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Energie? Vergesellschaftet! Der Energiegipfel beschließt einen sozial- und klimagerechten Umbau

Der lange umstrittene Energiegipfel in Berlin hat endlich den Durchbruch für eine sozial ausgewogene und klimagerechte Energiepolitik in Deutschland gebracht. Klimabewegung, Umwelt- und Sozialverbände sowie Gewerkschaften konnten sich nach zähem Ringen mit Politik und Energiewirtschaft auf ein umfassendes Maßnahmenpaket einigen. „Ab sofort stehen die Menschen und das Klima im Mittelpunkt und nicht mehr das Profitstreben der Energiekonzerne“, kommentierte ein Gipfelteilnehmer die Ergebnisse.

Im Vorfeld war dieses Treffen heftig kritisiert worden. Ursprünglich hatte das Handelsblatt geplant, Vertreter*innen aus Politik und vor allem Wirtschaft eine Plattform zu bieten und mit vierstelligen Eintrittspreisen versucht sicherzustellen, dass die wirtschaftlichen Interessen der Konzerne ohne Widerspruch dort verhandelt werden können. Erst nach massivem Einspruch, vor allem aus den Reihen zivilgesellschaftlicher Akteure wie der globalisierungskritischen Organisation Attac, wurde dieser Energiegipfel öffentlich, unter demokratischen Vorzeichen und Einbeziehung der Zivilgesellschaft durchgeführt. Im Fokus standen die Bedürfnissen der Menschen.

„Energie ist ein zentrales gesellschaftliches Thema, das sich am Bedarf der Menschen orientieren muss. Es geht nicht an, dass solche zentralen gesellschaftlichen Fragen unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf einer privaten Luxusveranstaltung diskutiert werden und sich die Veranstalter*innen dabei auf die Interessen derer konzentrieren, die an Gewinnung, Handel und Verbrauch von Energie verdienen wollen“, so eine Vertreterin von Attac.

Günstige Grundversorgung und teurer Luxusverbrauch: Damit hohe Energiepreise Menschen nicht weiter in Armut treiben können, wird jedem Menschen ab sofort ein kostengünstiges Grundkontingent an Energie garantiert. Der Preis dafür soll bei 3 Cent pro Kilowattstunde Gas und 20 Cent pro Kilowattstunde Strom liegen. Damit wird verhindert, dass sich einige Millionen Familien wegen der aktuellen Energiepreise verschulden müssen. Verbrauch an Gas und Strom, der über das Grundkontingent hinausgeht, steigt im Preis progressiv an. Das macht Luxusverbrauch unattraktiver und dient gleichzeitig der Querfinanzierung des Grundkontingents.

Die neue Regelung ersetzt das bisherige, stark kritisierte „Gießkannenverfahren“, nach dem 80 Prozent des tatsächlichen Verbrauchs subventioniert wurden. Da mit dieser Regelung zum Beispiel das Beheizen von Swimmingpools von der Allgemeinheit bezahlt wurde, das Verfahren Vielverbraucher bevorteilte und kaum Anreize zum Energiesparen setzte, hatte sie zu massiven Protesten geführt. Die Regierung musste den Energiegipfel einberufen.

Für die Grundversorgung wird bei Mietwohnungen zusätzlich zur Haushaltsgröße der energetische Zustand berücksichtigt. Vergünstigungen für die Mieter*innen wegen schlechter Dämmung sind dann an Auflagen für Vermieter geknüpft, die Wohnung innerhalb einer bestimmten Frist energetisch zu sanieren. „Wir begrüßen die Beschlüsse. Die neue Regelung kommt einkommensschwächeren Menschen zugute und setzt mehr Sparanreize zum sorgsamen Umgang mit Energie“, sagte eine Vertreterin des zivilgesellschaftlichen Bündnisses EnergieGerecht.

Die garantierte Grundversorgung ist keine Alternative zum „Klimageld“, das vor einigen Wochen beschlossen wurde, sondern eine Ergänzung. Das Klimageld – die Rückzahlung der CO2-Bepreisung an die Bürger*innen – hat auch eine umverteilende Komponente, da jede*r den gleichen Betrag erhält, obwohl Menschen mit höherem Konsum mehr einzahlen. Das Klimageld kann aber die starken Preisanstiege für Energie aufgrund der Turbulenzen auf den Energiemärkten nicht auffangen. Diese Lücke schließt die garantierte günstige Grundversorgung.
 
