Gesetzesmaßnahmen der Bundesregierung im Zuge der CoViD-19-Pandemie
Zwar hat in Deutschland offiziell niemand das Virus verharmlost oder verleugnet, dennoch beschränkten sich im ersten Schritt Maßnahmen auf die klassische Quarantäne infizierter und Identifikation von Kontaktpersonen, im zweiten Schritt auf Maßnahmen sozialer Distanzierung (etwa Schließung pädagogischer Einrichtungen, Kontaktverbote, Schließung von nicht zur Grundversorgung notwendiger Betriebe und Einrichtungen). Maßnahmen im Bereich des systemischen Preparedness wurden hingegen durch die Bundesregierung jedoch zunächst nicht, uns aktuell auch nur in Ansätzen ergriffen. Der seit mehr als einem Vierteljahrhundert eingeübte Reflex, dass der Staat sich aus der Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung raushalten soll und vor allem durch gesetzliche Maßnahmen zur ordnungspolitischen Sicherung einer vor allem durch gelenkten Wettbewerb betriebswirtschaftlich definierten Effizienz, hat die inhaltliche Kompetenz und auch das Verständnis für eine öffentlich gestaltende Politik in der Gesundheitsversorgung diskreditiert. Spätestens aber das Aufkommen der Coronaepidemie zeigt deutlich, dass die vermeintliche Orientierung betriebswirtschaftlicher Effizienz, die sich vor allem in der leistungsbezogenen Abrechnung aufgrund von definierten, preislich extern bewerteter Leistungen (Sonderentgelte, Fallpauschalen auf der Basis klassifizierter Patientengruppen (DRG)) ausdrückt, der notwendigen Preparedness für den Krisenfall nicht gewachsen ist. Spätestens jetzt kann man erkennen, dass die Gesundheitsversorgung mehr ist, als ein System zur Absicherung des allgemeinen, aber aus Sicht traditioneller, im Kern neuneoliberaler Ökonomen (vor allem Chicogo-School, neue österreichische Schule) letztlich individuellen (privaten) Krankheitsrisikos. Das Gesundheitssystem ist, das ist für viele die erschreckende neue Erkenntnis, sogar ein bedeutender Bestandteil der wirtschaftlichen Infrastruktur, in dem es die Arbeitsfähigkeit von Menschen sichert und damit wenigstens indirekt die Funktionsfähigkeit des wirtschaftlichen Lebens. Es ist Bestandteil der Daseinsvorsorge, in der es den Bedürfnissen der örtlichen Gemeinschaft dient und schließlich auf allen Ebenen des politischen Systems (internationale, nationale,, föderal, kommunal) der gesundheitlichen Gefahrenabwehr, die letztlich ein wesentliches Element gesellschaftlicher Stabilität ist.
Die Zeitschrift Lancet fragte angesichts der Krise nicht umsonst ob die CoViD-19-Pandemie nun dazu führen könnte, dass das Thema des „Preparedness“ nun auf der gesundheitspolitischen Agenda deutlich an Bedeutung gewinnen würde. Denn im Grunde verhält es sich bei der pandemischen Gefahr durch übertragbare Krankheiten nicht wesentlich anders, wie beim Klimawandel bzw. der Übernutzung der Ökosphäre, oder den Finanzmarktblasen. Das Wissen war vorhanden, nur die politische Agenda wurde durch den ökonomischen Mainstream deformiert, der Gesundheitsleistungen als private Güter möglichst schnell in kommerzielles Umfeld implantieren will und damit dem vor allem unternehmerischen Verwertungsinteresse obliegen soll. So wurde spätestens seit der Sars-CoV-Pandemie 2002/3 von Wissenschaftlern auf die Gefahr von weltumspannenden Pandemien hingewiesen. Auf supranationaler Ebene (WHO, Wirtschaftsforen) wurden Szenarien durchgespielt, wie wir sie nun mit CoViD-19 erleben. Vorbereitet (prepared) ist aber weder die Weltgemeinschaft, die EU und auch nicht die Bundesrepublik Deutschland. Selbst Warnhinweise, wie MERS (Middle-East-Respiratory Syndrom, 2015) oder die Schweinegrippe, 2010, haben eher zum Laissez-Faire verleitet, als die Gefahr ernst zu nehmen. Noch jetzt gibt es teilweise hochangesehene Wissenschaftler die mit Blick auf die Schweinegrippe behaupten, dass die Warnungen davor völlig überzogen gewesen seien und es am Ende gar nicht so schlimm gekommen sei. Auch damals war das Land und die Welt nicht prepared, das Land, Europa und die Welt hatten Glück. In Gesundheitseinrichtungen spricht man von Critical Incidents, die fast zu einem Schaden (für Menschen) geführt hatten, Die Verweigerung, aus Beinahe-Katastrophen zu lernen, kennt man sonst nur von dem Befürworten der Kernenergie.
