Soziale Bewegungen
Die Situation der sozialen Bewegungen erleben wir so widersprüchlich wie die Widersprüche in der politischen und ökonomischen Realität.
Natürlich versuche ich in diesen wenigen Minuten nicht, eine gründliche Analyse zu geben. Es sollen Stichworte für unsere Diskussion sein, die – hoffentlich – zu praktischen Ergebnissen für uns selber führt.
In Südamerika haben soziale Bewegungen linken Parteien geholfen, Regierungsmacht zu erringen. Mit dem Scheitern dieser Regierungen stehen diese sozialen Bewegungen nun selber in der Kritik. Und es steht nun wieder die Frage auf der Tagesordnung, ob eine solche Nähe zu den Regierungen für sie überhaupt richtig ist. Auf dem Weltsozialforum in Montreal hat ein Seminar von Bewegungsaktivisten diese Entwicklung und ihre Rolle sehr selbstkritisch hinterfragt. Es gibt darüber eine umfassende Dokumentation – leider für mich nur auf Spanisch.
Das Weltsozialforum, über dessen Rolle und Bedeutung heftig diskutiert wird, ist aus vielerlei Gründen aus dem Treffen in Montreal nicht gestärkt hervorgegangen. Das lag nicht nur an den Visaverweigerungen für die Teilnehmer aus dem globalen Süden, auch die Beteiligung aus Europa war eher marginal. Und die Selbstverständnisdiskussion seines Internationalen Rats kommt nicht voran.
In Europa sind die sozialen Bewegungen – wie die gesamte Linke – deutlich fragmentiert. Eine gemeinsame Plattform wie das Europäische Sozialforum – an der viele von uns hier sehr intensiv und auch wirklich erfolgreich mitgewirkt haben – gibt es nicht mehr. Alle Wiederbelebungsversuche sind im Sande versickert. Auch die sogenannten neuen sozialen Bewegungen, die spontan oder aber auch Hilfe der alten, in mehreren Ländern entstanden sind, konnten die Hoffnungen auf eine neue Dynamik nicht erfüllen. Sie entwickelten sich zu politischen Parteien wie in Griechenland und Spanien oder sie verschwanden ganz einfach. Auch so ein Hoffnungsträger wie das Blockupy-Bündnis, das mit seinen Massenaktionen vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt eine starke Signalwirkung hatte, befindet sich heute in einer existentiellen Krise. Eine kluge selbstkritische Analyse des Bündnisses selbst ist soeben erschienen, allerdings bisher nur auf Deutsch.
Hoffnungen, berechtigte Hoffnungen können wir uns mit drei Ereignissen machen. Das sind die Bündnisse gegen TTIP und CETA, das ist die Klima- und Umweltbewegung, und das ist der Altersummit. In dem Strategiepapier von Attac Frankreich habe ich gelesen, dass auch ihr euch in diesen Bereichen engagieren wollt.
Die eindrucksvollen Aktionen und Argumentationen der TTIP- und CETA-Gegner konnten die berechtigten Befürchtungen breiter Bevölkerungsschichten ausgreifen und demonstrieren, dass sich Widerstand lohnt. Was aber geschieht mit dieser Bewegung, wenn dieses Thema ganz oder vorübergehend von der Tagesordnung verschwindet? Was können wir tun, um zumindest den aktiven Kern dieser Bündnisse zu erhalten?
Die recht jugendfrische Klima- und Umweltbewegung hat mit ihren Aktionen gegen die COP und bei uns insbesondere gegen die Kohle tatsächlich eine beeindruckende Dynamik entwickelt. Sie ist jedoch kaum in der Lage, Ursachen und Zusammenhänge mit der kapitalistischen Marktwirtschaft nach außen zu vermitteln. „System Change – not Climate Change“ ist weitgehend ein interner Slogan geblieben. Hier sehe ich zum Beispiel eine wichtige Rolle für Attac.
Ein richtiger und erfolgversprechender Ansatz scheint auch der Altersummit zu sein. Es ist der Versuch, den Schwerpunkt der Bewegungen auf die soziale Frage zu setzen und damit auch die Gewerkschaften zu einem stärkeren Engagement zu bewegen. Das ist mühsam aber auch nicht ganz ohne Erfolg. Aktive aus Attac Frankreich und Attac Deutschland sind dabei. Es würde sich lohnen, hier unser Engagement zu verstärken.
Zum Schluss noch einige Bemerkungen zu unserem Europäischen Attac Netzwerk.
Mit unseren sieben Prinzipien konnten wir einen politischen Grundkonsens herstellen. Wir konnten auch in einigen konkreten Fragen wie Migration, Brexit, etc. gemeinsame Positionen entwickeln. In anderen gelang das nicht. Und tatsächlich ist das Netzwerk auf europäischer Ebene kein politischer Akteur. Dies zu verändern, haben wir das Europaseminar ins St. Denis veranstaltet, und zu diesem Zweck treffen wir und auch heute hier. Ein anderer Weg, dies möglicherweise zu ändern, ist aus unserem Beschluss für einen gemeinsamen Aktionstag gegen die Steueroasen auf den globalen Attac-Treffen in Montreal entstanden. Wir haben dem europäischen Attac-Treffen im Januar in Madrid vorgeschlagen, unseren gemeinsamen europäischen Aktionstag im März 2017 während der Tagung der G20-Finanzminister in Baden-Baden zu veranstalten. Es wäre der erste Versuch einer gemeinsamen Aktion unseres Netzwerks. Ich hoffe sehr, dass auch ihr mit dabei seid.
Um den sozialen Bewegungen in Europa eine neue Dynamik zu verleihen, könnte es auch hilfreich sein, auf der Europäischen Sommeruniversität im August nächsten Jahres in Toulouse möglichst viele Aktivistinnen und Aktivisten aus unserer Bewegungswelt einzuladen und mit ihnen gemeinsam eine Strategie zu entwickeln.
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