil und einen politischen Teil bedeuten. Für Attac und Campact wäre der Status einer "Politischen Körperschaft" wahrscheinlich sogar von finanziellem Nutzen, trotzdem lehnen beide Organisationen diesen Plan ab, weil er die Zivilgesellschaft insgesamt schädigen würde.
"Die geplante Gesetzesänderung würde politische Aktivitäten von Vereinen weiter massiv einschränken, statt sie abzusichern", stellt Attac-Geschäftsführerin Stephanie Handtmann fest. "Wie soll ein Verein etwa gegen die Menschheitsbedrohung durch die Klimakatastrophe kämpfen, ohne sich auf politischem Terrain mehr als ‘weit im Hintergrund’ zu betätigen? Es ist höchste Zeit, das Ruder rumzureißen und die kritische demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, statt ihr immer weiter Knüppel zwischen die Beine zu werfen." Es müsse möglich sein, gemeinnützige Zwecke auch überwiegend oder ausschließlich mit politischen Mitteln zu verfolgen.
Felix Kolb, geschäftsführender Vorstand von Campact sagt: "Mit einer zusätzlichen Kategorie ‚Politische Körperschaft‘ wären Vereine gezwungen, sich zwischen politischer und gemeinnütziger Arbeit zu entscheiden - dabei ist gemeinnützige Arbeit immer auch politisch! Hier wird eine künstliche Spaltung erzeugt und der Druck auf gemeinnützige Vereine, aus Angst vor Verlust der Gemeinnützigkeit ihr politisches Engagement weiter einzuschränken, wäre immens."
Welch absurde Blüten die Trennung von gemeinnützigem und politischem Engagement treibt, zeigt der Fall des DemoZ in Ludwigsburg. Das DemoZ ist ein soziokulturelles Zentrum, eines von 600 in Deutschland. Dessen Entzug der Gemeinnützigkeit wurde damit begründet, dass sich das Zentrum politisch zu einseitig positioniere und die politische Willensbildung nicht mit der notwendigen gesellschaftlichen Offenheit führe, weil es Rechtsextremisten ausschließt. "Es ist skandalös, dass von uns erwartet wird, als Beweis für ‚geistige Offenheit‘ Nazis bei unseren Veranstaltungen zu dulden", sagt Yvonne Kratz vom DemoZ-Vorstand. "Bundesweit stellen die soziokulturellen Zentren mit Millionen von Besucherinnen und Besuchern jährlich kulturelle, soziale und selbstverständlich auch politische Veranstaltungen auf die Beine und tragen so zu einer aufgeklärten und demokratischen Zivilgesellschaft bei. Sie alle sind nun in ihrer Existenz bedroht."
Attac, Campact und DemoZ fordern, die massive Einschränkung der gemeinnützigen Zwecke "Bildung" und "Förderung des demokratischen Staatswesen" aufzuheben sowie den Katalog gemeinnütziger Zwecke insbesondere um Menschenrechte, Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Frieden zu erweitern, um ihn den Erfordernissen einer modernen Demokratie anzupassen.
Als Skandal und weiteren Beleg, wie sehr Spielräume für demokratisches Engagement derzeit eingeschränkt werden, werten die drei Vereine den Fall der antifaschistischen Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA), der das Finanzamt die Gemeinnützigkeit entzogen hat, weil sie im bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnt wird. Der Attac-Koordinierungskreis hat eine Solidaritätserklärung an den VVN-BdA verfasst.