Neue Studie des Tax Justice Network - Steueroasen und Schattenfinanzplätze kosten Deutschland jedes Jahr etwa 40 Milliarden Euro
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Berlin, 16.11.2021
Heute veröffentlichen das Tax Justice Network, der globale Gewerkschaftsbund Public Services International und die Global Alliance for Tax Justice gemeinsam den zweiten State of Tax Justice Report. Deutschland verliert danach jährlich etwa 30 Milliarden Euro durch die Gewinnverschiebung multinationaler Unternehmen und 10 Milliarden Euro durch illegale Vermögen in Schattenfinanzplätzen. Weltweit fehlen wegen grenzüberschreitenden Steuermissbrauchs jedes Jahr Einnahmen von mehr als 400 Milliarden Euro.
Deutschland gehört damit in absoluten Zahlen zu den größten Verlierern. Noch schwerer trifft es aber Länder mit niedrigem Einkommen. Sie verlieren zusammen fast so viel wie die Hälfte ihrer ohnehin zu geringen Gesundheitsausgaben. Gleichzeitig werden 99 Prozent des globalen Steuermissbrauchs über Länder mit hohem Einkommen abgewickelt und von ihnen ermöglicht. Großbritannien mit seinen Kronbesitzungen und Überseegebieten, wie den Kaimaninseln, verantwortet mehr als 50 Prozent. Dazu Karl-Martin Hentschel von Attac Deutschland: "Es ist nicht akzeptabel, dass große Unternehmen und reiche Individuen in der Krise von staatlichen Leistungen profitieren, sich dann aber vor den Kosten drücken. Um das zu verhindern passiert politisch immer noch zu wenig. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich endlich entschieden für eine konsequente Schließung von Steuerschlupflöchern bei der Umsetzung der neuen internationalen Regeln einzusetzen."
Die Reformvorschläge der OECD/G20 lösen nur einen Teil des Problems
Im Oktober 2021 verständigten sich mehr als 100 Staaten darauf, eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent auf Unternehmensgewinne einzuführen und einen kleinen Teil der Besteuerungsrechte der etwa 100 profitabelsten Konzerne fairer zu verteilen. Je nachdem wie sie am Ende umgesetzt wird, könnte die Reform den globalen Steuermissbrauch um etwa 100 bis 150 Milliarden Euro verringern. Dazu erläutert Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit: "Die angekündigte Reform der OECD ist ein willkommener Fortschritt. Aber der Mindeststeuersatz von 15 Prozent ist zu niedrig, setzt deswegen weiterhin Anreize für Steuerflucht ins Ausland und bei der Umsetzung zeichnen sich neue Schlupflöcher ab. Das größte Problem ist aber, dass die zusätzlichen Einnahmen nicht fair verteilt sind."
Das liegt auch daran, dass über ein Drittel aller Länder gar nicht an den Verhandlungen beteiligt war und die G20 und die OECD-Staaten den Prozess dominieren. Dazu Bodo Ellmers vom Global Policy Forum: "Wir brauchen eine UN-Steuerkommission mit umfangreichen Kompetenzen. Wenn schon bei den Verhandlungen nicht alle Staaten gleich mit einbezogen sind, müssen wir uns nicht wundern, wenn einige mehr profitieren als andere." Eine bessere Zusammenarbeit unter dem Dach der Vereinten Nationen hat breite Unterstützung, wurde jüngst auch im Bericht des UN High Level Panel on International Financial Accountability, Transparency and Integrity (FACTI) gefordert1.
Eine Einordnung der Zahlen und Ergebnisse:
- Aus dem Vergleich zur ersten Auflage des State of Tax Justice Reports lassen sich keine Rückschlüsse auf Veränderungen ziehen. Die laut zweiter Auflage höheren Verluste resultieren aus einer verbesserten Datengrundlage. Die aktuellen Schätzungen für die Verluste bei den Unternehmenssteuern basieren auf den aggregierten länderbezogenen Berichten großer Konzerne für 2017. Anders als im Vorjahr, sind jetzt auch deutsche Unternehmen enthalten.
- Laut Schätzung der OECD vom Oktober 20211 soll die Mindeststeuer von 15 Prozent jährlich 150 Milliarden USD (131 Milliarden Euro) Zusatzeinnahmen einbringen. Das EU Tax Observatory2 schätzt die zusätzlichen Einnahmen für Deutschland auf 7,8 Milliarden Euro, für die EU-Länder auf 63,9 Milliarden Euro und weltweit sogar auf 185,3 Milliarden Euro. Wie beim State of Tax Justice Report, basieren die Zahlen auf den aggregierten länderbezogenen Berichten für 2017.
