Plan – so what?
Das „freie Spiel des Marktes“ hat die Klimakrise nicht verhindert, sondern forciert. Mit Covid hat Wirtschaftsplanung zudem seine Rolle als historisches Fossil abgestreift. Dass Vergesellschaftung wesentlicher Sektoren und gesamtgesellschaftliche Planung zum Gelingen einer wirksamen sozial-ökologischen Transformation notwendig sind, wird immer deutlicher. Es geht um eine postkapitalistische Alternative, die nicht auf Wachstum und Überfluss beruht und in der nachhaltige Rationierung demokratisch geplant und ausgehandelt wird.
Marx hat bekanntlich wenig darüber geschrieben, wie eine emanzipierte Gesellschaft Wirtschaft organisieret werden kann. Blaupausen für die Organisation einer anderen Gesellschaft verbieten sich zwar, weil diese sich als demokratischer Prozess herausschälen muss. Weil Menschen die bestehenden Verhältnisse aber schwerlich hinter sich lassen werden, ohne dass es Ideen gibt, was stattdessen sein soll, ist es angebracht, darüber nachzudenken. Wie soll demokratisch entschieden werden, was wie und für wen produziert wird? Wie werden begrenzte Ressourcen eingeteilt? Was kann „Big-Data“ dazu beitragen?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Sammelband „Die unsichtbare Hand des Plans – Koordination und Kalkül im digitalen Kapitalismus“, herausgegeben von Sabine Nuss und Timo Daum, beide aus Attac-Zusammenhängen bekannt. Erschienen ist der Band 2021 bei Dietz in Berlin. In 16 Kapiteln fassen 22 Autor*innen Theorie und Geschichte von wirtschaftlicher Planung zusammen, gehen dabei auf die „sozialistische Kalkulationsdebatte“ u.a. in der DDR ein, skizzieren das komplizierte chinesische Verhältnis zwischen Markt und Plan und untersuchen Möglichkeiten und Grenzen digital unterstützter Planung für eine kooperative, ökologisch tragbare und gebrauchswertorientierte Produktionsweise.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne auf die Autoren und Beiträge im einzelnen einzugehen, sollen im folgenden einige Aspekte der Debatten skizziert werden.
Ausgangspunkt ist die banale Tatsache, dass im Kapitalismus keineswegs der Markt alles regelt. Dem Markt geht Plan voraus. Einzelunternehmen planen Art, Zeit, Umfang ihrer Produkte, unabgestimmt und anarchisch. Erst für die Realisierung ihres Profits benötigen sie den Markt, eine „Blackbox“. Für Friedrich Hayek und seine liberale Schule ist der Markt der „Ort der Wahrheit“, ohne den moderne Volkswirtschaften nicht funktionieren würden. Der Preis ist für ihn dabei die wichtigste Kennziffer. Im neoliberalen Denken ist der Markt zum Dogma mutiert, die dahinterstehenden Planungsprozesse geraten aus dem Blick.
In einer global ausgeweiteten, komplexen, weitgehend digital gesteuerten Ökonomie werden Planungsprozesse zentrales Element, Logistik wird zum Kerngeschäft. Inzwischen reden wir von „Plattformökonomie“, in der sich digitale Plattformen als Vermittler zwischen Anbieter- und Käuferseite schieben. Dieser Plattformkapitalismus befördert Machtkonzentration und Monopolbildung und führt dazu, dass Amazon, Facebook, Uber, AirBnB und Co. zu essentiellen gesellschaftlichen Infrastrukturen geworden sind. Zentrales Element ist dabei die Auswertung und Nutzung riesiger Datenströme. Sinnbild dafür ist Amazon, größter Onlinehändler der Welt. Amazon wertet Nutzerdaten systematisch mit Maschine-Learning-Technologie aus, macht daraus personenzentrierte Empfehlungen und schafft sich dadurch selbst neuen „Markt“. Durch systematische Nutzung von Daten gewinnt Amazon Vorhersagemacht.
Solche „Vorhersagemacht“ war auch immer Traum sozialistischer Planer, wenn es um die Bestimmung gesellschaftlicher Bedarfe ging. Kann Big Data also die Lösung der globalen Probleme sein? Kann es eine „kybernetische Rückeroberung“ geben für eine egalitäre, ökologisch rationale Produktion und Verteilung? Einen Sozialismus aus dem Rechner? Keine 5-Jahrespläne mehr, sondern „planning in real time“ wie bei Amazon, mit schneller Rückkopplung zum Regulieren und Feintunen?
