Wenn Frauen* streiken verändert sich die Welt
Dass Frauen für eine andere Welt ist nicht neu. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts traten Frauen in den Gebärstreik, um gegen den Krieg zu protestieren. Und auch vorher waren Streiks oft von Frauen getragen. Am bekanntesten ist der „Weberaufstand“ 1844 in Schlesien, der mehrheitlich von heimarbeitenden Weberinnen getragen war. In der russischen Revolution waren es maßgeblich Frauen, die mit für den Erfolg gekämpft haben. Nicht zuletzt waren es 1917 die Arbeiterinnen im zaristischen Russland, welche für Brot und für die Beendigung des Krieges zu Tausenden auf die Straße gingen und einen politischen Frauenstreik so zuspitzten, dass dieser in die Russische Revolution mündete. In Russland wurde die erste Frau überhaupt Ministerin. Alexandra Kollontai – Volkskommissarin für soziale Fürsorge.
Die Crimmitschauer Fabrikarbeiterinnen riefen von 1903 bis 1904 fast ein halbes Jahr lang zum Streik für bessere Arbeitsbedingungen auf. In Deutschland erstritten 1979 die sogenannten Heinze-Frauen, Arbeiterinnen eines Gelsenkirchener Fotolabors, vor dem Bundesarbeitsgericht in Kassel ein Urteil gegen Lohndiskriminierung. 1994 streikte eine Million Frauen in Deutschland gegen schlechte Arbeitsbedingungen, den Abbau von Sozialleistungen und für das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung. In ihrem Aufruf hieß es: „Jetzt streiken wir! Frauen werden die Hausarbeit niederlegen, betriebliche Aktionen bis zum Streik durchführen, nicht einkaufen, nicht mehr höflich lächeln, nicht nett sein, keinen Kaffee kochen und die Kinder den Männern mit auf die Arbeit geben. Auffällig und frech werden wir unsere Gemeinsamkeit und unsere Solidarität bekunden. (…) Wir wollen die gleichmäßige Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit unter Frauen und Männern.“ [i] Dieser Streik ist bis heute fast aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden.
Seit den Frauen*streik-Aktionen 2018 wandert er Stück für Stück ins Gedächtnis zurück. Und was passierte 2009 – heute: es gab den Streik der Putzfrauen, im Einzelhandel, sozial- und Erziehungsdienste, Krankenhäusern und Kliniken. 2018 streikten Frauen in 177 Ländern auf der ganzen Welt am internationalen Frauentag. Besondere Aufmerksamkeit bekam dabei der Massenstreik in Spanien: Mehr als 5 Millionen Frauen legten die Arbeit nieder und übertrafen damit alle Erwartungen. In ganz Spanien wurde mit dem Slogan „Wenn wir streiken steht die Welt still“ gegen Gewalt, Diskriminierung, unbezahlte Care-Arbeit und die Prekarisierung in der Erwerbsarbeit. In Argentinien und Polen gingen Frauen* für ihr Recht auf Selbstbestimmung auf die Straße. In Chile besetzten sie die Universitäten. Die Idee des Frauen*streiks war nicht nur geboren, er fand 2018 in vielfältigen Formen statt – international.
Wir treten in die Fußstapfen dieser streikenden Frauen*. Die Zeit der dritten Welle der Frauen*bewegung steht an. Gründe für einen feministischen Streik gibt es nach wie vor – auch in Deutschland. Unsere Forderungen sind weiter aktuell. Sie beginnen bei der Bezahlung und Bewertung von Arbeiten, hören dort aber nicht auf. Alle Bereiche des Lebens und der Gesellschaft geraten in Bewegung und müssen in Bewegung gesetzt werden. Unser Streik zielt auf eine neue Verteilung der Arbeiten: in der Familie, in Beziehungen, im Alltag und in der Politik.
Wir wollen uns nicht mehr zwischen Beruf und Privatleben zerreißen, „Quotenfrauen“ genannt werden und weniger Geld für die gleiche Arbeit erhalten, während ein Großteil unserer Arbeit nicht mal als solche anerkannt wird. Wir haben genug davon, dass Armut auch in Deutschland vor allem uns Frauen* betrifft und der Reichtum einzelner die Armut der vielen ist. Wir haben genug davon, dass wir im Alter schlechtere Renten bekommen. Wir haben genug davon, dass an unseren Arbeitsplätzen schlechte Arbeitsbedingungen herrschen. Wir ertragen nicht länger, dass wir Kleidung tragen, in der die Armut und Ausbeutung von Frauen* in anderen Ländern steckt.
Unsere Arbeiten tragen diese Welt und machen sie auf unerträgliche Weise erträglich.
Aus dem Aufruf zum Frauen*streik 2019:“Wir wollen streiken, weil… wir in einer Welt leben wollen, in der jede Arbeit wertgeschätzt wird …wir uns nicht länger ausbeuten lassen, weder zu Hause, noch bei der Lohnarbeit…weil wir das Ende des Pflegenotstandes, des Mangels an kostenloser Kinderbetreuung, die Aufwertung der Hebammen- und der Reinigungsarbeit verlangen…weil es nicht sein darf, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken und die, die es nach Deutschland schaffen, entrechtet werden“[ii]
Der Streikbegriff hat es möglich gemacht, dass sich die verschiedenen Kämpfe leichter aufeinander beziehen können. Auch wenn nicht massenhafte betriebliche Streiks stattfanden, haben Frauen auch in Deutschland den Streik als Kampfmittel mit eigenen Aktionen wieder gefunden.
Zahlen und Bilder sind nur ein Teil der Geschichte:
- Der Streik beschränkt sich ganz explizit nicht nur auf Lohnarbeit, sondern schließt die unbezahlte Sorge-, Erziehungs-, und Haushaltsarbeiten mit ein.
- Viele Forderungen zielen jedoch auf eine andere Ebene: es geht um einen höheren Lohn in den Pflegeberufen, einen flächendeckenden Mindestlohn, das Ende von Privatisierungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, und die Anerkennung von geschlechtsspezifischen Fluchtursachen.
- Die gemeinsame solidarische Organisierung von FLINT Menschen ist ein politischer Erfolg. 2019 war nur der Anfang der neuen Frauen*streik-Bewegung in Deutschland.
Wir machen weiter. 2020 ist der 8. März ein Sonntag und damit ein Tag, an dem viele Frauen zwar keiner Erwerbstätigkeit nachgehen müssen, an diesem Tag aber vermehrt Carearbeit leisten. Auch die Zahl der Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, ist an einem Sonntag höher als anderen Tagen.
Ihr wollt euch weiter einbringen, mitarbeiten, euch beteiligen am Frauen*streik und habt keine Streikgruppe vor Ort oder sucht noch? Dann schickt uns eine Mail an : frauenstreik19@riseup.net und ihr werdet in den Verteiler mit aufgenommen.
[i] www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0119.html
Download als PDF