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Wer sind die Querdenker? Zusammenfassung einer Studie über die Politische Soziologie der Corona-Proteste 

Über die Querdenken Bewegung ist bisher nicht viel sicheres Wissen bekannt. Dies fängt schon bei der groben politischen Ausrichtung an, setzt sich über die Demografie fort und stellt sich auch im Wissen über den Entstehungsprozess dar.

Glücklicherweise haben sich nun die AutorInnen der Studie Oliver Nachtwey, Robert Schäfer und Nadine Frey die Arbeit gemacht, den bisher umfassendsten Überblick über die Menschen zu verschaffen, die die Querdenkenbewegung bilden.

 

I.    Zur Aussagekraft der Studie

Die Studie steht, wie wahrscheinlich jede wissenschaftliche Untersuchung der Bewegung vor verschiedenen Problemen. Wegen der Pandemiegefahren konnten die Umfragen nicht vor Ort durchgeführt werden, sondern nur über Gruppen der Messenger App Telegram. Dabei wurden über 1150 Fragebögen ausgefüllt.
Die Wissenschaftsfeindlichkeit der Bewegung könnte dazu geführt haben, dass bestimmte Teile, vielleicht der harte Kern der Bewegung nicht teilnimmt oder absichtlich falsche Angaben macht. Das Problem der Anpassung der Antworten an soziale Erwünschtheit dürfte auch hier vorliegen. Dieser Aspekt könnte sich noch dadurch verschärft haben, dass Anhänger ihre Bewegung regelmäßig als Nazis falsch dargestellt sehen und dies durch falsche Angaben korrigieren möchten. 
Auffällig ist, dass knapp über 60 % der TeilnehmerInnen der Studie angibt, weiblich zu sein. Das ist dahingehend bemerkenswert, dass an den Querdenken Demonstrationen dem Augenschein nach nicht überwiegend Frauen teilnehmen. Nun weisen jedoch die TeilnehmerInnen einer Querdenken Messenger Gruppe nicht notwendigerweise dasselbe Geschlechterverhältnis auf wie das einer Querdenken Demonstration und dasselbe gilt dann noch einmal für die Teilnahme an einer Studie, sollte also nicht übermäßig beunruhigen. 
Zu beachten ist also, dass die Studie sicherlich Erkenntnisgewinn bringen kann, jedoch keine Repräsentanz für die Bewegung bietet.

