Politische Konzepte und Bündnismöglichkeiten, jenseits des rechten und des neoliberalen Blocks
1. Wer gemeinsame Kämpfe der ‚unten‘ organisieren will, muss zunächst die Pluralität der Ausbeutungsformen in der globalisierten Welt zur Kenntnis nehmen.
Die Globalisierung hat die Struktur sozialer Ungleichheiten verändert. Weltweit nimmt die Ungleichheit zwischen den Nationalstaaten und zwischen den Klassen seit drei Jahrzehnten wieder zu. Es sind Klassengesellschaften neuen Typs entstanden, in denen multiple Ungleichheiten Klassenverhältnisse verdecken und unkenntlich machen. Zudem werden die Klassenstruktur und die Klassenlage durch die Kategorien Ethnie und Geschlecht mitbestimmt. Die Vorstellung einer großen, wenngleich intern fraktionierten und fragmentierten Klasse aller Lohnabhängigen grenzt nicht nur aus, sondern lässt sich auch in den kapitalistischen Zentren analytisch nicht mehr aufrechterhalten. Eine Anerkennung der Pluralität von Ausbeutungsformen, die teilweise ineinander verwoben sind, und Spaltungen bedeutet, dass die (Lohn-)Arbeiter*innenklasse (diejenigen, die von ihrer Arbeit leben müssen, weil sie sonst kein Einkommen haben) oder ‚die da unten‘ im Plural buchstabiert werden muss.
2. Die ‚oben‘ organisieren sich zurzeit effizienter als die ‚unten‘ und setzen dadurch ihre Interessen auch besser durch. Das hat objektive Gründe (Machtressourcen, geringerer Abstimmungsbedarf) aber auch subjektive (Ressentiments unter den Abhängigen gegeneinander).
Den kapitalistischen Eliten gelingt es in den letzten Jahrzehnten deutlich besser, sich national und vor allem transnational zu organisieren, als den subalternen Klassen. Dies hat damit zu tun, dass weder im nationalen Rahmen und schon gar nicht global eine große Klasse aller Lohnabhängigen als strukturierte und zugleich strukturierende Einheit (mehr) existiert. Eine Einheit der sozialen und politischen Kämpfe kann deshalb heute nur noch als temporärer, immer wieder neu hergestellter sozialer Block der Lohnabhängigen gedacht werden. Sofern mobilisierte Klassen und ein wirkmächtiger sozialer Block der Lohnabhängigkeit nicht entstehen, kommt es zu sozialen Strukturbildungen, die sich als Wettbewerbsklassen bezeichnen lassen. Wettbewerbsklassen gehen aus Konkurrenz und symbolischer Ab- oder Aufwertung sozialer Großgruppen hervor. Der Wettbewerb kann, beispielsweise durch Tarifverträge, auf nationaler Ebene nur noch sehr bedingt eingehegt werden. Als Reaktion auf Ungleichheit, Unsicherheit und soziale Abwertung reagieren Teile der – vor allem männlichen – Arbeiterschaft mit Selbstaufwertung durch Abwertung anderer. Den Kampf um Statuserhalt oder Statusverbesserung tragen rechtsaffine Arbeiter*innen über Ressentiments aus.
3. Wir erleben zurzeit zwei parallel verlaufende und gleichzeitig extrem gegensätzliche politische Bewegungen: Eine auf Selbstermächtigung und Partizipation setzende emanzipatorische und eine (scheinbar) auf Elitentausch setzende autoritäre Bewegung, die beide mit einem gewachsenen Misstrauen gegen die etablierten Eliten verbunden sind.
Auf der einen Seite ist in breiten Teilen der Bevölkerung der Wunsch nach politischer Beteiligung gewachsen. Dies drückt sich politisch in der Suche nach Alternativen und der Beteiligung an Protesten aus. Die Beispiele hierfür reichen von den Platzbesetzungen der Empörten in Spanien über die Proteste gegen TTIP und CETA in Deutschland bis zu der Bewegung der Frauen in den USA gegen Trumps Regierungsübernahme. Die Willkommensinitiativen, die 2015 entstanden sind und in vielen Städten in veränderter Form immer noch existieren, haben gezeigt, wie hoch die Bereitschaft von vielen ist, sich in der konkreten Solidarität mit Geflüchteten zu engagieren. Seit Ende letzten Jahres zeigen die Gelbwesten in Frankreich, dass der soziale Friede auch in den entwickelten Ländern alles andere als stabil ist und die Bewegung Fridays for Future macht Hoffnung auf eine neue politische Dynamik.
