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Die Corona-Pandemie – Ursachen und gesellschaftliche Gegenstrategien 1  Wesentliche Herausforderungen auch für Attac 2020-2021

von Margareta Steinrücke und Matthias Jochheim, Attac-Rat

"…sollte ein zoonotischer Spillover solch welterschütternden Ausmaßes uns vor Augen führen, dass die Verteidigung der wilden Natur gegen parasitäres Kapital mittlerweile einen Akt menschlicher Selbstverteidigung darstellt." (Andreas Malm, Klima/x) 

Wir erleben in diesen Monaten eine für die große Mehrheit der Menschen völlig unerwartete Bedrohung der menschlichen Gesundheit, und eine daraus hervorgegangene globale Lähmung menschlicher Aktivitäten. Auch Attac beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit diesem Thema, etwa in der aktualisierten Erklärung des KoKreises vom 12.11.2020. Was beim Rezipieren dieser Debatten auffällt – auch bei Attac: Es wird breit über die notwendigen Maßnahmen zur Linderung der Corona-Folgen diskutiert, über den defizitären Zustand des Gesundheitswesens auch in Deutschland, über Sinnhaftigkeit, Transparenz und Legitimität des Regierungshandelns in der Krise, über die Ungerechtigkeit bei der finanziellen Unterstützung derjenigen, die durch den "Lockdown" in ökonomische Bedrängnis geraten. 

Aber sehr wenig wird über die eigentliche Ursache dieser neuen Pandemie diskutiert, aus welchen Gründen diese neue Plage über die Menschheit gekommen ist. Finanzminister Scholz spricht von einer Naturkatastrophe, und das ist für viele sicher eher eine beruhigende Deutung: die Natur bringt eben ab und zu solche Desaster hervor, die Menschheit kann dann nur versuchen, die Folgen möglichst zu kompensieren. Zur psychologischen Bewältigung kann man versuchen, die schlechten Nachrichten einfach zu verdrängen, oder sie sogar als besonders tückische Lügenkampagne der Herrschenden zu interpretieren. 

Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und Pandemie 

Es gibt durchaus nachvollziehbare Motive für die gesellschaftlich dominierenden Kräfte, die breite Debatte über die Mechanismen der Naturzerstörung, die nun diese neue Pest über die Menschen gebracht haben, zu scheuen. Im offiziellen Coronadiskurs werden die Ursachen von Corona in der kapitalistischen Ausbeutung und Zerstörung der Natur weitgehend totgeschwiegen. 

Einige löbliche Ausnahmen gibt es: 

"Die Wissenschaft sagt uns, dass die Zerstörung von Ökosystemen Krankheitsausbrüche bis hin zu Pandemien wahrscheinlicher macht. Das zeigt: Die Naturzerstörung ist die Krise hinter der Coronakrise." (Bundesumweltministerin Svenja Schulze). 

"… Intensive Landnutzung, die Verbreitung von Monokulturen oder Rodungen von Wäldern führen zu einem Verlust der Artenvielfalt und verändern die Zusammensetzung der Säugetierpopulationen. Weniger Artenvielfalt bedeutet mehr Tiere einer Art im selben Lebensraum. Wenn das Ökosystem derart aus dem Gleichgewicht gerät, können sich Infektionskrankheiten besser verbreiten…" (Dr. Sandra Junglen, Institut für Virologie, Charité Universitätsmedizin Berlin)

Gut belegt ist bereits, dass circa 70 Prozent der menschlichen Infektionserreger ursprünglich aus dem Tierreich stammen, darunter das Humane Immundefizienz-Virus (HIV), Ebola, Influenza, Zika, Middle East Respiratory Syndrome (MERS), Coronavirus und Erreger des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms (SARS).

