Menü

Was sind Fallpauschalen und wie wirken sie?

Die prekäre Lage unseres Gesundheitssystems hat einen langen Vorlauf und begann bereits Mitte der 70er-Jahre mit einer Kostendämpfungspolitik, in deren Folge unter anderem das Selbstkostenprinzip der Krankenhäuser außer Kraft gesetzt wurde. Zuerst wurde die Budgetierung eingeführt, dann folgte die Einführung der DRGs (Fallpauschalen).

Spätestens seit Einführung der Finanzierung über Fallpauschalen im Jahr 2003/2004 ist in deutschen Kliniken ein Paradigmenwechsel zu beobachten: Nicht mehr die Bedürfnisse der PatientInnen stehen im Mittelpunkt des Behandlungsprozesses, sondern der betriebswirtschaftliche Gewinn, der mit jeder einzelnen Erkrankung erzielt werden kann. Von der Aufnahme bis zur Entlassung geht es vor allem darum, Diagnostik und Therapie so zu steuern, dass in möglichst kurzer Zeit alle Kriterien einer DRG-Pauschale erfüllt werden, mit der ein für den jeweiligen Fall höchstmöglicher Erlös erzielt werden kann. Je geringer der Kostenaufwand für diese Behandlung ist, das heißt vor allem je weniger Fachpersonal dafür eingesetzt wird, um so höher ist der Gewinn, den das Krankenhaus mit diesem „Fall“ erzielen und nach eigenem Ermessen verwenden kann. Heute fehlen ca. 50 000 Pfleger*innen; immer weniger offene Stellen können besetzt werden.

In diesem Finanzierungssystem gibt es keinerlei Anreize, Behandlungskapazitäten vorzuhalten, um unvorhersehbaren Krisensituationen gerecht werden zu können, denn bezahlt werden nur erbrachte Leistungen, nicht aber eventuelle in der Zukunft eintretende Katastrophen wie Massenunfälle, Havarien von Industrieanlagen mit plötzlichem Andrang unbekannter Zahlen an Verletzten, GAUs in benachbarten oder weiter entfernten Atomkraftwerken oder eben Pandemien wie wir das jetzt bei den weltweit rasant zunehmenden Covid-19-Erkrankungen erleben.
Krankenhäuser haben im Rahmen der Daseinsvorsorge neben der alltäglichen stationären Krankenversorgung aber genau diese Aufgabe: Sie sind die entscheidenden Einrichtungen unseres Gesundheitswesens, die Betroffenen helfen sollen, wenn wir mit Katastrophen konfrontiert werden – auch das ist ein Zeichen der Solidarität, dass wir als Gesellschaft in solchen Ausnahmesituationen Verantwortung übernehmen für die Opfer. Mit Krankenhäusern als gewinnorientierten Wirtschaftsunternehmen ist diese Solidarität nicht einlösbar. Wir können uns noch glücklich schätzen, dass die Vorschläge neoliberaler Thinktanks wie der Bertelsmannstifung noch nicht Realität geworden sind, die in einem aktuellen Gutachten empfohlen hat, die Zahl der Kliniken in Deutschland von 1900 auf 330 zu reduzieren und so die Prozesse in der stationären Behandlung noch schlanker und effektiver zu gestalten.

Mit Einführung der DRGs ist auch die grundgesetzlich den Ländern übertragene Planung der Krankenhausstruktur in Stadt und Land faktisch ausgehebelt worden. Ob ein Krankenhaus geschlossen wird, entscheidet heutzutage sein betriebswirtschaftliches Ergebnis. Besonders kleine Krankenhäuser auf dem Land, die für die patientennahe Grundversorgung gedacht sind, machen zunehmend Defizite, weil Leistungen der Grundversorgung vielfach im DRG-Katalog nicht auskömmlich bezahlt werden. Wenn dieses Defizit über mehrere Jahre angehäuft wird, können sich den Ausgleich die meisten kommunalen Träger nicht leisten: Die Schließung ist dann unvermeidlich, auch wenn eine Unterversorgung der Region die Folge ist. Alternativ verkauft der kommunale Träger sein Krankenhaus an einen privaten Krankenhauskonzern, der dann innerhalb weniger Jahre schwarze Zahlen erwirtschaftet durch noch schlechtere Arbeitsbedingungen der MitarbeiterInnen und oft auch durch eine interne Umstrukturierung: die nicht lukrative Geburtshilfe wird geschlossen, die Betten werden für Kapazitätserweiterungen erfolgreicher operativer Abteilungen umgenutzt – die eigentliche breite Grundversorgung geht auch auf diesem Wege verloren.
In Folge dieser den Kräften des Marktes überlassenen „Krankenhausplanung“ ist von 1991 bis 2017 die Anzahl der Krankenhäuser von 2400 auf 1942 vermindert worden. Der Anteil der Privatkliniken hingegen ist von 21,7 Prozent im Jahre 2000 auf 37 Prozent 2017 gestiegen, wobei in einigen Bundesländern wie zum Beispiel Mecklenburg Vorpommern der Anteil bei über 50 Prozent liegt (Zahlen: Statista/Bundesamt für Statistik).

Die Corona-Pandemie macht deutlich: Krankenhäuser haben eine herausragende Bedeutung für die gesundheitliche Daseinsvorsorge unserer Gesellschaft. 30 Jahre neoliberale Gesundheitspolitik haben nur den Privaten Klinikkonzernen genutzt. Sie haben seit Einführung des DRG-Systems riesige Gewinne erwirtschaftet und Deutschland den weltweit höchsten Anteil an Krankenhäusern in privater Trägerschaft beschert. Inzwischen werden jedes Jahr viele Millionen Euro Mitgliedsbeiträge von gesetzlich krankenversicherten BürgerInnen als Aktiengewinne ausgeschüttet und gehen so dem Gesundheitswesen definitiv verloren. Gleichzeitig ist unser Gesundheitssystem im Bereich der stationären Versorgung wichtigen Herausforderungen der Daseinsvorsorge zunehmend weniger gewachsen.

Es bleibt dabei: Gesundheit ist keine Ware! Sie ist ein Grundrecht für alle!

 

Fallpauschalen in der Psychatrie verhindert2016

Kämpfen lohnt sich: 2016 konnte die Einführung des "Pauschalierenden Entgeltsystems für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP)" verhindert werden. Mehr Infos git es hier.