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Rendite größer als Wirtschaftswachstum – Zurück-Verteilung von oben nach unten erforderlich!

Die Ausarbeitungen von Thomas Piketty in seinem Buch “Das Kapital im 21. Jahrhundert”  zeigen, dass die Kapitaleinkommen seit dem 19. Jahrhundert überwiegend höher sind als das Wirtschaftswachstum, dass die Vermögenskonzentration zugenommen hat und die Schere zwischen arm und reich immer grösser geworden ist. Allein die Entwicklung in den letzten fünfzehn Jahren in Deutschland zeigt, dass höhere Kapitaleinkommen im Vergleich zum Wirtschaftswachstum eine schwerwiegende ökonomische und soziale Schieflage hervorgebracht haben:

  • Die realen Arbeitseinkommen sind zwischen den Jahren 2000 und 2012 um knapp 2 Prozent gesunken. Dagegen stiegen die Vermögenseinkommen in dieser Zeit real um mehr als 40 Prozent! Die Schere zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen ist deutlich auseinander gedriftet.
  • Die volkswirtschaftliche Lohnquote ist deutlich gesunken: Betrug sie im Jahre 2000 noch knapp 72%, so fiel sie mit einigen Schwankungen auf knapp 68% im Jahre 2014.

Die Befürworter der neoklassischen Angebotspolitik argumentieren mit den positiven Beschäftigungswirkungen einer solchen Umverteilung von unten nach oben. Bei genauerer Betrachtung wird aber deutlich, dass zwar die Beschäftigtenanzahl gestiegen ist, jedoch das Arbeitsvolumen kaum. In den letzten Jahren stiegen vor allem Teilzeit- und Mini-Jobs an. Mit der Schaffung von immer mehr prekären Beschäftigungsverhältnissen wurde ein Niedriglohnsektor mit ungeahnten Ausmaßen geschaffen. Inzwischen arbeiten 25% der Beschäftigten im Niedriglohnbereich. Damit ist Deutschland „Spitzenreiter“ in Europa. Die Bilanz der letzten 15 Jahre: Beschäftigung (Arbeitsvolumen) und Löhne stagnieren, die Lohnquote ist deutlich gesunken, während die Kapitaleinkommen drastisch gestiegen sind. Der Wohlstand ist nur in der Gesamtbetrachtung der Volkswirtschaft gestiegen, aber Wohlstand für alle hat es nicht gegeben, im Gegenteil: Die Armut ist gestiegen. So veröffentlicht die EU-Kommission in ihrem „Länderbericht Deutschland 2015“, dass der armutsgefährdete Anteil der deutschen Bevölkerung kontinuierlich von 15,2% im Jahre 2008 auf 16,1% in 2013 gestiegen ist.

Vermögen stark angestiegen und konzentriert

Die Deutsche Bundesbank teilte im Juli mit, dass „im ersten Quartal 2015 …das Geldvermögen der privaten Haushalte gegenüber dem Vorquartal außergewöhnlich kräftig um knapp 140 Milliarden Euro oder 2,8% zugenommen [hat] und …damit auf 5.212 Milliarden Euro gestiegen [ist]“. Dieses Geldvermögen umfasst im Wesentlichen Bargeld, Wertpapiere und Bankeinlagen. Nimmt man das gesamte Vermögen einschließlich Immobilien, hat das private Vermögen in Deutschland einen Umfang von annähernd 10.000 Milliarden Euro erreicht. Der öffentliche Schuldenberg mit ca. 2.200 Milliarden Euro sieht neben dem riesigen Vermögensberg eher wie ein Hügel aus. Dieses gewaltige private Vermögen ist äußerst ungleich verteilt und stark konzentriert: Die reichsten 10% der Bevölkerung besitzen zwei Drittel (66,6%), allein das reichste 1 % der Bevölkerung besitzt über ein Drittel (35,8%) dieses Vermögens.
Dieser private Reichtumsberg ist u.a. durch massive Steuersenkungen für Unternehmen und reiche Bürger*innen seit dem Jahre 2000 angewachsen, gemäß der Devise „mehr Gewinn schafft mehr Investitionen, die zu höherer Beschäftigung führen“. Aber die Investitionen sind nicht gestiegen, sondern rückläufig (die Investitionsquote betrug im Jahre 2000 noch 20 % des BIP gegenüber nur noch 17 % in 2012), weil die begrenzte Nachfrage aufgrund der gesunkenen Lohnquote den Unternehmen keine weiteren nennenswerten Gewinnsteigerungen versprachen. Gestiegen sind dagegen Finanzspekulationsgeschäfte, mit denen nicht nur reiche Bürger*innen, sondern auch Unternehmen und Konzerne hohe Gewinne machten. Die massiv steigenden, immer wieder renditesuchenden Kapitaleinkommen wurden immer stärker in die Finanzmärkte statt in die Realwirtschaft gepumpt. Das weltweite Finanzvermögen ist bis zur Finanzmarktkrise im Jahre 2008 seit 1980 um das Zwanzigfache gestiegen, während das Weltsozialprodukt in dieser Zeit lediglich um das Sechsfache angestiegen ist. Diese Abkopplung des Finanzvermögens von der Realwirtschaft ist eine der wesentlichen Ursachen für den Crash an den Finanzmärkten 2007/2008, der massive Bankenrettungen durch Staaten auslöste, deren Verschuldung daraufhin explodierte und die Realwirtschaft zum Teil vorübergehend (Deutschland 2009) und teils noch anhaltend (z.B. Spanien, Italien, Griechenland) zum Einbruch brachte.

