Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage
Zuerst einmal: Es ist eine rundum erfreuliche Entwicklung, dass es eine neue Diskussion um die Notwendigkeit von Vergesellschaftung gibt. Sie stellt eine zentrale Kategorie unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in Frage: das Privateigentum an Produktionsmitteln. Wer die Macht hat, darüber zu entscheiden, was und wie produziert wird, entscheidet über unsere Zukunft.
Das Buch mit dem Untertitel. „Wie wir unsere Gesellschaft gerechter, zukunftsfähiger und resilienter machen können“ versammelt 34 Beiträge, die sich aus sehr unterschiedlichen Perspektiven mit „Vergesellschaftung“ befassen. Die Einordnung der Beiträge in Kapitel war sicher nicht einfach und lässt bisweilen an Trennschärfe vermissen. Dankenswerterweise wurde allen Beiträgen ein Abstract vorangestellt, an dem mensch sich orientieren kann. Die Seitenzahlen in Klammern verweisen jeweils auf die zitierten Beiträge.
Eingeleitet wird das Buch mit einigen kernigen Sätze, die deutlich machen sollen, wohin die Reise geht, wie z.B. die Aussage von Bini Adamczak, der mensch nur zustimmen kann: »So, wie es wichtig war, dass die Menschen irgendwann mal beschlossen haben, dass es notwendig ist, Königshäuser zu stürzen, so ist es auch wichtig, dass Leute sagen, dass das Kapital einfach enteignet gehört.« (11)
Oder auch ein Statement von Eva von Redecker, das sicherlich eine nähere Betrachtung lohnt: »Vergesellschaftung hat das Potenzial, die Welt zu retten. Eine bessere Idee haben wir gar nicht auf dem Tisch.«. Worin besteht das Potential von Vergesellschaftung? Wovor soll sie uns retten? Und wie könnte die Idee realisiert werden?
Marc Fisher betont in seiner ‚Flugschrift‘ „kapitalistischer realismus ohne alternative“, dass eine emanzipatorische Politik 1. immer den Anschein einer ‚natürlichen Ordnung‘ zerstören und aufdecken müsse, dass das als notwendig und unausweichlich Dargestellte auch ganz anders sein könnte. Ebenso müsse sie 2. das als erreichbar sichtbar machen, was zuvor als unmöglich erschien.1)
Kann „Vergesellschaftung“ diese beiden Bedingungen erfüllen? Mit dieser Fragestellung habe ich das Buch gelesen und, da ich – mensch möge es mir nachsehen – nicht auf alle 34 Beiträge eingehen kann, gebe ich dazu im Folgenden meine Eindrücke wieder.
Dabei ist zu bedenken, dass unter „Vergesellschaftung“ nicht alle im Buch versammelten Autor*innen das Gleiche verstehen. Wie Christopher Schmidt in seinem Beitrag schreibt: „Der Begriff der Vergesellschaftung ist vielschichtig und nicht leicht zu fassen. Hinter ihm verbirgt sich kein einheitliches Konzept, sondern ein schillerndes Spektrum an gemeinschaftlichen Eigentumsformen, politischen Strategien und demokratischen Organisationsstrukturen.“ (53) Dem kann mensch nach Lektüre des Buches nur zustimmen.
Aber bei allen Unklarheiten haftet dem Begriff „Vergesellschaftung“ doch eine Ahnung an, dass das Privateigentum nicht naturgegeben ist, sondern zu einer menschengemachten Ordnung gehört, die auch ganz anders sein könnte. Das erinnert mich an Diskussionen in der IG Metall, in denen der Satz aus §2 der Satzung: „Aufgaben und Ziele sind insbesondere: Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“ auch immer als Türöffner für eine bessere, nicht kapitalistische Gesellschaft verstanden wurde. Solchen utopischen Überschuss meint Eva von Redecker wohl, wenn sie von Weltrettung spricht. Der Begriff öffnet die Tür zu einer Welt abseits vom Profitzwang, »in der wir pflegen, statt zu beherrschen, teilen, statt zu verwerten, regenerieren, statt zu erschöpfen und retten, statt zu zerstören«.2)
Vergesellschaftung hat also durchaus das Potential zu einer wichtigen Forderung in einer emanzipatorischen Politik zu werden – vor allem dann, wenn der Begriff nicht heillos überfrachtet und zum globalen Heilsbringer für alles Schöne und Gute aufgeblasen wird (Siehe Beiträge wie „Die Welt vergesellschaften“ oder „Globale Gerechtigkeit durch Vergesellschaftung“) Bei der zweiten Bedingung allerdings, Vergesellschaftung auch als erreichbar sichtbar zu machen, bleibt – nicht zuletzt auf Grund der Unklarheit des Begriffs – noch einiges zu tun. Das gelingt eigentlich nur bei Konzentration auf konkrete Bereiche wie Wohnen oder Energieversorgung.