Was bedeutet „Preparedness“. Der Begriff „Preper“ für die Bezeichnung von Menschen, die sich durch individuelles Horten von Gütern des täglichen Bedarfs auf Krisen ‚vorbereiten‘, ist spätestens seit dem unvorstellbaren Kampf um die letzte Rolle Toilettenpapier jedem bekannt. Er hat bisweilen aber psychotische Züge, da Verhalten, etwa der Hamsterkauf, in großem Umfang angstgesteuert und irrational ist. Es ist individuell zudem völlig aussichtslos, für eine gewisse Zeit „vorbereitet“ zu sein, wenn gleichzeitig die Funktionsweise des umgebenden Systems über eine längere Zeit nicht gegeben ist und durch das individuelle Verhalten die Störung sogar nicht vertieft wird.
Preparedness folgt auch nicht dem alten „schwäbischen“ Leitspruch „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“. Vielmehr können wir als Preparedness einen für Gesundheitswissenschaftler bekannten, auf Antonovsky zurückgehenden Begriff der „Resilienz“ bemühen, allerdings auf der gesellschaftlichen Systemebene. Wir sprechen als von systemischer Resilienz als der Fähigkeit sowohl regelmäßig wiederkehrende Anforderungen zu beherrschen, als auch unregelmäßig wiederkehrenden bis hin zu außerordentlichen Anforderungen zu begegnen. Da soziale Systeme interdependent sind, also miteinander agieren, haben wir es aber nicht einfach mit einer Art Versicherung zu tun, die ein unbestimmt eintretendes Schadensereignis mit einem konkret definierten Schaden absichert.
Eine kürzlich im Lancet erschienene Studie zur Preparedness von Gesundheitssystemen kommt zu dem Ergebnis, dass etwa der Hälfte der Staaten, vor allem wirtschaftlich arme, weltweit unvorbereitet auf gesundheitliche Krisenlagen sind. Im Lichte der aktuellen Pandemie scheint diese Einschätzung unverhältnismäßig positiv. Verhältnismäßig reiche Staaten, wie Italien, Spanien und vor allem die USA scheinen auf die Pandemie nicht vorbereitet zu sein. Die Kriterien des Preparedness sind spätestens im Anschluss an die Krise daher neu zu bewerten.
Selbst Deutschland hat im Verständnis des Preparedness große Defizite. Die Konzentration der Produktion von für die Gesundheitsversorgung essentiellen Gütern hat schon vor der Krise, etwa bei der Anitbiotikaherstellung, für Engpässe gesorgt. In der pandemischen Krise kann bei einer exponentiell steigenden weltweiten Nachfrage kurzfristig national kaum eigenständig nachgesteuert werden, wie man am Thema Schutzkleidung deutlich sieht. Dabei haben wir noch Glück im Unglück. Eine kürzlich von der Bertelsmannstiftung vorgelegte Studie hat vorgeschlagen, die Krankenhausleistungen nach dänischem Vorbild an wenigen Megakrankenhäusern zu konzentrieren und vor allem kleine Krankenhäuser zu schließen. In der Konsequenz hätten damit nur etwa die Hälfte der Krankenhäuser und ein Drittel der Krankenhausbetten zur Disposition gestanden. Mit Blick auf die Anforderungen durch CoViD-19 hätte diese die Versorgungskapazitäten deutlich schneller an ihre Grenzen gebracht. Zudem führt die Konzentration an wenigen Standort dazu, dass die Gefahr iatrogen bedingter, also durch die Behandlung im Krankenhaus selbst hervor gerufener Infektionen steigt. Heute sind Krankenhäuser, die vor Kurzem hätten geschlossen werden sollen, Coronakrankenhäuser. Das Beispiel Italien macht deutlich, dass, wenn ein System eine Ausdifferenzierung gerade in der Krise nicht mehr durchführen kann, die Versorgung selbst Ursache von Ansteckung und damit Letalität werden kann, weil sowohl Personal als auch Material schnell in die Überforderung kommen. Es ist im Übrigen am Ende zu klären, wieviel Menschen ohne CoViD-19 zu Schaden gekommen sind, weil sie für behandlungsbedürftige Erkrankungen keine adäquaten Zugänge mehr hatten. Diese Toten werden nicht als „Coronatote“ gezählt.
