Erklärung der Athener Konferenz zur Schulden und Sparpolitik
Aktions- und Solidaritätserklärung
Athen, 8. Mai 2011
Wir, Vertreter/innen von Bewegungen und Aktivist/innen aus aller Welt, sind in Athen zusammengekommen, um die Lektionen der internationalen Wirtschaftskrisen zu diskutieren und illegitimen Schulden den Kampf anzusagen, sowie dafür zu mobilisieren, dass sie zurückgenommen werden.
Unsere Solidarität gehört jenen Menschen in Europa, die gegen ungerechte Sparprogramme kämpfen, die ihnen von Regierungen, der EU und dem IWF auferlegt wurden, wie beispielsweise in den "Memoranda of Understanding" veranschaulicht wird. Wir fordern, einen Plan für wirtschaftliche Maßnahmen zu formulieren, der den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird, statt einer winzigen gesellschaftlichen Elite zu dienen.
Viele Entwicklungsländer leben seit den 1970ern in Schuldenkrisen. Nach Perioden ungezügelter Kreditvergabe durch die internationale Finanzwelt sahen sich einige der Ärmsten auf der Welt mit Kürzungen ihrer Einkommen und Sozialleistungen konfrontiert, als der IWF im Gegenzug für den Rettungsschirm, der für die Banken und Kapitalgeber/innen gespannt wurde, eine drastische Sparpolitik verhängte.
Diese Sparmaßnahmen waren ungerecht und haben nicht zur Erholung beigetragen. Stattdessen haben sie die Abhängigkeit der verschuldeten Länder von der Macht der Finanzmärkte erhöht und die Regierungen dadurch weniger rechenschaftspflichtig gegenüber ihrer Bevölkerung gemacht. Erst als eine Handvoll Länder ihre Rechte einforderte und sich gegen die Verhängung der Sparpolitik, gegen den Rettungsschirm für die Kapitalgeber/innen und gegen die erdrückende Schuldenlast auflehnte, wurde eine Erholung, zumindest für kurze Zeit, ermöglicht. So geschah es etwa 2001 in Argentinien. Andere Länder können sich diese Erfahrung zunutze machen, darunter Ägypten, Tunesien und die ganze arabische Welt, die jetzt für Demokratie kämpfen und mit den Schulden ihrer diktatorischen Regime konfrontiert sind.
Heute, im Gefolge der internationalen Wirtschaftskrise, sind periphere Länder der EU mit einer weitreichenden Schuldenkrise konfrontiert, in die sie durch die Geschäftspolitik des globalen Finanzsystems wie auch den institutionellen Rahmen und die Wirtschaftspolitik der EU gebracht wurden, die systematisch die Interessen des Kapitals begünstigen. Der Wachstums- und Stabilitätspakt hat die Arbeiter/innen in der ganzen Eurozone unter Druck gesetzt, während die Europäische Zentralbank die Interessen der Großbanken unterstützt hat. Die EU ist in einen mächtigen Kern und eine schwache Peripherie gespalten worden. Die aufgelaufenen Schulden der Peripherie sind ein Ergebnis des Abstands zum Kern, aber auch der Vertiefung der Ungleichheit zwischen den sehr Reichen und dem Rest der Gesellschaft. Arbeiter/innen und Arbeitslose, Kleinbäuer/innen, kleine und mittelständische Betriebe sind jetzt gezwungen, die Last dieser Schulden zu tragen, auch wenn sie nicht von ihnen profitiert haben.
Spar- und Privatisierungsmaßnahmen werden die Ärmsten in der Gesellschaft am schlimmsten unter Druck setzen, während über diejenigen, die die Krise hervorgerufen haben, ein Rettungsschirm gespannt wird. Der Pakt für den Euro wird den Druck auf die Arbeiter/innen verschärfen. Die Reichen und die Großunternehmen werden auch weiterhin Steuern umgehen, die für den Aufbau einer faireren Gesellschaft genutzt werden könnten. Wenn diese Maßnahmen nicht angefochten werden, werden sie immense Auswirkungen auf Europa haben und das Machtgleichgewicht für viele Jahre zugunsten des Kapitals und zu Ungunsten der Arbeiter/innen drastisch verändern.
Dem Versuch, die arbeitende Bevölkerung und die Armen die Kosten der Krise tragen zu lassen, während die sehr Reichen ungeschoren davon kommen, werden sich diejenigen, die in der Schusslinie stehen, widersetzen. Die Menschen in Griechenland, Irland und Portugal, aber auch in Polen, Ungarn, Slowenien und anderswo in Mittel- und Osteuropa lehnen sich gegen die Sparpolitik der EU und des IWF auf, widersetzen sich der internationalen Finanzmacht und weisen die Sklaverei der Schuldenpolitik zurück. Wir fordern die Menschen in der ganzen Welt auf, Solidarität mit den Bewegungen in diesen Ländern zu zeigen, die gegen die Schuldenpolitik ihre sich anschließende verheerende Politik kämpfen.