Die massiven Steuersenkungen haben somit nicht nur nicht zu mehr Investitionen und mehr Beschäftigung geführt. Im Gegenteil: sie wirkten sich nachteilig auf die Ökonomie aus, weil sie den fatalen Prozess der Loslösung der Finanzvermögen von der Realwirtschaft beschleunigten. Verschärfend kommt hinzu, dass sie dem Staat allein in Deutschland Einnahmeverluste von ca. 50 Mrd. Euro pro Jahr bescheren – Geld, das für viele dringend notwendige öffentliche Investitionen fehlt. Seit dem Jahre 2000 sind durch die verschiedenen Steuersenkungen der Bundesregierungen inzwischen mehr als 750 Milliarden Euro verloren gegangen. Und so hat denn auch die OECD ermittelt, dass die vermögensbezogenen Steuern in Deutschland nur 0,8% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen, während sie im Durchschnitt der G-7-Industrieländer 2,9% betragen. Deutschland ist ein Niedrigsteuerland für Reiche.

Die Bilanz der neoliberalen Wirtschaftspolitik der letzten 15 bis 30 Jahre ist klar negativ und damit gescheitert: Während sie einerseits zu einem gewaltigen Crash an den Finanzmärkten geführt und um den Preis einer explodierenden Staatsverschuldung nicht nur die privaten Vermögen gerettet, sondern weiter gesteigert hat, mussten andererseits insbesondere die Arbeitnehmer*innen, Rentner*innen und Erwerbslosen „den Gürtel enger schnallen“, weil die Lohnquote gesunken ist, der Niedriglohnbereich drastisch ausgedehnt wurde, reale Einkommensverluste zu verzeichnen sind und die Massenarbeitslosigkeit bei weitem nicht abgebaut wurde. (In diesem Zusammenhang steht in der europaweiten Betrachtung das Scheitern der neoliberalen Austeritätspolitik, die die durch die Bankenrettungskosten verursachten Staatsschuldenprobleme einiger Länder nicht gelöst, sondern –insbesondere in Griechenland- massiv verschärft haben).
Mit dieser neoliberalen Wirtschaftspolitik gerät der Mittelstand zunehmend unter Druck. Die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren bestimmt häufig den Alltag. Die Schere zwischen arm und reich wird immer grösser. In den Unternehmen herrscht die kapitalmarktgetriebene Devise der Profitmaximierung. Und die funktioniert über den Druck auf Lohn- und Sozialstandards sowie immer höhere Leistungsanforderungen. Dabei ist die Politik gleich geschaltet: Mit der Schuldenbremse wird Druck gemacht, die Ausgaben „im Griff zu halten“ bzw. zu senken. Diese neoliberale Wirtschaftspolitik wird mit dem Kampfbegriff der „Wettbewerbsfähigkeit“ geführt. Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und Wettbewerbsfähigkeit der Staaten sollen sichergestellt werden. In der Regel geht das über Ausgabenkürzungen, fälschlich als „Sparen“ bezeichnet. Diese neoliberale Definition von Wettbewerbsfähigkeit ist jedoch fatal, weil sie immer auf die Senkung von Löhnen und Sozialstandards zielt, die eine Spirale nach unten auslöst, bei der breite Bevölkerungsschichten die Verlierer sind. Wettbewerbsfähigkeit im positiven Sinne, über Innovation und Qualität, die von einem aktiven, investierenden Staat zum Wohle aller entfaltet wird, passt nicht in das marktgläubige Konzept der Angebotspolitiker. Nach mehr als 30 jähriger neoliberaler Wirtschaftspolitik mit ihrer gescheiterten Bilanz für die Bevölkerung wird es höchste Zeit, diese zu ändern.