- Demgegenüber schätzt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte die potenziellen Zusatzeinnahmen für Deutschland auf höchstens 380 Millionen Euro.3 Eine Analyse des ifo-Instituts zeigt, dass große deutsche Unternehmen 2016 und 2017 zusammen Gewinne von 47 Milliarden Euro in Steueroasen verbuchten und diese mit etwa 10 Prozent versteuerten. Eine Nachversteuerung zu 15 Prozent würde demnach jährlich 1,1 Milliarden Euro erbringen.
- Durch die Mindeststeuer kann Deutschland niedrig besteuerte ausländische Gewinne deutscher Unternehmen nachversteuern - ähnlich wie das bisher schon durch die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung geschieht. Wo die zusätzlichen Einnahmen aus der Mindeststeuer am Ende tatsächlich anfallen, hängt von der Reaktion der Unternehmen und Staaten ab. Erste Analysen und Statements zeigen: Google und Co. haben bereits vor der Reform einen Großteil der deutschen Gewinne aus Steueroasen zurück in die USA verlagert. Und sowohl die USA als auch Irland (als bisherige Zwischenstation) haben angekündigt, ausländische Gewinne mit mindestens 15 Prozent zu besteuern.
- Basierend auf einer Analyse der großen Digitalkonzerne schätzen wir die Zusatzeinnahmen aus Pillar 1 auf ca. 600 Millionen Euro. Von Google würde Deutschland beispielsweise ca. 70 Millionen Euro zusätzliche Steuern einnehmen.4
- Der tatsächliche Schaden durch Steueroasen und Schattenfinanzplätze ist noch deutlich höher als 400 Milliarden Euro (weltweit) bzw. 40 Milliarden Euro (Deutschland). Die Möglichkeit der Gewinnverschiebung und die niedrigen Steuersätze in den Steueroasen haben die Staaten in einen zerstörerischen Unterbietungswettbewerb getrieben und in Deutschland dafür gesorgt, dass die Unternehmenssteuern von 56,1 Prozent (1999) auf 29,9 Prozent gesunken sind.5 Schattenfinanzplätze befördern Kriminalität aller Art - von staatenzersetzender Korruption bis zum illegalen Wildtierhandel - und sorgen dafür, dass die Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen weltweit gesunken sind ("lieber 25% von X als 42% von nix"). Insgesamt zahlen reiche Unternehmenseigentümer*innen deswegen fast überall in der Welt und auch in Deutschland mittlerweile prozentual weniger Steuern und Abgaben, als ihre Mitarbeiter*innen.
1 https://www.oecd.org/tax/beps/faqs-statement-on-a-two-pillar-solution-to-address-the-tax-challenges-arising-from-the-digitalisation-of-the-economy-october-2021.pdf Zu den möglichen Mehreinnahmen von Pillar 1 hat die OECD noch keine detaillierten und aktuellen Zahlen veröffentlicht.
2 https://www.taxobservatory.eu/revenue-effects-of-the-global-minimum-tax-country-by-country-estimates/
3 https://www.spiegel.de/wirtschaft/globale-mindeststeuer-fuer-unternehmen-bringt-nur-peanuts-exklusive-berechnungen-a-a75e8190-5fed-4c55-be82-02333bb1bd83
4 In der ursprünglichen Studie prognostizieren wir niedrigere Zusatzeinnahmen unter Pillar 1, die Ergebnisse bezogen sich auf den Verhandlungsstand vom Juli 2021.https://www.fabio-de-masi.de/de/article/4002.digitalkonzerne-zur-kasse-bitten.html Die aktuellen Zahlen beziehen sich auf den Verhandlungsstand vom Oktober 2021.
5 https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/jahrbuch2021/
Kontakt für Rückfragen:
Christoph Trautvetter
christoph.trautvetter@netzwerk-steuergerechtigkeit.de; Tel: 030 217 99 994
Karl-Martin Hentschel, Attac-Vertreter im Netzwerk Steuergerechtigkeit
Tel: 0151 5908 4268
Weiterführende Informationen:
State of Tax Justice 2021 Report
State of Tax Justice 2020 Report
OECD-Statement vom 8.10.2021
Analyse ifo-Institut (2021)
Analyse EU-Tax Observatory (2021)
Analyse Die Linke/Netzwerk Steuergerechtigkeit (2021)
Netzwerk Steuergerechtigkeit
Verein zur Förderung der Steuergerechtigkeit e.V.
Weidenweg 37, 10249 Berlin
presse@netzwerk-steuergerechtigkeit.de