Statement von Wolfgang Kaden
Konnte man von einer Kampf-Organisation wie Attac eine einigermaßen faire und ertragreiche Auseinandersetzung mit der Finanzkrise erwarten? Als ich mich am Freitag auf den Weg nach Berlin machte, war ich sehr skeptisch. Zumal die Anklageschrift voller wüster und unbewiesener Behauptungen steckte und die Richter allesamt aus dem linken politischen Spektrum stammten.
Der Freitagabend stimmt mich da auch nicht zuversichtlicher. Wolfgang Lieb hielt, als ausgewiesener Polit-Profi, eine Kampfrede nach der Devise, dass man das Publikum da abholen muss, wo es steht. Eine Rede mit klar konturierten Feindbildern, die es den Politikern und den Bankern aber mal zeigen sollte. Für Nuancen und Zwischentöne war da kein Raum, Lieb peitschte ein. Und das gekonnt.
Nach all dem umso größer die Freude am Samstag. Das Publikum ließ zwar immer erkennen, dass es mehrheitlich hinter der Anklage stand. Wo auch sonst. Aber es war absolut fair gegenüber den (Pflicht)Verteidigern, verfolgte deren Ausführungen, so weit erkennbar, mit Interesse. Die Dramaturgie war gut durchdacht, langes Geschwafel war durch den engen Zeitrahmen schwer möglich, die Gliederung in verschiedene Themen war sinnvoll. Es traten namhafte Zeugen auf, die etwas zu sagen hatten, wie Sven Giegold und Harald Schumann. Almut Hielscher hatte Recht, als sie am Sonntagmorgen sagte, während der Verhandlungen sei kaum jemand auf den Fluren des Theaters umhergelaufen sei und dies könne als bestes Indiz für die hohe Qualität des Tribunals gewertet werden. Ich ging mit einem guten Gefühl abends um zehn zum Hotel.
Umso enttäuschender dann der Sonntagmorgen. Ich hatte natürlich nicht erwarten können, dass diese fünf Richter gegen die Anklage entscheiden würden. Schließlich war die Veranstaltung eine politische, inszeniert mit einer eindeutigen Zielsetzung. Aber ein klein wenig mehr Differenzierung als in der Anklageschrift hatte ich von einem „Wirtschaftsethiker“ (Friedhelm Hengsbach), einem „Wirtschaftswissenschaftler“ Karl Georg Zinn), einer Wirtschaftsjournalistin (Ulrike Herrmann) schon erwartet.
Nichts dergleichen fand sich dann in dem Vortrag der Jury. Sie nahm kein einziges der Verteidiger-Argumente auf, sondern reproduzierte nur das, was ich schon in der Anklageschrift gelesen hatte. Das Mindeste was ich erwarten durfte, war doch, dass wenigstens eine kleine Auswahl unserer Einwände Eingang in die Urteilsbegründung gefunden hätte – auch wenn sich die Richter dann für die Anklage entschieden. Wie steht es um das Argument, beispielsweise, dass die Finanzmarktliberalisierung in Deutschland beschlossen wurde, um den heimischen Standort gegenüber den angelsächsischen Wettbewerbern zu stärken? Wie um den Einwand, dass die Regierung bei der Rettung der HRE unter extremem Zeitdruck stand? Wie um den Hinweis, dass die Deutsche Bank bei der Rettung der IKB nur in geringem Ausmaß eigene Kredite im Feuer hatte? Und, und, und.
Die Verlesung der Urteile hörte sich für mich an, als ob die Richter schon mit dem fertigen Urteils-Text angereist wären. Es fehlte jedwede inhaltliche Auseinandersetzung mit dem, was am Tag zuvor abgelaufen war. Schade. Die Jury ist ihrer Aufgabe leider nicht gerecht geworden.
Wolfgang Kaden (Autor, ehem. Chefredakteur "Der Spiegel" und "Manager Magazin")