II.    Woher kommen die Mitglieder der Bewegung?

Zunächst ist festzustellen, dass die Teilnehmer überwiegend älter und besser situiert sind. 75 % der Teilnehmer geben an, über 38 Jahre alt zu sein. Auffällig ist auch die hohe Zahl von Selbstständigen. Diese liegt bei 25 %, während der Durchschnitt in Deutschland lediglich bei 9,6 %, in Österreich bei 11,1 % und in der Schweiz bei 13 % liegt. 46 % gaben an, dass sie in ihrem Beruf schon Personalverantwortung hatten. Über 65 % der Teilnehmer geben an der Mittelschicht zugehörig sehen. Von einer sozial- oder finanziell benachteiligten Gruppe ist hier also nicht auszugehen.
An den Demonstrationen der Querdenken-Bewegung waren vor allem zwei Dinge auffällig. Zum einen die Skurrilität, die sich in Kostümen, Ausdruckstänzen schlicht nicht zueinander passen wollender Fahnen und absurd wirkender Einschätzungen der Lage zeigte, sowie die offene Präsenz rechtsradikaler Symbolik. 
Bilder wie die zahlreichen Flaggen des deutschen Kaiserreiches auf den Stufen des Reichstags vom 29. August 2020 erwecken den Eindruck einer rechten Bewegung. Unterstützende Aktionen wie die Nominierung der Querdenken, Bewegung für die Auszeichnung, „Botschafter für Demokratie und Toleranz“ durch einen AFD-Abgeordneten oder die Selbstbezeichnung als „parlamentarischer Arm der Bewegung“ durch den Berliner Landesverband der AFD verstärken diesen Eindruck. Das vollständige Abdriften der Querdenken Galionsfigur Hildmann in die rechtsradikale Reichsbürger-Ideologie sowie die Nähe des „Volkslehrers“ Nikolai Nerling zu den Organisatoren der Querdenken-Demonstrationen zeigen zudem, dass der Rechtsradikalismus auch im Kernbereich der Querdenken-Bewegung zumindest unproblematisch toleriert wird. 
Die Angaben der Studie zeigen jedoch, dass der Eindruck einer rechten Bewegung zumindest unvollständig ist. Die Studie nimmt als Referenzstudie die Leipziger Autoritarismus-Studie, übernimmt also einige Fragen. Im Vergleich zeigen die Teilnehmer der Studie über die Querdenken Bewegung in ihren Antworten weniger rassistische Ansichten als die Normalbevölkerung. Gleichermaßen werden autoritäre und sozialdarwinistische Ansichten werden deutlich abgelehnt. Dazu passen auch die Angaben zum Wahlverhalten. Auf die Frage, welche Partei von den Teilnehmenden bei der letzten Bundestagswahl gewählt wurde, liegen die Grüne Partei und die Partei Die Linke mit 23 %, bzw. 18 % auf den beiden vorderen Plätzen. Darauf folgt jedoch die AFD mit 15 %.
Auffällig ist in diesem Kontext jedoch die Abfrage einer antisemitischen Haltung. Die Aussage „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß“ wird mit 3,21 % für „stimme voll und ganz zu“ und 2,95 % für „stimme zu“ weniger befürwortet als in der Normalbevölkerung. Dies wird dadurch unterminiert, dass fast 30 % der Teilnehmenden keine Angabe machen wollen. Antisemitische Einstellungen sind allerdings regelmäßig Bestandteil verschwörungstheoretischer Ideologien und hier weniger durch eine Zugehörigkeit zu rechten Milieus zu erwarten.
Es ist also anzunehmen, dass der größte Teil der Querdenken Bewegung aus einem besser situierten, überwiegend eher linken Mittelschichtsspektrum stammt. Die starke Präsenz rechter Figuren auf den Demonstrationen lassen jedoch darauf schließen, dass die Gruppe dennoch heterogen und zumindest nach rechts fast unbegrenzt offen ist. Dies macht auch klar, dass es sich hier um eine sehr untypische politische Formierung handelt, die zwar einerseits tendenziell aus der gesellschaftlichen Linken kommt, allerdings praktisch keine Abgrenzung nach rechts vornimmt. 
Der Umstand, dass fast die Hälfte der Demonstranten vor den Coronaprotesten an überhaupt keinen Demonstrationen teilgenommen haben und noch einmal über 30 % bisher nur an maximal 5 Demonstrationen teilnahmen, zeigt auch, dass die Bewegung sehr wenig aus den bisher politisch aktiven Lagern schöpft. Deutlichere Gemeinsamkeiten als solche in der gemeinsamen politischen Herkunft finden sich in anderen Bereichen. Neben verschwörungstheoretischen Einstellungen liegen diese auch in esoterischen und anthroposophischen Vorstellungen. Lediglich 6,1 % lehnen die Aussage „Mehr spirituelles und ganzheitliches Denken würde der Gesellschaft guttun“ ab. Bei der Aussage „Alternativmedizin sollte mit Schulmedizin gleichgestellt werden“, sind es 8,3 %. Auch unter Beachtung des Umstands, dass diese Studie durch verschiedene Ursachen nicht repräsentativ ist, wird deutlich, dass sich die Querdenkenbewegung zum überwiegenden Teil aus esoterischen Menschen zusammensetzt. Auf die daraus folgende Frage, nämlich ob diese starken esoterischen Ansichten sich erst durch eine Radikalisierung innerhalb der Bewegung ergeben haben, oder ob sich die Bewegung aus unklaren Gründen in der überwiegenden Mehrheit aus dem Bevölkerungsanteil mit solchen Ansichten rekrutiert, kann die Studie leider keine Antwort geben. 