Der deutsche Gesetzgeber hat nun im Schnellgang zwei Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, um den Nachteil der mangelnden Preparedness zu begegnen und gleichzeitig die Grundlagen für eine Coronawirtschaft im Gesundheitswesen zu legen: Zum einen das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, des Weiteren das „CoViD-19 Krankenhausentlastungsgesetz“. Während das erste Gesetz eine Mischung aus Ermächtigungsgesetz und ad-hoc-Maßnahmenpaket ist, will das zweite die versprochene finanzielle Absicherung der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sicherstellen.
Die Bewertung der beiden Gesetze wird unter Würdigung des vorgenannten Grundsatzes des Preparedness erfolgen, auch wenn die Gesetze durch ihre schirre Notwendigkeit beweisen, dass ein Mangel von systemischer Preparedness besteht.
Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite
Das Gesetz will gleich zwei Dinge auf einmal erledigen. Es will eine grundsätzliche Ermächtigungsregelung für die rechtliche Durchsetzung von Kompetenzen des Bundesministers für Gesundheit innerhalb einer Pandemie. Gleichzeitig regelt es im Detail befristet Maßnahmen, die ausschließlich für die aktuelle Pandemie gelten. Allein diese in ein Gesetz gegossene Mehrdeutigkeit macht das Ganze nicht nur unübersichtlich, wenn also einige Teile dauerhaft gelten, andere zu unterschiedlichen Zeit außer Kraft gesetzt werden. Unabhängig davon sollte angesichts des Charakters einer aus der aktuellen Situation gespeisten Ad-hoc-Gesetzgebung das gesamte Gesetz befristet werden und mit Blick auf das Gelingen und Nichtgelingen mit Letztauslaufen der CoVoD-19 bezogenen Maßnahmen im Rahmen der Pandemie die Regelungen die Notwendigkeit rechtlicher Regelungen bewertet werden. Ein in der Krise schnell gestricktes Gesetz sollte nicht den Anspruch haben, auf Dauer zu gelten. Abgesehen davon ist der Aufbau des Artikelgesetzes dezent gesagt sehr unübersichtlich, wenn Regelungen im Infektionsgesetz erst neu eingeführt werden, dann an anderer Stelle (Art. 2 + 3) aufgehoben werden, diese Artikel dann an anderer Stelle mit einem Datum versehen werden.
Dabei ist zunächst unbestreitbar, dass ein landesweiter Ausbruch einer epidemischen Infektionskrankheit eine Bundesaufgabe darstellen muss. Das Gesetz klärt aber die Aufgabenteilung zwischen den Bundesbehörden, den Landesbehörden und den kommunalen Trägern nicht, sondern regelt nur Befugnisse des Bundes.
Inhaltlich sind einige Regelungen zumindest ungenau.
Die Regelungen des Art. 1 Nr.5 zur situativen Ausübung heilkundlicher Tätigkeit durch nichtärztliche Berufe sind schlecht formuliert und schaffen keine Rechtsklarheit oder -sicherheit. So darf eine Person mit einer der aufgeführten formalen Ausbildungen dann situativ heilkundlich tätig werden, wenn sie „in der Ausbildung“ entsprechende Kompetenzen erworben hat und durch persönliche Erfahrung dazu fähig ist. Alles das wird auch durch die Gesetzesbegründung nicht konkretisiert. Nicht klarer wird es, wenn eine weitere Bedingung ist, dass eine „ärztliche Behandlung im Ausnahmefall … nicht zwingend“ erforderlich ist, die Leistung aber dennoch eigentlich eine heilkundliche ist. Schließlich soll „unverzüglich“ einem Arzt („verantwortlich“ oder sonstig „behandelnd“) unterrichtet werden. Üblicherweise bedeutet „unverzüglich“ ohne schuldhaften Zeitverzug. Ob dieser Gesetzesvorbehalt praktikabel ist, ist zweifelhaft
Bei genauerer Betrachtung ist die Regelung entweder unnötig, weil jede fachkundige Person im Rahmen ihrer durch Qualifikation erworbenen Kompetenz und ihrer durch berufliche Tätigkeit erworbenen Fähigkeiten tätig wird, um dauerhaften Schaden von einem Patienten abzuwenden. Oder aber sie ist schädlich, weil sie die gerade in Großschadensereignissen (wie einer Epidemie) praktisch notwendige gute Abstimmung zwischen den Berufen unnötigerweise in Frage stellt. Die in der Begründung gemachte Bedingung der ärztlichen Anordnung macht das Ganze nicht besser. Dieser Paragraph ist schlecht und schlicht praxisfern. Man mag die Regelung ertragen, weil sie nur ein Jahr gilt.
