Globalisierungskritik neu denken!
Erleben wir gerade eine Krise oder gar das Ende der Globalisierung? Stagnieren Globalisierungsprozesse oder stehen wir kurz vor einem neuen Globalisierungsschub? Vor allem: Was bedeutet dies für die sozialen Verhältnisse in Europa und in den Ländern des Südens? Und wird die ökonomische Entwicklung die ökologische Krise weiter verschärfen?
Über zwei Jahre hat Attac eine Debatte darüber geführt, wie sich Globalisierung seit Gründung von Attac verändert hat und was für Herausforderungen das an uns stellt. Das Ergebnis ist auf dem Herbstratschlag mit einem Positionspapier beschlossen worden. Beeinflusst von der Debatte hat Thomas Eberhardt-Köster, der als Mitglied des Koordinierungskreises von attac Deutschland maßgeblich an dem Prozess beteiligt war, den AttacBasistext Nr. 60 vorgelegt. Der Autor legt jedoch Wert darauf, festzustellen, dass der Text inhaltlich nicht identisch mit dem Positionspapier ist, sondern die eigene Sichtweise des Autors wiedergibt.
Seit Gründung von Attac hat sich Globalisierungskritik verschoben. Haben wir uns zu Beginn auf Finanzmärkte und Steuern konzentriert, mit Forderungen nach Finanztransaktionssteuer oder gegen Steuerflucht, hat uns die Realität neue Themen und Entwicklungen aufgedrückt. Neben zunehmender Digitalisierung, der Entwicklung von global vernetzter Plattformökonomie und der geopolitischen Machtverschiebung hin zu einer multipolaren Welt haben uns vor allem die vielen ökologischen Krisen dazu gebracht, den Schwerpunkt auf die Forderung nach einer umfassenden globalen sozial-ökologischen Transformation zu legen. Diese Entwicklungen vollzieht Thomas E.-K. in dem Basistext nach, wobei auf 70 Seiten Vieles nur angerissen werden kann.
Der Text beginnt mit einer fiktiven Geschichte: Im Jahr 2035 sind universelle soziale Rechte durchgesetzt worden und durch Klimaschuldenausgleich ist in Afrika eine gemeinwirtschaftliche, ökologisch nachhaltige Infrastruktur entstanden. Dies ermöglicht es N., wegen einer seltenen Krankheit erfolgreich in Deutschland behandelt zu werden. Danach erläutert der Autor den Begriff der Globalisierung als Verdichtung von Raum und Zeit und der weltweiten Verflechtung von Gesellschaften auf verschiedensten Ebenen. Wesentliche Triebkraft war und ist dabei die – bisher – fossilistisch angetriebene kapitalistische Wirtschaftsweise, die durch ihren profitorientierten Wachstumszwang die heftigen ökologischen Krisen der Gegenwart hervorgebracht hat.
Nach einem Abriss über Gewinner*innen und Verlierer*innen der Globalisierung wendet sich der Autor der Frage zu, ob nach den Störanfälligkeiten in den Lieferketten, die sich z.B. während Corona offenbart haben, jetzt mit einer Deglobalisierung zu rechnen sei. Sicher zu sagen sei es nicht. Auf der einen Seite erleben wir geopolitisch den Aufbau einer „strategischen Autonomie“ der Machtblöcke, andererseits ist der Drang nach räumlicher Ausdehnung auf bisher wenig erfasste Orte sowie die Expansion auf gesellschaftliche Bereiche, die bisher der Profitlogik entzogen waren, ungebrochen. Auch Digitalisierung und Klimawandel können ambivalente Auswirkung auf Globalisierung haben.