Eine alternative Wirtschaftspolitik ist dringend notwendig, weil die neoliberale Politik die gesamtwirtschaftliche Entwicklung immer wieder –massiv- gefährdet. So belegen bereits Studien des IWF, der OECD und der Hans-Böckler-Stiftung, dass die steigende Ungleichheit der Gesamtwirtschaft schadet. Die Wissenschaftler haben einen Zusammenhang zwischen Einkommensverteilung und Wirtschaftswachstum festgestellt. Ihre Erkenntnis: Wenn Reiche immer Reicher werden, dann schrumpft auf lange Sicht das Bruttoinlandsprodukt. Steigen dagegen die Einkommen der Gering- und Durchschnittsverdiener, wächst die gesamte Volkswirtschaft. Deshalb empfehlen die Wissenschaftler eine stärkere Umverteilung zugunsten einkommensschwacher Haushalte.

Politikwechsel für eine dynamische Wirtschaft – Was ist zu tun?

Drei wesentliche Handlungsfelder können zu einer positiven Wirtschaftsentwicklung für die Bevölkerung führen:

1. Einkommen erhöhen und damit Binnennachfrage massiv stärken
In der Tarifpolitik muss weiter versucht werden, Gehaltsteigerungen über den neutralen Verteilungsspielraum hinaus, durchzusetzen. Die Tarifergebnisse sind allerdings als Verhandlungsprozesse abhängig von den jeweiligen Kräfteverhältnissen und insofern nicht planbar.
Der Gesetzgeber kann aber die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften stärken anstatt sie –wie so oft in der Vergangenheit- zu schwächen. So kann die Bundesregierung z.B. ein gesetzliches Verbot betriebsbedingter Kündigungen im Falle der Gewinnerwirtschaftung beschließen. Dies entspricht dem grundgesetzlich geregelten Sozialstaatsgebot des Eigentums (Kündigungen trotz Gewinne sind verfassungswidrig) und verhindert die Defensivposition der Gewerkschaften in Tarifverhandlungen, die nicht selten tariflich auszuschließende betriebsbedingte Kündigungen durch niedrigere Lohnabschlüsse bezahlen.
Weiterhin muss der gesetzliche Mindestlohn schnellstens auf mindestens 10 Euro pro Stunde angehoben und die Hartz-IV-Leistungen zu existenzsichernden Lohnersatzleistungen ausgebaut werden.
Zusätzlich müssen die Steuern für Gering- und Durchschnittsverdiener gesenkt werden. Der „Länderbericht Deutschland 2015“ der EU-Kommission stellt fest, dass die Steuer- und Abgabenbelastung von Geringverdienern nach wie vor zu den höchsten in der EU zählt.
Der gezielte Abbau der Arbeitslosigkeit wird zusätzlich die Binnennachfrage erhöhen, wenn Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und Personalausgleich realisiert werden. Das schafft Beschäftigung und entgegen landläufiger Meinung sind solche Arbeitszeitverkürzungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht schädlich. Bei Wachstum der Wirtschaft und Umsatzwachstum des Unternehmens – das mit einer hier skizzierten alternativen Wirtschaftspolitik ausgelöst würde- können sie sogar zu Gewinnsteigerungen führen.

2. Einnahmen des Staates und der Kommunen durch eine faire Steuerpolitik erhöhen
Eine faire Steuerpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass reiche Bürger*innen und ertragsstarke Unternehmen und Konzerne einen angemessenen Anteil an den notwendigen Ausgaben der Gemeinschaft tragen. Dazu sind Steuererhöhungen für Millionäre und Milliardäre sowie für gewinnstarke Unternehmen erforderlich. Mit dem Steuerkonzept der Gewerkschaft ver.di würden Bund, Länder und Gemeinden insgesamt 81,5 Mrd. Euro mehr einnehmen können. Darin enthalten sind u.a.