Die Kompetenzen, die sich das BMG zuordnet, sind im Übrigen eher allgemein gehalten. Das ist verwunderlich, da etwa die Versorgung mit Schutzkleidung aktuell in der Kritik steht und sich der Gesundheitsminister hier Versäumnisse einräumen lassen muss. So mag man es in einer Situation des Massenanfalls Infizierter (MAnI) zwar richtig halten, dass sich das BMG, Kompetenzen in der Sicherung von grundlegenden Versorgungsgütern und –leistungen zugesteht, aber die praktische Handhabung erschließt sich in dem Gesetz nicht. Der kürzliche Verweis des Wirtschaftsministers wegen der Kritik an der eigenen Untätigkeit, macht das ganze Problem deutlich. Ein Gesundheitsminister ist nicht für Wirtschaft richtig zuständig und der Wirtschaftsminister für Gesundheitsversorgung. Lösungsorientiert ist das nicht.
Die berechtigte europäische Kritik an der deutschen Regierung war, dass sie Entscheidungen gefällt hat, ohne ausreichende Abstimmung mit den europäischen Partnern getroffen zu haben. Im Covid-19-Gesetz wird sowohl bei den allgemeinen unbefristeten Ermächtigungen, als auch bei den befristeten Maßnahmen weder auf einen europäischen Abstimmungsbedarf, etwa bei Grenzschutzfragen, noch auf den internationalen Kontext verwiesen, etwa auf Handlungen der Europäischen Kommission, noch der Weltgesundheitsorganisation. Dies ist deshalb verwunderlich, weil etwa die Ausrufung einer Pandemie kein nationales Geschehen ist, und durchaus, wie etwa bei vorherigen Pandemien der letzten zwanzig Jahre, noch nicht zu einer Ausrufung eines bedeutenden nationalen Geschehens. Frühwarnsysteme und daraus resultierende präventive, vorzeitige Maßnahmen fehlen. Damit greifen Maßnahmen erst dann, wenn die Infektion schon in Deutschland/Europa angekommen ist und dadurch eher drastische Maßnahmen ergriffen werden müssten. Als Beispiel mag hier wiederum die Frage der Schutzausrüstung in Form einer abgestimmten rechtzeitigen Bevorratung gelten. Denn schon im Januar war absehbar, dass, nicht zuletzt aufgrund der Auslagerung der Produktion essentieller Güter in Billiglohnländer wie China und Indien, schon im Regelbetrieb des deutschen Gesundheitswesens Knappheiten entstehen würden. Ein Frühwarnsystem mit entsprechendem Handlungsmechanismen bzw. -optionen wäre hilfreich gewesen, um heutige Probleme zumindest zu mildern.
Dafür greifen die Ermächtigungen für das BMG sehr tief in parlamentarische und föderale Grundrechte ein, weil alle Verordnungen ohne Zustimmung der Länder erfolgen sollen. Ein föderaler Rat oder ein Instrument föderaler Abstimmung fehlt insofern sowohl in der Tiefe des parlamentarischen Systems als auch auf supranationaler Ebene. War der bisherige Mechanismus des informativen Austauschs angesichts der aktuellen Entwicklung zu schwach, so wird als Lösung der bisherige Bund-Länder-Abstimmungsprozess ohne adäquaten Ersatz außer Kraft gesetzt. Die Restkompetenz der Bundländerkoordination regelt nun das RKI auf behördlicher Ebene. Das scheint auch mit Blick auf notwendige Konsistenz von Maßnahmen bis hinunter zur regionalen/kommunalen Ebene keine gute Lösung.