Bevor ich mich damit beschäftige, will ich aber noch auf zwei Themen eingehen, die in fast allen Beiträgen eine Rolle spielen: Wachstumskritik und Demokratie.
Die meisten Beiträge gehen davon aus, dass die Vergesellschaftung ein Mittel ist, den „kapitalistischen Wachstumszwang“, das „Wachstumsparadigma“ oder die „Wachstumsideologie“ sozusagen im Selbstlauf zu überwinden. Ich teile die Hoffnung, dass das gelingen möge, aber ich hätte mir angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung, angesichts von Millionen Menschen, die an Hunger und von Millionen Kindern, die am Mangel von Medikamenten sterben, doch gewünscht, dass die Frage, was schrumpfen und was wachsen soll, etwas genauer gestellt worden wäre. Meistens wird m.E. nicht einmal klar, worauf sich die Wachstumskritik bezieht: auf den Ressourcenverbrauch, auf die Produktion (auf welche?), auf den Konsum oder auf das BIP?
Sicher gibt es Bereiche, die stark schrumpfen müssen, z.B. in den Rohstoffindustrien und bei umweltbelastenden Konsumgütern, aber sinkende Ressourcenaufwendungen können durchaus einhergehen mit einem global wachsenden Aufkommen an Arbeit - allein die Sanierung der maroden Gesundheits- und Bildungssysteme würde ein immenses Wachstum bezahlter Care - Arbeit erfordern. Aber Wachstum ist sicher auch in anderen Branchen, die wir etwa für die Energie- oder Verkehrswende brauchen, notwendig.
Das Kernproblem des Kapitalismus besteht ja darin, dass es – wie es auch von vielen Autor*innen dargelegt wird - keine gesellschaftliche Kontrolle über Produktions- und Investitionsentscheidungen gibt. Das zu verändern, wäre die Vergesellschaftung der Produktion grundsätzlich das richtige Mittel, denn es „muss um eine (selbst)bewusste menschliche Entwicklung unter der Berücksichtigung der Naturgesetze gehen. Nicht irgendein abstraktes Wachstum ist das Problem, sondern das blinde, profitgetriebene. Eine ökosozialistisch gewendete Degrowth-Theorie müsste berücksichtigen, dass es nicht nur um einen massiven Rückbau gewisser Industrien geht, sondern ebenso um einen Umbau inklusive gewaltiger Infrastrukturmaßnahmen etwa für die Energiewende. Aber auch andere Produktionszweige, Ökolandbau oder die Fahrradproduktion beispielsweise, müssten wachsen und nicht schrumpfen.“
All das müsste allerdings demokratisch ausgehandelt werden. Darin sind sich alle einig: Vergesellschaftung heißt nicht Verstaatlichung und nicht 5-Jahrespläne, sondern Ermächtigung aller Betroffenen und Demokratisierung wirtschaftlicher Entscheidungen. »Lebten wir aber eine kooperative Vergesellschaftung, würde die Gesellschaft demokratisch darüber entscheiden, wie die Produktionsmittel – Maschinen, Land, Computer und Bürogebäude – eingesetzt werden, und zwar bevor etwas produziert wird.«
Das umreißt dann aber auch das Problem. Einen solchen Verständigungsprozess zu organisieren ist weder einfach, noch - aller Voraussicht nach - vergnüglich. Und war desto weniger, je größer der zu regelnde Bereich ist. Die Hoffnung, die in vielen Beiträgen spürbar wird, dass die Menschen, die täglich den demokratischen Sektor verlassen, um in den Betrieben einer fremdbestimmten Arbeit nach zu gehen, es dann schon schaffen, sich zu organisieren, wenn sie endlich die Möglichkeit dazu haben, trügt. Und für die Gewissheit, dass demokratische Entscheidungen dann schon ökologisch sein werden, gilt das erst recht.