III.    Geringes Vertrauen in Institutionen und Verschwörungstheorien

Erwartbar gering war das Vertrauen der Teilnehmenden in große Teile der Institutionen. Insbesondere den Massenmedien und der Regierung sprachen die Teilnehmenden zu etwa 90 %, bzw. 85 % ein geringes Vertrauen zu. Aber auch der EU, der UNO, Banken, politischen Parteien und dem Parlament trauten die Menschen überwiegend nicht. Die Justiz kommt dabei mit etwa 30 % hohem Vertrauen und etwa 40 % moderatem Vertrauen im Vergleich noch relativ gut weg. Ähnliches gilt für die Polizei, die mit etwa 20 % hohem Vertrauen und etwa 40 % moderatem Vertrauen, im Gegensatz zu dem oben genannten noch relativ gut dasteht. Im Vergleich zum gesellschaftlich sehr hohen Vertrauen in Justiz und insbesondere Polizei, liegt das Vertrauen hier dennoch deutlich niedriger. 
Insgesamt steht ein großer Teil der Bewegung verschwörungstheoretischen Ansichten positiv gegenüber. Besonders Politiker und Medien kommen dabei wieder besonders schlecht weg. Nur etwa 4 % der Teilnehmenden lehnt die Aussage ab, dass diese „unter einer Decke“ stecken würden. Auch der ebenfalls sehr unkonkreten These „Die Regierung verschweigt die Bevölkerung die Wahrheit“ wird deutlich zugestimmt. Populär, wenn auch nicht derart eindeutig sind konkrete Thesen wie „Die Bill & Melinda Gates Fundation will eine Zwangsimpfung für die ganze Welt“. Diese Aussage lehnen zwar nur etwa 10 % ab, aber die Zustimmung ist umgekehrt auch nicht so deutlich wie die zu den oben zitierten allgemeineren Aussagen. Noch deutlicher wird das bei der Frage danach, ob die Regierungen planen, der Bevölkerung Mikrochips implantieren wollen, um sie besser überwachen zu können. Die am meisten genutzte Möglichkeit war mit 32 % hier „Keine Angabe“. Die Querdenkenbewegung ist damit Verschwörungstheorien deutlich zugetan. Darüber, dass allgemein etwas von finsteren Hintermännern im Busch ist, ist man sich einig. Bei konkreten Annahmen findet sich häufig überwiegend vage Zustimmung, dort (?) findet sich die Einigkeit, die sich bei unkonkreten Aussagen findet, nicht wieder. Weitere Umfragen, die eine Vielzahl von konkreten Ansichten abfragt, wäre hier sicherlich interessant, um die aktuelle Ausrichtung der Bewegung abzufragen, d. h. um festzustellen, ob sich ein Kanon gemeinsamer Ansichten entwickelt oder ob die Bewegung gegenüber konkreten Aussagen und Feststellungen auf Distanz bleibt und das „skeptisch sein“ und „für möglich halten“ zum gemeinsamen Nenner erklärt bzw. längst hat.
Einzig unpopulär ist die Annahme, dass Studien über den Klimawandel gefälscht sind. Der stimmen nur etwa 11 % zu, allerdings möchten 24 % keine Angabe machen. Dies ist eine verbreitete Verschwörungstheorie in rechten Kreisen und bestätigt die Annahme, dass die Teilnehmenden der Bewegung sich in großen Teilen nicht aus diesen Kreisen rekrutiert haben. 

IV.    Über die Wahrnehmung der eigenen Möglichkeiten

Interessant sind die Angaben zur Wahrnehmung der eigenen Selbstwirksamkeit der Teilnehmenden. Nur etwa 5 % geben an, mit ihrem Engagement die Politik in diesem Land „vollkommen“ beeinflussen zu können, dazu kommen noch etwa 10 %, die dabei „weitgehend“ wählten. Die meisten gaben mit 45 % „teilweise“ an. Etwas unter 40 % standen dieser Idee damit negativ gegenüber. Erstaunlicherweise schrieben die Teilnehmenden der Frage nach dem Sinn von Wahlen mit kumulierten 35 % damit einen mehr als doppelt so hohen Sinn zu, wie der Wirksamkeit ihres Engagements. Etwas Abweichung mag sich hier aus einer anderen Fragestellung ergeben, eine Wahl kann immer noch eine symbolische Funktion haben, auch wenn sie nichts bewirkt, aber mit Blick auf das geringe Vertrauen in das parlamentarische System zeigt sich hier dennoch eine hohe Widersprüchlichkeit. Insgesamt lässt die Wahrnehmung der geringen Wirksamkeit eigener politischen Handlungen verschiedene Schlussfolgerungen zu. Es könnte bedeuten, dass die Bewegung in Relation zu ihrer Größe nur wenige auf die Straße mobilisieren kann, die Basis der Bewegung also eine erhebliche Größe hat. Es bedeutet wahrscheinlich bei vielen die Wahrnehmung einer gewissen Ausweglosigkeit, die in Anbetracht der häufig doch sehr extremen Wahrnehmung von meist nicht realen Bedrohungen zu Verzweiflungsmaßnahmen führen könnte. Es könnte auch schlicht eine realistische Einschätzung der geringen Anschlussfähigkeit der eigenen Bewegung an die Gesamtbevölkerung ausdrücken.

V.    Fazit

Die Querdenkenbewegung ist eine heterogene Bewegung. Sie rekrutiert sich überwiegend nicht aus bisher existierenden politisch aktiven Lagern wieder. Eine deutliche Mehrheit dieser Gruppe verortet sich in der Mittelschicht. Eine Zuordnung zum klassischen rechten Spektrum kann aktuell nicht bestätigt werden. Ein beunruhigender Marker lässt sich jedoch in der Frage nach antisemitischen Ansichten finden. Während zum Zeitpunkt der Umfrage ein sehr geringer Teil solche angeben wollte, aber etwa 30 % keine Angabe machen wollten, ist denkbar, dass eine weitere Radikalisierung der Bewegung einen offenen, selbstbewussten Antisemitismus hervorbringt. Eine Tendenz zur erhöhten Annahme von rassistischer Ideologie scheint trotz praktisch unbegrenzter Offenheit nach rechts nicht vorzuliegen. Zum Umgang mit der Querdenken Bewegung sollte sich ins Bewusstsein gerufen werden, dass hier keine überwiegend rechte Bewegung vorliegt. Antifaschistische Strategien müssen zumindest angepasst werden.


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