Im umfangreichsten Teil des Basistextes skizziert Thomas Eberhardt-Köster wesentliche Dimensionen der Globalisierung. Zu den ökonomischen Dimensionen gehört die Rolle von Finanzmärkten in einem finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, in dem Renten- und Sozialsysteme immer stärker in den Fokus von Kapitalanleger*innen geraten. Steuerpolitik hat großen Einfluss auf soziale Gerechtigkeit und das Gelingen der sozial-ökologischen Transformation. Handels- und Investitionsschutzabkommen zwischen Ländern und Ländergruppen sollen Zugang zu Märkten sichern, wobei der Zugang zu Rohstoffen für „grüne Technologien“ in der globalen Energiewende neue Dynamiken in Gang setzt. Immer stärkere Arbeitsteilung, vermittelt über verzweigte Wertschöpfungsketten und ein sprunghaft gewachsenes Transportvolumen bilden das Rückgrat der globalen Ökonomie. Digitale Plattformen haben den Kapitalismus in den letzten 20 Jahren komplett verändert und zu immensem Machtzuwachs großer Player wie Google, Amazon, Uber oder Booking.com geführt.
Die ökologische Bewertung der Globalisierung fällt notwendigerweise verheerend aus. Aufgrund des inhärenten Wachstumszwangs „frisst der Kapitalismus seine Kinder“. Die ökologische Krise ist nur durch radikales und sofortiges Umsteuern zu einer anderen Produktions- und Lebensweise aufzuhalten. Der Kampf um Geschlechtergerechtigkeit, Erhalt und Ausweitung von Demokratie, der Kampf gegen Fluchtursachen und „das Recht zu gehen und das Recht zu bleiben“ sowie die wachsenden militärischen Konflikte sind weitere Dimensionen von Globalisierung, die sich seit Beginn des Jahrtausends verändert haben.
Wenig überraschend kommt der Autor zum Fazit, dass eine andere Globalisierung notwendig ist. Radikale Kritik an der neoliberalen Globalisierung bedeutet für ihn nicht den Rückzug auf das Nationale oder gar auf das Völkische. Nicht Abschottung der Nationalstaaten ist die richtige Antwort auf die globalisierungsbedingten sozialen und politischen Verwerfungen, sondern Öffnung und globale Solidarität – vor allem mit denjenigen, die von den negativen Auswirkungen besonders betroffen sind. Nicht mehr oder weniger Globalisierung ist die Frage, wir brauchen vielmehr eine andere Globalisierung, die die Zerstörung der natürlichen Ressourcen beendet und allen Menschen ein „gutes Leben“ ermöglicht. Dies bedeutet, die Bewegungsfreiheit von Menschen zu gewährleisten und ihre sozialen Rechte zur Geltung zu bringen, anstatt weiterhin die Bewegungsfreiheit von Kapital und private Eigentumsrechte weltweit durchzusetzen.
Wie gesagt, vieles kann wegen der Kürze und des Charakters eines Basistextes nur angerissen werden. Das Buch bietet aber eine gute Basis, die verschiedensten (neuen) Aspekte von Globalisierung zu verstehen, miteinander zu verknüpfen und daraus Schlüsse für emanzipatorisches Handeln zu ziehen. In Attac ist die Debatte dazu auf verschiedenen Ebenen in vollem Gange. Auf der Metaebene „Neue globale Weltordnung“ z.B. um die Frage, wie Chinas Erfolgsmodell einzuschätzen sei oder darum, ob der Bedarf von Energie und Rohstoffen für „grüne Technologien“ neokoloniale Abhängigkeiten verfestigt oder zu Machtverschiebungen zugunsten arm gemachter Länder führen kann. Bei der Suche nach Ansatzpunkten emanzipatorischen Handelns hierzulande sind es Fragen wie „Wie ist die Rechtsentwicklung aufzuhalten?“ oder „Wie gewinnen wir Menschen für Umverteilung?“ oder „Wie kann die notwendige Vergesellschaftung von Produktion und Gemeingütern aussehen?“. All diese Fragen haben mit Globalisierungskritik zu tun und dafür lohnt es sich, den Basistext Nr. 60 zur Hand zu nehmen.
Download als PDF