Dass Demokratisierung nicht nur eine Lösung, sondern auch ein Problem darstellt und durchaus voraussetzungsvoll ist, wird in zwei Beiträgen behandelt, die hier besondere Erwähnung finden sollen. In „Vergesellschaftung zukunftweisend gestalten“ (125) heißt es:
»Es bleibt in … Diskursen zu Vergesellschaftung oft unklar, welche Voraussetzungen für eine Demokratisierung ökonomischer Prozesse erforderlich sind und welche Beteiligungs- und Organisationsformen sich dafür eignen. … Darüber hinaus wird Demokratie sowohl als Ziel als auch als Instrument zur Förderung gesellschaftlichen Wandels genannt. Dies geht oft mit einer sehr optimistischen, wenig begründeten Einschätzung des transformativen Potenzials von Demokratisierung einher.«
Die fünf Prinzipien, die dann entwickelt werden, werden auch in Bezug auf historische und gegenwärtige Vergesellschaftungsvorhaben diskutiert, wie ‚Lucas Aerospace‘ (britisches Rüstungsunternehmen 70er Jahre), ‚Empresas Recuperadas‘ in Argentinien, ‚GKN‘ (Autozulieferbetrieb Florenz 2021) und ‚Deutsche Wohnen &Co enteignen‘.
»In Vergesellschaftungsvorhaben ist die Bejahung von Konflikt besonders wichtig, wenn sie den Anspruch haben, demokratisierend und sozialökologisch transformativ zu wirken. Nur wenn agonistisch über verschiedene Interessen in der demokratischen Verwaltung von Produktionsmitteln gestritten wird und es einen geeigneten Rahmen gibt, Entscheidungen anzufechten und neu zu verhandeln, kann von einer demokratischen Vergesellschaftung gesprochen werden.« (131)
Ca. 150 Seiten weiter stellt Heiner Koch in „Vergesellschaftung als Entprivatisierung der sozialökologischen Transformation“ (285) die demokratische Gestaltung letzterer in den Mittelpunkt seiner Überlegungen.
» Für eine sozialökologische Transformation sind mindestens vier Probleme zu lösen:
- Im Kapitalismus fehlt ein umfassendes kollektives Handlungssubjekt, das über hinreichende Kontrolle verfügt, um den Transformationsprozess einzuleiten.
- Anstelle autoritärer Lösungen (Ökodiktatur) braucht es einen demokratischen Transformationsprozess.
- Die ökologisch notwendige Transformation muss soziale Unterschiede verringern und nicht verstärken.
- Es muss sich eine Bewegung herausbilden, die bereit ist, die ersten drei Punkte zu erkämpfen.«
Im Folgenden wird dargelegt, ob und wie Vergesellschaftung eine Antwort auf o.g. Herausforderungen sein kann. Dabei wird Vergesellschaftung als Entprivatisierung auf drei Ebenen verstanden: 1. der Verfügungsrechte: Gemeineigentum statt Privateigentum, 2. der Verfügungsweise: demokratische Planung statt Markt, 3. des Verfügungszwecks: Gemeinnützigkeit statt Profitorientierung. Natürlich werden viele Fragen nur angerissen – so z.B. die, ob „Wirtschaftsdemokratie“ in der historisch gedachten Form eher nützlich oder schädlich für einen demokratischen Vergesellschaftungsprozess sind, weil es absehbar zu Konflikten zwischen betrieblichen und gesellschaftlichen Zukunftsvorstellungen kommt.
Im Fazit wird bejaht, dass Vergesellschaftung auf die ersten drei Probleme eine Antwort geben kann. In Bezug auf den vierten Punkt zieht Heiner Koch den Schluss: »Damit das Vergesellschaftungsprojekt attraktiver Bezugspunkt für eine sozialökologische Transformation sein kann, ist es notwendig, dass Kämpfe erfolgreich geführt werden können. Dies ist wahrscheinlicher, wenn Vergesellschaftung nicht zu anspruchsvoll verstanden wird. Teilsozialisierungen sollten etwa nicht diskreditiert werden, aber gleichzeitig der utopische Überschuss der Vergesellschaftung nicht verloren gehen.«
Die Erfahrung spricht m. E. für die Richtigkeit dieser Überlegung. Eine Kampagne zur Vergesellschaftung ist umso erfolgreicher, je genauer sowohl das Ziel als auch der Weg dorthin beschrieben und vermittelt werden kann. In jeder Hinsicht beispielhaft ist dafür sicherlich die Kampagne „DEW & Co enteignen“. Ein „Gespräch über Organizing bei DWE auf dem Weg zur Vergesellschaftung“ (375) gibt einen Einblick in die Entwicklung und in den beeindruckenden Umfang der theoretischen und praktischen Arbeit, die dort geleistet worden ist. Dagegen fallen die Projekte, die im Kapitel „Vergesellschaftung und Wohnen“ (437 und 453) dargestellt werden, natürlich ab. Sie zeigen aber, dass es durchaus viel Zuspruch und inspirierende Ideen dafür gibt, der ungezügelten Privatisierung von Wohnraum in den letzten Jahrzehnten3) Commons-Projekte entgegenzusetzen.