  • Steuersenkungen für Geringverdiener
  • Einkommensteuerhöhungen für Reiche
  • Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer
  • Die angemessene Erhöhung der Erbschaftssteuer
  • Die Erhöhung der Körperschaftssteuer (Unternehmensgewinnsteuer) auf 25%
  • Der Ausbau der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer
  • Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer
  • Die Verbesserung des Steuervollzug durch Personalaufstockung der Betriebsprüfer

Mit diesem Konzept würden die Steuersenkungen für Reiche und gewinnstarke Unternehmen seit 2000 zurückgenommen und eine Zurückverteilung von oben nach unten erfolgen. Mit diesen Einnahmen kann ohne Erhöhung der Staatsverschuldung eine Investitionsoffensive durchgeführt werden, die z.B. mehr Kitas, Schulen und Universitäten, mehr und besser bezahlte Erzieher*innen und Lehrer*innen, mehr Krankenhäuser und mehr Beschäftigte in Kliniken und Altenpflegeheimen, den ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft sowie die dringend notwendigen Reparaturen von Straßen und Brücken ermöglichen. Die gesellschaftlichen Bedarfe sind riesig, der Investitionsstau allein in den Kommunen beträgt inzwischen 118 Mrd. Euro. Bei den notwendigen öffentlichen Investitionen helfen einige wenige Mrd. Euro, wie die Bundesregierung sie in Aussicht gestellt hat, keinesfalls. Da darf nicht gekleckert, da muss geklotzt werden. Für Europa hat der DGB ein massives Investitionsprogramm unter dem Titel „europäischer Marshallplan“ gefordert.

3. Aktive Wirtschaftspolitik flankieren mit der Schaffung einer neuen Finanzmarktarchitektur.

Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2007/2008 war die heftigste Krise seit Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts und hat die Wirtschaft an den Rand des Abgrundes geführt. Das Finanzsystem hat mit dem Platzen von Spekulationsblasen gebebt und damit die Realwirtschaft erschüttert. Das war in dieser Dimension bisher historisch einmalig – und die Krise ist bei weitem noch nicht überwunden. Die vielen Regulierungsmaßnahmen, die in Brüssel und Berlin aufgelegt wurden, werden einen erneuten Crash nicht verhindern können. Dazu sind sie zu zaghaft gemacht und grundsätzlich unzureichend. Was besonders fehlt, sind Maßnahmen zur Unterbindung von massiven Spekulationsgeschäften, die die Wirtschaft an den Abgrund bringen können. Dazu brauchen wir einen Finanz-TÜV, der Finanzprodukte auf ihre Nützlich- bzw. Schädlichkeit für die Ökonomie überprüft und entsprechend schädliche bzw. riskante Finanzmarktprodukte nicht zulässt. Im Kern müssen die Banken auf ihre dienende Funktion für die Realwirtschaft beschränkt werden, d.h. die massiven weltweiten Spekulationsgeschäfte müssen unterbunden werden – eine neue Finanzmarktarchitektur ist erforderlich anstelle von aktuellem Regulierungsaktivismus.

Insgesamt betrachtet hat sich mit der Senkung der Lohnquote, der massiven Investitionsschwäche, des weiteren Aufgehens der Schere von Arbeitseinkommen und Vermögenseinkommen sowie dem hohen „Sockel“ der Arbeitslosigkeit herausgestellt, dass die neoliberale, angebotsorientierte Wirtschaftspolitik für die breiten Bevölkerungsschichten massive negative Auswirkungen gebracht hat. Das Ausbrechen der Finanzmarktkrise, die die Staatsfinanzierungs- und Eurokrise ausgelöst hat sowie die negativen, teils katastrophalen Zustände aufgrund der Kürzungspolitik in Europa belegen, dass die neoliberale, angebotsorientierte Wirtschaftspolitik gescheitert ist. Das derzeitige vorherrschende Leitbild der Bundeskanzlerin, die schwäbische Hausfrau, die eisern  spart, ist so falsch wie fatal. Nur die Steigerung der Binnennachfrage und massive Investitionen können Beschäftigung und Wohlstand für alle schaffen. Die öffentlichen Investitionen müssen massiv ausgebaut werden. Insofern ist es unverzichtbar, die Einnahmeseite des Staates und der Kommunen zu stärken – für mehr Lebensqualität, mehr Beschäftigung und mehr Wohlstand für alle. Das notwendige Geld dafür ist vorhanden. Es muss nur durch eine faire Steuerpolitik entsprechend aktiviert werden. Diese Regierung ignoriert diesen Zusammenhang. Sie betreibt mit der Politik der schwarzen Null das ganze Gegenteil. Insofern kommt es darauf an, für die kommenden Bundestagswahlen diesen Zusammenhang sehr deutlich als elementares Thema der Zukunftsgestaltung zu verdeutlichen und einen grundlegenden Politikwechsel zu fordern.

 


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