1:1 sicher nicht. Kapitalistische Profitlogik ist auf Wachstum ausgerichtet und blind für ökologische Folgekosten. Sie bezieht sich zudem auf „souveräne“ Konsumenten und blendet Verteilungsgerechtigkeit aus. Die Algorithmen des Amazon - Big Data passen also nicht für sozial-ökologische Wirtschaftsplanung.
Wie können Informationstechnologien dennoch genutzt werden für gesellschaftliche Planung? Ist „Software“ in der Lage, gesellschaftliche Bedarfe zu erfassen und eine gerechte und ressourcenschonende Verteilung zu unterstützen? Verwiesen wird hierbei auf Entwürfe für eine zentrale online-Plattform („General Catalog“), in die Bedürfnisse nach einem individuellen Bedürfnisprofil eingegeben werden können, um dann aufgrund von Priorisierung Ressourcen zuzuteilen und abzuschätzen, was produziert werden soll. Die Realisierbarkeit solcher Verfahren hängt natürlich von der Größe des Bezugsrahmens ab. Je größer, um so mehr Faktoren zur Entscheidungsfindung müssen einbezogen werden. Ob Ressourcenzuteilung für eine Kommune oder eine ganze Gesellschaft, macht einen großen Unterschied.
Weitgehend einig sind sich die Autor*innen in ihrer Kritik an einem „technischen Solutionismus“ : Selbstregulierende kybernetische Planwirtschaft ist antidemokratisch, da sie gesellschaftlicher Kontrolle entzogen ist und Machtkonzentration technischer Eliten fördert. Digitale Systeme zur Planung können nur Hilfsmittel sein in einem gesellschaftlich ausgehandelten Prozess.
Entscheidend bleibt die Suche nach radikal demokratischen Strukturen der Entscheidungsfindung. IT-Feedback-Infrastrukturen bieten heute schon effiziente und großflächige Möglichkeiten in Form digitaler Befragungen, mensch denke an die Nutzung von „Likes“ oder von „Ratings“ in heutigen sozialen Medien.
Solche „Skills“ - als Elemente von „Smart City“ im Gespräch - garantieren jedoch keine demokratische Partizipation, wie am Beispiel des halbautoritären Singapur sichtbar, wo die meisten öffentlichen Prozesse über digitale Infrastrukturen geregelt sind.
Feedback-Technologien lösen das Demokratieproblem auch deshalb nicht, da sie mit ihrem eher binären Aufbau das kollektive Durchdenken von Problemen vernachlässigen. Vor der Entscheidungsfindung geht es darum, wie Präferenzen überhaupt erst kollektiv entwickelt werden. Hier könnten „deliberative Prozesse“ mit ihrer Betonung öffentlicher Diskurse, der Teilhabe der Bürger an öffentlicher Kommunikation bei Entscheidungsprozess eine Rolle spielen, unter dem Vorbehalt, dass kollektive Diskussionen nicht automatisch zu „vernünftigen“ Ergebnissen führen, vielmehr auch dem Prozess einer „demokratischen Sozialisation“ unterliegen.
Beherrschbarkeit von Komplexitäten durch Dezentralisierung ist auch Charakteristikum in der Debatte um „Commons“. Autonome Commons, die sich miteinander vernetzen, sind charmant, stoßen als Strukturprinzip ganzer Gesellschaften aber an Grenzen, wo Teilautonomien wieder zusammengeführt werden müssen, z.B. bei der Klärung übergeordneter Konflikte. Die Frage, wie global begrenzte Ressourcen wie z.B. seltene Erden genutzt werden sollen, ist nicht im Zusammenspiel regional vernetzter Commons zu lösen.
Der Frage nach Datenschutz und Sicherung informationeller Selbstbestimmung bei der Nutzung von IT geht Dominik Pietron nach, Mitverfasser der Studie von rls und Attac zu öffentlichen Mobilitätsplattformen. Gegenüber privatem Betrieb bieten öffentliche Plattformen in kommunaler Hand einen höheren Datenschutz. Da staatliches Handeln aber nicht vor Missbrauch schützt, schlägt Pietron zur Sicherstellung informationeller Selbstbestimmung „Datengenossenschaften“ als unabhängige Datenverwalter vor.
Der Sammelband ist auf jeden Fall lesenswert, denn er bietet jede Menge Anregungen zum Weiterdenken für ein Themenfeld, wo es noch viele Leerstellen gibt.
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