Zwar werden auf Bundesebene wenigstens die grundlegenden rechtlichen Maßnahmen im Verordnungswege parlamentarisch beschlossen, ein Teil perse und die Umsetzungsbestimmungen zu den Verordnungen werden dann im Anordnungswege umgesetzt. Ein Mechanismus zur parlamentarischen Berichterstattung und Kontrolle ist nur im Nachgang der Epidemie vorgesehen und dies auch nur für die aktuelle CoViD-19-Epidemie.
Zusammenfassend merkt man die schnelle Erstellung des Gesetzes. Einige Regelungen bleiben rechtlich unspezifisch. Im Rahmen einer aktuellen Notlage mag man das verzeihen, aber im Zweifel bleibt eine auch nachträgliche Rechtsunsicherheit. Zwar sieht das Gesetz vor im neuen §1a Infektionsschutzgesetz vor, dass dem Bundestag bis zum Ende März 2021 Bericht zu erstatten ist, allerdings nur mit Blick auf den notwendigen Ausbau der Kompetenzen und der Schaffung neuer Institutionen, nicht zur Bewertung der aktuellen (föderalen) Strukturen der Begegnung einer epidemischen Großschadenslage und der Bewertung der nun eiligst erlassenden Ermächtigungen. Die durchaus richtige Feststellung, dass es einer einheitlichen internationalen Strategie zur Bekämpfung der aktuellen Pandemie mangelt, wird das Gesetz kaum gerecht, weil trotz der bei solchen Schadensereignissen immer vorliegenden internationalen Kontext die Bewältigung ausschließlich national gedacht wird. Auch mangelt es an einem gestuften Vorgehen, die für ein rechtzeitiges Vorgehen sorgt, dass Vorkehrungen ermöglicht, auch wenn aktuell ein epidemisches Großereignis möglich ist, aber noch nicht eingetreten ist. Insofern wäre es mehr als gerechtfertigt, das gesamte Gesetz unter aktuellen Vorbehalt zu stellen und nach Überwinden der Pandemie eine neue nationale Strategie zur Begegnung der auch nach CoViD-19 weiterhin bestehenden Gefahr eines pandemischen Geschehens zu diskutieren.
Die Prävention muss auch sozialwirtschaftlich abgesichert werden, so dass im Angesicht der heraufziehenden pandemischen Gefahr verhindert wird, dass, wie aktuell erneut, eher dubiose Einzelpersonen und Unternehmen rechtlich zulässige, aber wirtschaftlich unproduktive, volkswirtschaftlich Wetten auf fallende Kurse setzen und damit zu Profiteuren des gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Leids werden.
CoViD19-Krankenhausentlastungsgesetz
Der Kurztitel signalisiert etwas, was das Gesetz grundsätzlich nicht leistet. Offensichtlich hat das Gesetz jemand geschrieben selbst im Angesicht der Coronakrise schon ohne Krise untaugliches Instrument der Krankenhausfinanzierung beizubehalten, und dafür ein bürokratisches Monster zusammen konstruiert hat. Das BMG verlangt nun von den Krankenhäusern in einer Situation weiterhin die Abrechnung nach dem diagnosebezogenen, extern bepreisten Fallpauschalensystem, zusätzlich wird eine auf ausbleibende Belegungstage beruhende Tagespauschale berechnet, um den Erlösausgleich durch die Absage von nicht prioritären zeitkritischen Behandlungsfällen auszugleichen, also Bereitschaft für Corona statt Leistung für irgendwas. Das ist insofern widersinnig, weil das aktuelle System erlöstechnisch auf Fallzahl und Fallschwere beruht. Behandlungstage spielen nur bei der Fallbewertung eine Rolle, und spielen vergütungstechnisch nur bei besonders langen Krankenhausbehandlungen oder sehr kurzen eine Rolle. Ausfallende Behandlungstage als zusätzliche Berechnungsgrundlage zu nehmen ist insofern im aktuellen System unsinnig und führt unweigerlich zu Ungerechtigkeiten, auf keinen Fall sind sie hilfreich um Liquidität zu sichern (weil ja erst der Nachweis für ausbleibende Tage gelingen muss) und zum anderen können sie Mindererlöse im Verhältnis zu konstanten Kosten nicht zielsicher ausgleichen. Das gleiche gilt letztlich für die pauschale Anhebung des Pflegeentgeltwerts, der entlang des Casemix für die ausgegliederten Pflegekosten hausbezogen bezahlt wird.