Gewinne werden abgeschöpft, Konzerne vergesellschaftet: Die skandalös  hohen Gewinne der Energiekonzerne in der Energiekrise gehören der Vergangenheit an. Nachdem die EU bereits eine Abgabe von 33 Prozent auf alle Gewinne, die 20 Prozent über den letzten Durchschnittsgewinnen liegen, beschlossen hat, setzt die Bundesregierung zu einem größeren „Wumms“ an. Ab 1. Juli werden sämtliche Konzerngewinne im Energiesektor abgeschöpft. „Energie ist ein Gemeingut wie Bildung und Gesundheit. Damit darf kein Gewinn gemacht werden“, hieß es dazu aus dem Wirtschaftsministerium. Die Vertreter*innen der großen Energiekonzerne RWE, EON, EnBW und Vattenfall reagierten darauf mit einem Paukenschlag und kündigten an, sich völlig aus dem Energiesektor zurückzuziehen. „Da der Zweck privatwirtschaftlichen Handelns nicht mehr erfüllt werden kann, werden wir die Konsequenzen ziehen und uns andere Aufgabenbereiche suchen“, sagte der RWE-Vorstandsvorsitzende Markus Krebber. „Wir werden die bestehenden Strukturen in Anstalten öffentlichen Rechts überführen“, reagierte das Wirtschaftsministerium.

Die Pläne sind ein Paradigmenwechsel in der Industriepolitik. Vertreter*innen der Zivilgesellschaft fordern seit langem eine Vergesellschaftung des Energiesektors. „Aus Profitinteresse haben Energiekonzerne an Kohle oder Atomkraft festgehalten und damit eine klimagerechte Energiepolitik verhindert. Höchste Zeit, ihnen den Stecker zu ziehen“, so ein Vertreter von EnergieGerecht.
 
Maßnahmen zum schnellen Ausbau der Erneuerbaren: Als deutschen Beitrag, den Klimakollaps zu vermeiden, hat der Energiegipfel die Schlagzahl beim Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien nochmals verschärft. Um bis 2025 den Anteil der Erneuerbaren auf 90 Prozent zu erhöhen, wurden unter anderem Genehmigungsverfahren für Windkraft- und Solaranlagen verschlankt und finanzielle Hilfen für kleinere Betreiber*innen angekündigt. Um die riesige Nachfrage nach Anlagen befriedigen zu können, sollen Bereiche der Automobilindustrie für die Produktion von Wärmepumpen, Windkraft- und Solaranlagen umgerüstet werden. Zusätzlich werden mit einem Milliardenprogramm Beschäftigte zu Techniker*innen für Installation und Wartung von Anlagen für Erneuerbare Energie umgeschult. „Die Energiewende erfordert eine andere Arbeitsmarkt- und Industriepolitik“, sagte eine IG-Metall-Vertreterin.
 
Demokratische Kontrolle über Nutzung der Energie: Erneuerbare Energien werden auf absehbare Zeit ein knappes Gut mit hoher Nutzungskonkurrenz sein. Daher stehen Energieeffizienz und Vermeidung von Energieverschwendung künftig noch stärker im Fokus.  Da ein Großteil der Energie in der Wirtschaft und für Dienstleistungen verbraucht wird, muss dieser Verbrauch auf den Prüfstand. „Die Gesellschaft muss demokratisch darüber entscheiden, wofür sie die erneuerbare Energie nutzt. Wir brauchen eine Diskussion darüber, welche Produkte und Dienstleistungen sich die Gesellschaft klimapolitisch noch leisten und worauf sie verzichten kann. Es hilft nicht, einfach Verbrenner durch E-Autos zu ersetzen“, sagte ein Sprecher von Attac. „Deshalb verlangen wir, die Daten über Energieverbräuche in der Industrie offenzulegen, die die Bundesnetzagentur in den letzten Monaten im Rahmen der Energiekrise erhoben hat.“

Autor: Achim Heier

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