Aufruf von Attac Deutschland für den Aktionstag am 15. Januar 2012
Widerstand ist angesagt, Empörung und Besetzung lauten die Stichworte, unter denen seit Monaten weltweit Menschen auf Straßen und Plätze gehen und ihre Forderungen vorbringen. Die Dynamik der globalen Bewegung für echte Demokratie und gegen die Umverteilung der Lasten der globalen Krise von oben nach unten, die am 15. Oktober auch Deutschland erreichte, muss weitergehen und ins neue Jahr getragen werden. Attac ruft deshalb alle dazu auf, sich am nächsten globalen Aktionstag am Sonntag, dem 15. Januar 2012, aktiv zu beteiligen. Ähnlich wie am 15. Oktober 2011 sollen an diesem Tag wieder in möglichst vielen Städten Proteste stattfinden. Erkundigt Euch, ob in Eurer Stadt schon Aktivitäten geplant sind und bringt Euch dort ein oder ergreift selbst die Initiative, wenn es noch keine Planungen gibt. Da die Krise sich weiter verschärfen wird, brauchen wir an möglichst vielen Orten auf Dauer angelegte mobilisierungsfähige Netzwerke und Bündnisse.
Nicht erst seit Ausbruch der Krise erleben wir, wie sich besonders in Deutschland mächtige Akteure und Institutionen für einen weltweiten Abbau demokratischer und sozialer Grundrechte stark machen. Auf Druck der Bundesregierung wurden wegen der Unzufriedenheit mit der Krisenpolitik vor kurzem in Griechenland und Italien demokratisch gewählte Regierungen aus dem Amt gejagt und durch sogenannte Experten-Regierungen ersetzt. Selbst da, wo noch der Schein demokratischer Wahlen gewahrt wird, wie kürzlich in Portugal, können Wähler nicht mehr zwischen verschiedenen Programmen wählen, sondern nur noch zwischen den Gesichtern, die ein vorher feststehendes Programm umsetzen. Immer mehr EU-Staaten werden von einer demokratisch nicht legitimierten Troika aus Internationalem Währungsfonds, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank beherrscht, die vor allem auf Druck der deutschen Bundesregierung eingerichtet wurde. Politik dient nur noch dem Interesse der Investoren an profitablen Anlagemöglichkeiten. Eigentum an Finanzvermögen soll um jeden Preis geschützt werden, gleich wie es entstanden ist, gleich ob die Menschen die Lasten überhaupt tragen können, gleich ob es ökonomisch sinnvoll ist. Dem wird alles untergeordnet: Die Freiheit und der Lebenssinn der Einzelnen, die Biosphäre und auch die Funktionsfähigkeit der Demokratie. Diese Politik folgt dabei ähnlichen Prämissen wie in den vergangenen Jahrzehnten die Politik des Washington Consensus gegenüber Lateinamerika, nämlich Sozialabbau, Privatisierung und Deregulierung, die zu immer mehr Massenarmut und sozialer Spaltung führt, dort aber auch zu einer Vielzahl erfolgreicher Rebellionen dagegen.
Diese aktuelle Krise, die schwerste seit der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, ist keine reine Finanzkrise, sondern auch eine tiefe soziale und politische Krise. Aktuell zeigt sich das krisenhafte kapitalistische System wieder einmal als unbeherrschbar. Die Verschuldungskrise in vielen EU-Staaten ist sowohl Folge dieser globalen Krise als auch der Fehlkonstruktionen in der Eurozone und dem ökonomischen System und verursacht jetzt eine europäisch koordinierte Politik des Sozialdumpings, bei der Deutschland mit der Agenda 2010, Hartz IV und Lohndumping in der ersten Reihe voranmarschiert. Wird diese Politik und die durch sie geschaffenen Strukturen nicht verändert, wird sich die Spaltung zwischen arm und reich sowohl in als auch zwischen einzelnen Ländern weiter vergrößern. Aus der deutschen Geschichte wissen wir, dass dies auch ein Nährboden für Nationalismus, Rassismus und Faschismus bis hin zu Krieg ist. Die eigentlich dringend anzugehenden ökologischen Herausforderungen geraten zunehmend aus dem Blick.
Die Zeit ist reif für einen Systemwechsel. Wir dürfen die Politik nicht damit davonkommen lassen, die Akteure des Finanzmarktkapitalismus in einen Zustand zu versetzen, das Spiel von neuem zu beginnen. Technische Reparaturen am Finanzsystem sind notwendig, reichen aber nicht. Es ist Zeit für eine grundlegende Wende. Diese geht nicht ohne eine echte Demokratisierung von Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen. Die in den letzten Jahren stattgefundene Umverteilung von Vermögen von unten nach oben muss rückgängig gemacht werden. Instrumente dazu sind neben einer Vermögensabgabe, der Wiedereinführung einer Vermögenssteuer und höheren Steuern auf Kapitalerträge auch Schuldenaudits, in deren Folge Schulden sehr weitgehend gestrichen werden. Eine Finanztransaktionssteuer ist ein Instrument, um die Finanzmärkte zu schrumpfen und zu dämpfen. Privatisierte öffentliche Daseinsvorsorge muss in gesellschaftliches Eigentum zurückgeführt und die sozialen Sicherungssysteme dem Kapitalmarkt entzogen werden. Die Frage wozu wir private Banken haben müssen, stellt sich immer dringlicher. Neue Konzepte für Wirtschaftsdemokratie müssen auf allen Ebenen erarbeitet und umgesetzt werden, die auch bezüglich der ökologischen und sozialen Herausforderungen auf der Höhe der Zeit sind. All dies wird nicht an einem Tag zu erreichen sein. Aber lasst uns am 15.1. gemeinsam einen weiteren Schritt tun, diesem Ziel näher zu kommen.