Gemeinnützigkeit: Attac hat Verfassungsbeschwerde eingereicht
Attac hat Verfassungsbeschwerde gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit eingereicht. Das globalisierungskritische Netzwerk sieht sich in seinen Grundrechten verletzt, insbesondere in der Vereinigungsfreiheit (Artikel 9 des Grundgesetzes) in Verbindung mit der Meinungsfreiheit (Artikel 5) sowie dem Gleichheitssatz (Artikel 3) und dem Demokratieprinzip (Artikel 20). Nach Ansicht der Globalisierungskritiker*innen hat der Bundesfinanzhof (BFH) in seinen beiden Urteilen zur Gemeinnützigkeit von Attac die Abgabenordnung verfassungswidrig ausgelegt.
„Der Bundesfinanzhof verkennt die Bedeutung der Vereinigungsfreiheit in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Demokratieprinzip für den demokratischen Prozess. Dies führt zu einer nicht mehr verfassungskonformen Auslegung der Abgabenordnung, die mit einer Ungleichbehandlung des Klägers verbunden ist“, heißt es in der Klagebegründung.
Nicht nur politischen Parteien, sondern auch zivilgesellschaftlichen Organisationen komme im Prozess der Willensbildung die Funktion von „Transmissionsriemen“ zu, die auf Fehlentwicklungen hinweisen und damit zur demokratischen Legitimität und Stabilität der demokratischen Ordnung beitragen, argumentiert Attac in der Klageschrift. „In Vereinen kann aktiv am demokratischen Geschehen teilgenommen werden. Meinungen können geäußert, gebildet und ausgetauscht werden. Die Meinungsbildung in der Zivilgesellschaft ist für die staatliche Willensbildung in einer demokratischen Gesellschaft unabdingbare Voraussetzung und benötigt Vereinigungen, die den Willensbildungsprozess organisieren und strukturieren.“
Professor Andreas Fisahn, der Attac vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt, stellt fest: „Angesichts dieser Bedeutung der Vereinigungsfreiheit in einer pluralistischen Demokratie kann man die Abgabenordnung verfassungskonform kaum in dem Sinne auslegen, dass die Absicht, auf die Meinungsbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, expliziter Grund ist, eine Gemeinnützigkeit auszuschließen.“
Dirk Friedrichs, Mitglied im bundesweiten Attac-Koordinierungskreis, ergänzt: „Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs spricht ein autoritäres Demokratieverständnis von vorgestern. Statt eine aktive, sich einmischende Zivilgesellschaft zu fördern, sollen ihr vor allem Grenzen gesetzt werden. In Zeiten, in denen die Zustimmung zur Demokratie schwindet, ist dies ein fatales Signal.“
Mit der Verfassungsbeschwerde geht die juristische Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac nach fast sieben Jahren in die letzte Runde. Das Frankfurter Finanzamt hatte Attac 2014 die Gemeinnützigkeit mit der Begründung entzogen, das Netzwerk agiere zu politisch. Insbesondere der Einsatz für eine Finanztransaktionssteuer oder eine Vermögensabgabe diene keinem gemeinnützigen Zweck, hieß es. Ein erstes Verfahren vor dem Hessischen Finanzgericht gewann Attac. Im Revisionsverfahren sprach der Bundesfinanzhof Attac jedoch 2019 die Gemeinnützigkeit ab. In einem zweiten Urteil im Januar 2021 bestätigte er diese Sicht.
Die Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac hat Bedeutung für die gesamte Zivilgesellschaft. Bereits wenige Wochen nach dem ersten BFH-Urteil 2019 entzogen Finanzämter weiteren Organisationen die Gemeinnützigkeit.
Attac wird in dem Verfahren von Professor Andreas Fisahn und Professor Wolfram Cremer vertreten.
Für Rückfragen:
- Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas Fisahn, Universität Bielefeld, über: Attac-Pressestelle, Tel. 0151 6141 0268
- Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfram Cremer, Ruhr-Universität Bochum, über: Attac-Pressestelle, Tel. 0151 6141 0268
- Dirk Friedrichs, Vorstand Attac-Trägerverein / Attac-Koordinierungskreis, Tel. 0177 3276 659
- Frauke Distelrath, Pressesprecherin Attac Deutschland, Tel. 0151 6141 0268
Hintergrund
Das Frankfurter Finanzamt entzog Attac 2014 die Gemeinnützigkeit mit der Begründung, das Netzwerk sei zu politisch. Insbesondere der Einsatz für eine Finanztransaktionssteuer oder eine Vermögensabgabe diene keinem gemeinnützigen Zweck, hieß es zur Begründung. Bereits im November 2016 gab das Hessische Finanzgericht der Klage von Attac statt und bestätigte dessen Gemeinnützigkeit.
Auf Weisung des Bundesfinanzministeriums unter Wolfgang Schäuble beantragte das Frankfurter Finanzamt jedoch Revision beim Bundesfinanzhof in München. Das Finanzministerium trat dem Revisionsprozess auch offiziell als Verfahrensbeteiligter bei.
Der BFH hob das Urteil der ersten Instanz im Februar 2019 auf und verwies das Verfahren zurück an das Hessische Finanzgericht. In seinem viel kritisierten Urteil steckte der BFH den Rahmen für politisches Engagement von gemeinnützigen Organisationen sehr viel enger als die bisherige Rechtsprechung gesteckt und legte insbesondere den gemeinnützigen Zweck „Förderung der Bildung“ deutlich restriktiver aus. Die Richter in Kassel mussten bei ihrer erneuten Entscheidung am 26. Februar 2020 der Rechtsauslegung des BFH folgen, ließen aber ausdrücklich eine Revision zu. Am 27. Januar 2021 wies der BFH die Revision von Attac zurück. Damit ist der Rechtsweg erschöpft. Am 26. Februar hat das globalisierungskritische Netzwerk Verfassungsbeschwerde eingereicht.
Durch den Entzug der Gemeinnützigkeit dürfen Mitglieder und Unterstützer*innen von Attac ihre Beiträge und Spenden nicht mehr von der Steuer absetzen. Stiftungen und andere Institutionen können Projekte von Attac nicht mehr fördern. Zudem muss Attac Steuern zahlen, die für gemeinnützige Vereine nicht anfallen, beispielsweise Schenkungssteuern.
Gemeinsam mit anderen Organisationen hat Attac die Gründung der „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung" angestoßen, die im Juli 2015 die Arbeit aufgenommen hat. Der Allianz setzt sich für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht und eine Änderung der Abgabenordnung ein. Ihr angeschlossen haben sich mehr als 180 Vereine und Stiftungen – darunter neben Attac beispielsweise auch Brot für die Welt, Amnesty International, Medico International, Oxfam, Terres des Hommes und Campact.