Der zweite Bereich, in dem es konkrete Ideen zur Vergesellschaftung gibt, ist der Energiesektor (411 und 423), der allerdings nicht nur erheblich komplexer als die Wohnungswirtschaft ist, sondern mit den großen Energieunternehmen auch mehr Reichtum und Macht gegen solche Umsturzpläne mobilisieren kann.
Andererseits würde eine positive Antwort auf die beiden eingangs zitierten Bedingungen für emanzipatorische Politik (Marc Fisher) durch den Hinweis erleichtert, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass die Kommunen ihre Stadtwerke verkauft haben und die Energiewirtschaft privatisiert wurde. Die Menschen hätten sich 1990 wohl auch nicht vorstellen können, dass die Privatisierung von Gas – und Stromnetzen mit einer staatlichen Garantie überdurchschnittlicher Gewinne verbunden ist. (414)
Es kann bei der Vergesellschaftung des Energiesektors aber natürlich nicht darum gehen, die alten Strukturen wiederherzustellen, sondern – so Thomas Eberhardt-Köster: »Stadtwerke, Netzanstalten und Kraftwerke sollen so organisiert werden, dass neben den Kommunen auch Umwelt- und Sozialverbände sowie Stromkund*innen und Beschäftigte in den Entscheidungsgremien vertreten sind, damit die Unternehmen nach sozialen und ökologischen Kriterien gesteuert werden. Die Vergesellschaftung soll nicht in Form eines einzigen Staatskonzerns erfolgen, sondern in Form einer gesellschaftlich gestalteten und demokratisch kontrollierten Netzstruktur mit unterschiedlichen Organisationsformen und Akteur*innen.« (423) Es werden also nicht nur Konzerne in den Blick genommen, sondern – gemäß einem erweiterten Begriff von Vergesellschaftung - »auch andere Formen kollektiven Eigentums wie Genossenschaften und ähnliche … Zu diesen vergemeinschaftlichten Strukturen gehören dann sowohl Produzierende als auch Konsumierende. Häufig werden sie in solchen Strukturen gleichzeitig beides sein.« (428)
Das ist insgesamt überzeugend, aber eine Crux bleibt: es geht eben auch um Konzerne und zwar um Konzerne, die international agieren und dabei nicht selten für Umweltzerstörung und Ausbeutung der indigenen Bevölkerung verantwortlich sind. Im Beitrag der Kampagne „RWE & Co enteignen“ (361) wird deutlich, wie schwierig es ist, an dieser Stelle voran zu kommen. Einen Volksentscheid über die Enteignung und die Überführung von RWE in eine Anstalt öffentlichen Rechts in einem Flächenstaat wie NRW zu gewinnen, ist ja aus verschiedenen Gründen noch mal eine ganz andere Herausforderung als in Berlin.
Überdies ist der neokoloniale Aspekt damit noch gar nicht angesprochen. Da weist Thomas Eberhardt-Köster zwar eine Richtung: »Bei der Vergesellschaftung deutscher Energieunternehmen müssen deren Vermögensteile in Regionen und Ländern des Globalen Südens an die lokale Bevölkerung übertragen werden, um postkoloniale Abhängigkeitsverhältnisse abzubauen.« (424), aber das ist natürlich leichter gesagt als getan.
Dass die Frage, wie Entmachtung und Enteignung von Großkonzernen vorstellbar werden soll, im Buch nicht wirklich behandelt wird, ist vielleicht sein größtes Manko. Ein Manko allerdings, das bei dem gegenwärtigen Stand der Vergesellschaftungsdebatte vielleicht unvermeidbar ist. Wir stehen erst am Anfang und sich am Anfang auf die Vergesellschaftung der Daseinsvorsorge zu konzentrieren, hat auf jeden Fall die größere Chance.
Insgesamt gibt es sicher für alle Interessierten Lesenswertes in dem Buch. 34 Beiträge haben den Vorteil, dass das Thema Vergesellschaftung aus sehr vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird. Dafür muss in Kauf genommen werden, dass die Beiträge sehr kurz sind und viele Probleme nur angerissen werden können.
1) mark fisher, kapitalistischer realismus ohne alternative?, VSA:Verlag Hamburg 2013, S. 25
2) Redecker, Eva von (2020), Revolution für das Leben, zit. nach ebd. S. 371
3) In Deutschland wurden seit den 1990er Jahren über 2 Millionen öffentliche Wohnungen privatisiert.
Download als PDF