Insbesondere fordern wir Unterstützung für:
- Die demokratische Schuldenrevision als konkreten Schritt zur Schuldengerechtigkeit.
Revisionen, die die Zivilgesellschaft und die Arbeiter/innenbewegung einbeziehen, wie jene in Brasilien, ermöglichen es der Bevölkerung, festzustellen, welche Teile der öffentlichen Verschuldung illegal, illegitim, verabscheuungswürdig oder einfach nicht nachhaltig sind. Sie geben der arbeitenden Bevölkerung die Informationen und die Autorität die notwendig sind, um die Zahlung illegitimer Schulden zu verweigern. Schuldenrevisionen ermutigen außerdem zu demokratischem und transparentem verantwortlichem Handeln innerhalb der öffentlichen Verwaltung. Wir erklären unsere Solidarität mit Schuldenrevisionen in Griechenland und Irland und sind bereit, bei der praktischen Umsetzung zu helfen. - Staatliche und demokratische Antworten auf die Schuldenkrise.
Regierungen müssen in erster Linie ihrer Bevölkerung gegenüber verpflichtet sein, nicht unverantwortlich handelnden Institutionen wie der EU oder dem IWF. Die Bevölkerung von Ländern wie Griechenland müssen entscheiden, welche politischen Maßnahmen ihre Chancen auf wirtschaftliche Stabilität verbessern und ihren sozialen Bedürfnissen Rechnung tragen können. Hoheitliche Staaten behalten die Macht, ein Zahlungsmoratorium zu verhängen, wenn die Schulden die Existenzgrundlage der arbeitenden Bevölkerung zunichte machen. Die Erfahrungen von Ecuador in den Jahren 2008 bis 2009 sowie von Island in den Jahren 2010 bis 2011 zeigen, dass es möglich ist, radikale und staatliche Antworten auf den Umgang mit Schulden zu haben, die selbst die Stornierung des illegitimen Teils dieser Schulden beinhalten. Selbst UN-Resolutionen legalisieren die Einstellung von Zahlungen, wenn dies unvermeidlich ist. - Wirtschaftliche Umstrukturierung und Umverteilung statt Schulden.
Die Dominanz der neoliberalen Politik und die Macht der internationalen Finanzmärkte haben zu niedrigem Wachstum, steigender Ungleichheit sowie zu bedeutenden Krisen und der Erosion demokratischer Prozesse geführt. Es ist zwingend erforderlich, dass Volkswirtschaften durch Übergangsprogramme auf eine andere Grundlage gestellt werden, die auch Kapitalkontrolle, eine strenge Regulierung und selbst eine Vergesellschaftung der Banken einbezieht, eine Industriepolitik, die auf öffentliche Investitionen setzt, eine öffentliche Kontrolle strategischer Wirtschaftssektoren und die Achtung der Umwelt. Das erste Ziel sollte der Schutz und der Ausbau von Arbeitsplätzen sein. Von entscheidender Bedeutung ist auch, dass Länder eine weitreichende Umverteilungspolitik beschließen. Die Steuerbemessung sollte breiter und progressiver werden durch Besteuerung des Kapitals und der Reichen und damit die Mobilisierung inländischer Ressourcen als Schuldenalternative ermöglichen. Umverteilung sollte auch die Wiederherstellung der öffentlichen Daseinsvorsorge im Bereich Gesundheit, Bildung, Verkehr und Renten sowie eine Umkehrung des Drucks beinhalten, der Löhne und Gehälter nach unten drückt.
Dies sind die ersten Schritte, um den Bedürfnissen und Hoffnungen der arbeitenden Bevölkerung gerecht zu werden und das Machtgleichgewicht des Großkapitals und der Finanzinstitutionen zu verschieben. Diese Schritte würden es den Menschen in Europa und darüber hinaus auf der ganzen Welt erlauben, eine bessere Kontrolle über ihre Existenzgrundlagen, ihr Leben und den politischen Prozess zu übernehmen. Sie würden auch der jungen Generation Europas Hoffnung geben, die sich derzeit mit einer düsteren Zukunft mit Arbeitsplatzknappheit, Niedriglöhnen und fehlenden Zukunftsaussichten konfrontiert sieht. Deshalb ist der Kampf gegen die Schulden in Griechenland, Irland, Portugal und anderen Ländern Europas im Interesse der arbeitenden Bevölkerung überall.