Energiedemokratie: Für demokratische Kontrolle des Energiesektors Fünf Fragen an Wirtschaftsexpertin Lisa Mittendrein von Attac Österreich.
Warum spielen die Energiepreise verrückt?
Die Preise steigen bereits seit Sommer 2021: als Folge leerer Speicher nach einem kalten Winter, wegen des wirtschaftlichen Aufschwungs und weil Gazprom die Liefermengen gedrosselt hat. Explodiert sind die Preise dann mit dem Beginn des Ukrainekriegs. [...] Das Problem ist nicht nur der Ukrainekrieg, sondern die politische Gestaltung unserer Energieversorgung: die Abhängigkeit vom Import fossiler Brennstoffe und die liberalisierten Energiemärkte.
Wie ist dieser liberalisierte Energiemarkt strukturiert?
Durch die Liberalisierung wurden die Energieerzeugung, das Netz und der Vertrieb voneinander getrennt. Der Handel mit Energie funktioniert seither so, dass Energieproduzenten, -versorger und -großabnehmer Strom und Gas an Energiebörsen handeln. Dadurch ergeben sich starke Preisschwankungen, vor allem in unsicheren Situationen. Das System ist darauf ausgelegt, kurzfristig die Preise zu optimieren, statt langfristig zu planen. [...]
Die Krise zeigt, dass wir eine starke demokratische Kontrolle über die Energieproduktion und -verteilung brauchen. Statt des profitorientierten Marktes soll es mittelfristig einen kooperativen europäischen Energieraum geben. Strom und Gas sollen nicht mehr über Börsen gehandelt werden. Der nötige Ausgleich und der Handel von Energie sollte über öffentlich kontrollierte Stellen ablaufen und so Sicherheiten garantieren.
Wie schaffen wir es, dass Energie gespart wird – aber nicht nur von denen mit wenig Geld?
Energie ist ein Grundbedürfnis – Kochen, Duschen und Heizen muss für alle möglich sein. Gleichzeitig ist Energie ein kostbares Gut, und wir müssen den gesellschaftlichen Verbrauch aus ökologischen Gründen stark senken. Um soziale und ökologische Ziele zu verbinden, fordert Attac Österreich einen dauerhaften Energie-Grundanspruch. Der Grundbedarf an Energie soll als Teil der Daseinsvorsorge allen kostenlos oder sehr günstig zur Verfügung stehen. Dabei sind ein paar Faktoren, allen voran die Haushaltsgröße, zu berücksichtigen. Jenseits dieses Grundbedarfs sollen die Preise progressiv ansteigen, um verschwenderischen Verbrauch zu senken. In Deutschland hat das Konzeptwerk Neue Ökonomie eine ähnliche Forderung, die auch von Attac Deutschland unterstützt wird.
Wie kann das finanziert werden?
Der Energie-Grundanspruch finanziert sich zum Teil selbst, weil hoher Verbrauch teurer wird. Die Energieversorger müssen diese Mehreinnahmen mit den Kosten für den Energie-Grundanspruch verrechnen. Die Lücke kann durch die öffentliche Hand kompensiert werden, allerdings nur unter klaren Voraussetzungen, etwa dem Verbot von Dividenden-Ausschüttungen und Manager-Boni. Grundsätzlich können Differenzen mit einer Übergewinnsteuer abgedeckt werden.
Was sind die wesentlichen Pfeiler eures Modells der „Energiedemokratie“?
Energiedemokratie ist die Vision für die Zukunft unseres Energiesystems. Sie bezeichnet das Recht der Menschen, dieses System selbst zu kontrollieren und seinen ökologischen und sozialen Umbau rasch umzusetzen. Dieser Umbau hat drei Säulen. Erstens die ökologische Säule, also die deutliche Senkung des Energieverbrauchs und der Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energie. Zweitens die Demokratisierung des Energiesystems, das heißt eine weitgehende Vergesellschaftung der Erzeugung und Verteilung von Energie und den Aufbau von alternativen Strukturen. Das können Bürger*innenkraftwerke, Energiegenossenschaften und demokratische Stadtwerke sein. Die dritte Säule ist der universelle Zugang zu Energie.
Das ungekürzte Interview gibt es online bei der Zeitschrift Luxemburg.
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