Besonders ins Auge fällt die Gefahr von Übertragungen auf Wildtiermärkten, wo Menschen und unterschiedliche Tierarten auf engstem Raum zusammen kommen und die Tiere zusammengepfercht und unter hygienisch unhaltbaren Zuständen verwahrt werden. (Infektions-Ausbruch in Wuhan, VR China)

"Der weltweite Stand der Wissenschaft ist trotz offener Fragen eindeutig: Der Erhalt intakter Ökosysteme und ihrer typischen *spillover=Übertragungseffekt Biodiversität kann das Auftreten infektiöser Krankheiten generell reduzieren. Wir Menschen sind von funktionierenden, vielfältigen Ökosystemen abhängig. Mit der Zerstörung von Ökosystemen zerstören wir auch unsere Lebensgrundlage, wie die Corona-Epidemie zeigt. Darum müssen wir uns gemeinsam für einen transformativen Wandel unserer Gesellschaft zum Schutz unserer Lebensgrundlagen einsetzen. Die Kernelemente eines solchen Wandels stellt der globale Bericht des Weltbiodiversitätsrats heraus. Es geht um nicht weniger als eine grundlegende, systemweite Reorganisation über technologische, wirtschaftliche und soziale Faktoren hinweg, einschließlich Paradigmen, Zielen und Werten." (Professor Josef Settele , Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Department Biozönoseforschung)

Solche Forderungen gehen offensichtlich weit über den Schutz der kurativen Einrichtungen hinaus, sie beschränken sich nicht auf verbesserte Krankenbehandlung, sondern zielen auf einen tiefgreifenden Umbau des gesamten ökonomischen Gefüges, an dem die Besiedlungspolitik und eben auch die Nahrungsmittelproduktion einen entscheidenden Anteil hat. Wenn wir nicht diese ökonomischen Grundlagen der Entstehung von Pandemien in den Blick nehmen und bekämpfen, kommt die nächste Seuche ganz bestimmt. Aber ebenso wie gegen eine entschiedene Politik des Klimaschutz gibt es gegen einen wirksamen Schutz der natürlichen Lebensräume, sozusagen für ein friedliches Zusammenleben sogar mit den Mikroorganismen, machtvolle und finanzstarke Gegenkräfte. Dieses Feld der Auseinandersetzung müsssen wir ebenso wie in der Klimapolitik beginnen politisch zu bearbeiten. 

Corona und Kapitalismuskritik

Aufgabe für Attac als globalisierungskritische Organisation müsste es im Zusammenhang der Coronakrise deshalb an vorderster Stelle sein, die Ursache der Pandemie in der gnadenlosen, buchstäblich über Leichen gehenden Profitorientierung der kapitalistischen Ökonomie, insbesondere in der Agrarindustrie und in den Investmentfonds, die in diese investieren, zu benennen, die Konzernstrukturen mit ihren großenteils kriminellen Praktiken dahinter aufzudecken und die fatalen Folgen in Form einerseits der Pandemie(n), andererseits der Zerstörung der Lebensgrundlagen der ansässigen Menschen und Tiere, letztlich aber aller Menschen und des Lebens überhaupt zu skandalisieren. Das ist das, was Attac als Kernkompetenz zugerechnet und von ihr/ihm im politischen Raum erwartet wird. Was nicht heißt, dass all die anderen Aktivitäten und Beteiligungen an Bündnissen zum Gesundheitswesen, zur Verkehrswende etc. nicht wichtig wären. Aber sie reichen nicht aus, um Attac im politischen Raum sichtbar, hörbar und wirksam zu machen. 

Was wir brauchen ist eine fundierte Kritik der kapitalistischen Wirtschaftsweise, bei Corona speziell im Agrarsektor und den damit zusammenhängenden Finanzmarktstrukturen, der imperialen Lebensweise mit jeden Tag ein Steak oder Hamburger auf unseren Nord-Westlichen Tellern (Wald wird v.a. für Tierfutter und Palmöl abgeholzt bzw. -gebrannt) und ein Aufzeigen der Ansätze einer anderen Wirtschafts- und Lebensweise, die sich nicht um Profit, sondern um Sorge für Mensch und Natur zentriert: "Eine andere Welt ist möglich!". Und damit präventive Umwelt-Gesundheits-Politik statt ausschließlich kurative Linderung und globale Quarantäne! Oder mit den Worten des slowenischen Philosphen Slavoj Zizek: "Der Kampf gegen das Corona-Virus kann nur als Teil eines viel grundsätzlicheren, ökologischen Kampfes geführt werden." (Kultur-zeit/3sat 9.12.20, zu seinem gerade erschienenen Buch "Pandemie!", Passagen). Nur wenn es uns gelingt, die Coronakrise als aus der gleichen kapitalistischen Produktions- und Lebensweise wie die Klima-, die Biodiversitäts- und die Flüchtlingskrise entstanden deutlich zu machen, kann es uns auch gelingen, den Verschwörungsmythen der Coronaleugner*innen den Boden zu entziehen. 