Auf der anderen Seite finden autoritäre Politiker*innen wie Erdogan, Putin, Le Pen oder Trump Massenunterstützung und der Aufstieg der AfD fügt sich nahtlos in diese Tendenz ein. Die Krise der Repräsentanz und das Misstrauen gegen traditionelle Eliten führt auf der einen Seite zu Bewegungen für eine Demokratisierung der Gesellschaft und auf der andern zu Forderungen nach Abschaffung der repräsentativen Demokratie zugunsten autoritärerer Regime mit plebiszitären Elementen. Und sie schafft den Nährboden für vereinfachende Welterklärungen, die auch innerhalb von Attac immer wieder Raum greift, selbst wenn aktuell nicht die Gefahr besteht, dass sie hegemonial werden könnten.
Während lange galt, dass Kapitalismus eigentlich am besten in mehr oder weniger demokratisch verfassten Staaten funktioniert, erleben wir heute, dass er auch in Kombination mit diktatorischen Regimen hervorragend gedeiht (siehe China).
4. Scheinbar stehen nur zwei Alternativen zur Verfügung: Der neoliberal geprägte oder der autoritär strukturierte Kapitalismus. Die dritte Alternative eines sozial-ökologischen und emanzipatorischen Blocks ist bisher allenfalls an einzelnen Themen erkennbar und zurzeit für die meisten der ‚unten‘ Stehenden keine Option, für die sie sich einsetzen wollen.
Unter den Bedingungen einer ökonomisch-ökologischen Zangenkrise verwandelt sich der alte industrielle Klassenkonflikt zunehmend und unwiderruflich in einen sozialökologischen Transformationskonflikt. Eine demokratische Politik, die die soziale Frage im Blick hat, muss strukturelle und politische Ursachen von Ungleichheit, Prekarität und sozialem Ausschluss klar benennen, um so jegliche Vorstellung von homogenen nationalen Gemeinschaften zu entlarven. Starre Entgegensetzungen von Identitäts- bzw. Anerkennungspolitik auf der einen und linkspopulärer Politik auf der anderen Seite sind für dieses Anliegen analytisch wie politische kontraproduktiv. Transformierende Klassenpolitik benötigt die Vision einer besseren, nachkapitalistischen Gesellschaft.
5. Gemeinsame Kämpfe lassen sich nicht abstrakt, abgeleitet aus ‚objektiven‘ gemeinsamen Interessen entfachen, sondern nur an praktischen Erscheinungen der gesellschaftlichen Widersprüche.
Der oft imaginierte Dreischritt, erst die Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse, dann die daraus abgeleitete Strategie und zuletzt der Schritt in die sozialen Kämpfe, funktioniert nicht. Vielmehr laufen Analyse und Strategiedebatte parallel zu den sozialen Auseinandersetzungen. Betrachten wir heute beispielsweise dominante Wertschöpfungsketten, stellt sich die Frage, an welche Stelle wir in die Auseinandersetzungen intervenieren und wer unsere Ansprechpartner*innen sind. Kontrolliert werden die Wertschöpfungsketten zunehmend von Plattformkonzernen wie Amazon. Nehmen wir die in Blick oder eher den Staat, damit er stärker reguliert und Steuern abschöpft? Wie verhalten wir und zu den Arbeiter*innen in den ausgelagerten Produktionsbereichen in den Ländern des Südens? Wie können wir in die Logistik eingreifen, in der nicht nur prekäre Beschäftigung die Regel ist, sondern die auch umweltschädlich ist? Wo in dieser Kette befinden sich die zu organisierenden Subjekte und wie beziehen sie sich aufeinander? Was sind ihre gemeinsamen Kämpfe, wer ihre Gegner?
6. Attac ist in diesem Prozess kein Akteur, der völlig autonom Themen setzten kann. Mit welchen Themen Attac interveniert, sollte danach entschieden werden, ob sie a) gesellschaftlich virulent sind b) transformatorisches Potenzial haben c) nicht die Spaltungslinien zwischen dem neoliberalen und dem autoritären Block bedienen und d) Attac-spezifisch sind (globaler Blick, sozial-ökologische Frage, Finanzmärkte …)
Die Stärke von Attac liegt inhaltlich darin, dass wir die großen Fragen stellen („Eine andere Welt ist möglich!“) und gleichzeitig sehr konkrete Schritte vorschlagen (Gesamtkonzernsteuer, Güterverkehrssteuer, öffentliche Mobilitätsplattformen). Zudem bietet Attac einen einzigartigen politischen Raum: Wer will, kann schnell aktiv werden, Ehrenamtlichkeit mit einer hohen Autonomie kombiniert sich mit professionellen Elementen im Büro. Und die Mischung aus Aufklärung, Bildung und direkter Aktion bieten ein gutes Setting.
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