Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen FLINTA*
Seit 1981 wird am 25. November weltweit auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht. Gewalt gegen Frauen ist eine der am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen.
Seit 1991 gibt es die UN-Kampagne „Orange the World“. Sie tritt dafür ein, dass vom 25. November bis zum 10. Dezember, dem „Tag der Menschenrechte“, alle Beleuchtungen von öffentlichen Gebäuden orange eingefärbt werden, um auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufmerksam zu machen. Annette Schnoor vom Attac-FLINTA*-Plenum erklärt: „Ein schönes Symbol, aber leider müssen wir feststellen, dass die Gewalt gegen Frauen nicht abnimmt, sondern sogar deutlich zunimmt.“
Auch queerfeindliche Gewalt, also Hasskriminalität aufgrund der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität, hat laut einer Statistik des Bundeskriminalamts zugenommen. Das bedeutet einen Anstieg von Vorfällen gegen lesbische, schwule, bisexuelle und queere Menschen um etwa 49 Prozent und gegen trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen um etwa 105 Prozent, wobei beide Phänomenbereiche auch Überschneidungen aufweisen können. „Jährlich steigen die Opferzahlen – die Dunkelziffer ist hoch, viele Fälle werden nicht bei der Polizei angezeigt oder nicht richtig eingeordnet, sondern nur als Allgemeinkriminalität wie Beleidigung oder Körperverletzung gekennzeichnet“, sagt Schnoor. „Das heißt: Nur ein Bruchteil LSBTIQ*-feindlicher Hasskriminalität wird angemessen registriert und klassifiziert.“
Die Forschungslage in Bezug auf Gewalt gegen Frauen ist erheblich besser – mit erschreckenden Ergebnissen:
In Deutschland
• tötet alle zwei Tage ein Mann seine (Ex-)Partnerin;
• findet jeden Tag ein Tötungsversuch statt;
• erlebt eine Frau alle zwei Stunden sexualisierte Gewalt durch ihren Partner**.
Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Sie beginnt mit der alltäglichen Anmache, mit frauenfeindlicher Sprache, Witzen und Beschimpfungen und reicht über sexuelle Belästigung, Bedrohung, Schläge bis zu Vergewaltigung und Mord. Sie begegnet uns überall: Zuhause, auf der Arbeit, im öffentlichen Raum, im Netz. Sie trifft Frauen aller sozialen Schichten und jeden Alters und sie geht meistens von Personen im Nahbereich aus. Es gibt auch Männer, die von sogenannter Partnerschaftsgewalt betroffen sind, aber sehr viel weniger.
Laut kriminalstatistischer Auswertung des Bundeskriminalamts zu Partnerschaftsgewalt waren 2023 132966 Frauen und 34899 Männer von Gewalt in einer Partnerschaft betroffen. Mehr als die Hälfte aller Fälle von Mord und Totschlag fanden in Ehen statt. Dabei spiegeln diese Zahlen nur einen Teil der Wirklichkeit wider, denn Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt, zum Beispiel Femizide, werden in den Medien oder in Gerichtsurteilen häufig als „Familiendramen“ bezeichnet. Diese Wortwahl ist verharmlosend und Verharmlosung der Gewalt gegen Frauen ist Teil des strukturellen Problems.
Die Anzahl der erfassten Opfer ist in den letzten fünf Jahren um 17,5 Prozent angestiegen und erreicht im aktuellen Berichtsjahr 2023 einen neuen Höchststand. Besonders häufig müssen Mädchen und Frauen mit Behinderung Gewalt erleben, je nach Gewaltform zwei bis dreimal häufiger als der Bevölkerungsdurchschnitt.
Auch in Europa ist die Zahl der Femizide seit 2019 deutlich gestiegen. Außerdem sind sowohl hier (600000 Frauen) als auch weltweit (200 Millionen Frauen) Genitalverstümmelungen weiterhin an der Tagesordnung. Obwohl die Gewaltstatistik Jahr um Jahr ansteigt, fehlen in Deutschland 14000 Frauenhausplätze und die Finanzierung soll zum Beispiel in NRW noch weiter gekappt werden. Beratungsstellen sind chronisch überlastet und die Wartezeiten für Personen nach einer Vergewaltigung sind unerträglich lang. Besonders in ländlichen Regionen ist die Situation verheerend.
„Angesichts dieser Zahlen ist es ein Hohn, dass die Opfer von Gewalt teilweise einen Eigenanteil von bis zu 50 Euro pro Tag für den Aufenthalt im Frauenhaus zahlen müssen. Wer von Gewalt betroffen ist, braucht verlässlichen Schutz“, sagt Schnoor. Die Bundesregierung hatte bereits im Koalitionsvertrag 2021 vereinbart, das Recht auf Schutz vor Gewalt für jede Frau und ihre Kinder zu garantieren und einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen.
Das Gleiche hat Deutschland schon 2011 mit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention vertraglich zugesichert. Doch trotz der Brandbriefe von Verbänden und Initiativen lässt die Umsetzung immer noch auf sich warten. Das im Koalitionsvertrag 2021 versprochene Gewalthilfegesetz gibt es weiterhin nicht und wird es jetzt – nach Auflösung der aktuellen Ampel-Regierung – wohl auch nicht mehr geben. Die Umfragen sagen eine Mehrheit für die CDU/CSU voraus und ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der 1997 gegen Vergewaltigung in der Ehe als eigenen Straftatbestand stimmte, lässt nichts Gutes erwarten.
Ein Fortschritt ist allerdings zu erwarten von der im Juni 2024 in Kraft getretenen EU-Richtlinie zum Schutz gegen Gewalt gegen Frauen: mehr Prävention, besserer Schutz für die Opfer und angemessene Bestrafung der Täter. Aber leider haben die EU-Mitgliedstaaten weitere 3 Jahre Zeit, die EU-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
„Die Wurzeln von geschlechtsspezifischer Gewalt, inklusive der sogenannten häuslichen Gewalt, sind allerdings auch mit diesem Gesetz nicht zu kappen. Natürlich müssen die Täter bestraft werden, sicher ist auch Gewaltprävention und Täterarbeit notwendig, aber auf rein individueller Ebene ist das Gewalt-Problem nicht lösbar“, kritisiert Schnoor. „Notwendig wäre eine Veränderung der geschlechtshierarchischen Macht- und Gesellschaftsstrukturen. Die patriarchale Ideologie, die die Minderwertigkeit von Frauen behauptet, ist in kulturellen und institutionellen Strukturen verankert.“
Anlässlich des heutigen Internationalen Tages zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen solidarisiert sich das Attac-FLINTA*-Plenum mit allen Betroffen. Außerdem ruft das FLINTA*-Plenum dazu auf, mit öffentlicher Aufmerksamkeit, gemeinsamen Aktionen und strukturellen Maßnahmen gegen patriarchale Gewalt zu kämpfen.