Auch wenn die Idee einer Verschwörung von Bill Gates und der Pharmaindustrie als Ursache von Corona die realen Abläufe verfehlt, sind doch mächtige Konzerninteressen der Agrarindustrie, der Bergbauindustrie, der Digitalindustrie und der großen Investmentfonds an der für Corona ursächlichen Zerstörung der Natur beteiligt und die Pharmaindustrie als eine der nach Rüstungs-industrie, Drogen- und Menschenhandel profitabelsten und korruptesten Industrien an dem Verkauf von Medikamenten zur Bekämpfung solcher Pandemien. Auch hat die These, wir lebten in einer Diktatur statt einer Demokratie, insofern ein Fundamentum in re, als die parlamentarische Demokratie tatsächlich eine kastrierte, wesentlich auf eine pauschale Stimmabgabe alle 4 Jahre beschränkte Demokratie ist, die den Wähler*innen kaum Einfluss auf konkrete Entscheidungen lässt, welche dagegen faktisch zu einem großen Teil in den Hinterzimmern des politischen Betriebs unter Einflussnahme der Interessen der Großkonzerne auf die politischen Entscheidungsträger zustande kommen. 

Systemische Ursachen benennen um kollektive Strategien zu finden

Nur wenn wir den Fokus auf diese systemischen Ursachen der Coronakrise (wie von Klima- und anderen Krisen) und damit auf die Notwendigkeit kollektiver Lösungen zu ihrer Bekämpfung legen, können wir auch die Halt- und Wirkungslosigkeit der radikal-individualistischen, äußerst kurzsichtigen Freiheitsvorstellungen der "Querdenkenden" deutlich machen, die letztlich den neoliberalen, die globalisierte Zerstörung von Mensch und Natur ermöglichenden und befördernden, Vorstellungen von Freiheit nachgebildet sind: als Freiheit, ohne Rücksicht auf Verluste auszubeuten, anzueignen und zu konsumieren, was ICH will, unter möglichst freier Entfaltung der Marktkräfte und weitgehender Zurückdrängung des Staates.

An die Stelle solch individualistischer Strategien wie "Wie stärke ich mein Immunsystem?" müssen kollektive Strategien der Stärkung des "Immunsystems" der Natur und der Gesellschaft gesetzt werden, indem die politischen Regulierungen zur Eindämmung des Raubbaus an Wäldern, Böden, Wasser, menschlicher Arbeitskraft und Gesundheit gestärkt werden und letztlich eine andere Produktions- und Lebensweise als konkret möglich beschrieben wird, die statt auf Profit und der dafür notwendigen Ausbeutung von Mensch und Natur auf Fürsorglichkeit, der Hege und Pflege von Mensch und Natur, aufbaut.

Da Verschwörungsmythen sozialpsychologisch ihre Wurzeln häufig in Angst und Verunsicherung haben, die sie mit einfachen Erklärungen bannen wollen, welche aber in der Coronakrise und den krisenhaften Entwicklungen davor seit Beginn der neoliberalen Wende vor 30 Jahren, kulminierend in der Finanzkrise 2009, reale Fundamente haben in Form von Prekarisierung, wachsender sozialer Ungleichheit, sozialer Ent-Sicherung und autoritärer Einschränkung von Demokratie, hilft es mehr, diese realen Fundamente aufzuzeigen, als die Verschwörungsideen einfach als irrational und paranoid abzutun. Dabei kann auch der Verweis auf fundierte, kritische Berichterstattung und Analysen zu den Hintergründen von Naturzerstörung, Finanzmarktinteressen und Konzernstrategien helfen, die etwa in den öffentlich-rechtlichen Sendern wie arte, 3sat, ARD und ZDF, gezeigt werden, allerdings meist zu so später Stunde, dass kein*e Normalberufstätige*r das mehr sehen kann; eine der vielen Strategien, die Medien nicht im Sinne von wirklicher Massenaufklärung zu nutzen, was mit der These von den nur Fake-News verbreitenden Medien auch verzerrt, aber nicht ganz grundlos, versucht wird zu fassen (zur Ambivalenz der Strategien der öffentlich-rechtlichen Medien s. das jüngste Video von Rezzo). 

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