Da ist mit dem Minister Spahn oder seinen Ministerialbürokraten wider jeder Vernunft der Gaul durchgegangen. Einfacher wäre es gewesen, das vereinbarte Budget als monatlichen Abschlag durch die Krankenkassen zu finanzieren und am Ende des Jahres eine Spitzabrechnung aufgrund eines rückwirkenden Selbstkostennachweises. Dieses sollte wenigstens ab 1. März, wenn nicht sogar vereinfacht für das Jahr 2020 gelten und als Selbstkostenvereinbarung für das nächste. Fallpauschalen oder Pflegetage werden dann als Verteilungsschlüssel des Kostenbudgets auf die Krankenkassen genutzt. Da der Kostennachweis nun keine neue Erfindung ist, dürfte dieses System kein Hexenwerk sein. Leistungsausweitungen, wie etwa die Ausweitung der Beatmungsplätze, kann dann budgetsteigernd wirken. Die Pauschale von 50.000 Euro erscheint dabei als zu gering, da man davon ausgehen muss, dass pro Beatmungsplatz wenigstens eine halbe intensivpflegerische Vollkraft 24/7 notwendig ist, allein das sind schon mehr als 2,5 Vollkräfte, also ohne ärztlicher Dienst, sekundäre und tertiärer Dienstleistung sowie medizinischer und pflegerischer Bedarf.
Auf Gewinne und Verluste in der Finanzierung zu verzichten und bekannte Fehlanreize im System auszuschalten und nicht auf „betriebswirtschaftliche“ Effizienz zu setzen ist erst recht in der Krise volkswirtschaftliche Vernunft. Peinlich ist auch, dass die Maßnahmen punktgenau zum 16. März greifen sollen. Vernünftige Krankenhausmanager sollten da schon auf die Krise reagiert haben. Wenigstens mit dem Ausruf der Pandemie durch die WHO am 11.3.2020 und nicht die Einsetzung von Maßnahmen der Kontaktbeschränkung sollten Maßstab sein, besser aber der 1. März. Belohnt werden Spätzünder, bestraft verantwortungsvolle Frühstarter, kein gutes Signal.
Die Regelungen zur Selbstkostenbudgetierung sollten wenigstens bis Mitte 2021 gelten, also mit der erwarteten Beendigung der Epidemie durch einen fähigen Impfstoff zuzüglich einer Übergangsfrist in der Rückkehr zur Normalität. Prinzipiell ist mit Blick auf die derzeitige Situation auch über eine Neudefinition der Leistung, wie sie in der Vergangenheit durch duale Finanzie-rung zum Ausdruck gekommen ist, bei der Investitionsfinanzierung durch eine Rückkehr zur Mischfinanzierung ggfs. nach Muster der Regelung für die FNL.
Die Reduzierung der Zahl der MD(K)-Prüfungen klingt zwar schick, aber es bringt einen Mangel an Aufgabendefinition des MD in der Pandemie zum Ausdruck. Was wird dort im Rahmen einer Änderung der Inhalte des Versorgungsauftrags und nicht zuletzt des Obsoletwerdens der Leistungserlösvereinbarung. Das Ministerium hält an Grundsätzen, die in der Corona-Gesundheitswirtschaft keine Grundlage mehr haben. Vielleicht ist das nur deshalb so, weil man Angst hat, dass am Ende herauskommen könnte, dass der bisher gepflegte sinnentleerte Popantismus tatsächlich überflüssig und schädlich ist.
Im Vergleich dazu hat man in der Pflegeversicherung eine offenere Formulierung geprägt. Zum einen müssen gegenüber (irgendeiner) Pflegekassen eine Störung durch CoViD-19 anzuzeigen, so dass Kompensationsmaßnahmen sächlicher, personaler und finanzieller Art ermöglicht werden können. Dass das BMG den doch eher zentralistisch aufgestellten Pflegekassen hier kommunikative und koordinierende Aufgaben in einem regionalen Versorgungskontext zuordnet ist aber eher Optimismus. Zu sehr hat man im Gesundheitssystem auf Selbststeuerung über finanzielle Anreize gesetzt. Gerade in der Pflegeversicherung hat man den Pflegebedürftigen sehr in der Rolle des Kunden versetzt, dass die Einsicht in das Potenzial gefährlicher Pflege keine Bedeutung hatte. Nun muss man diskutieren, was den die Störung der pflegerischen Versorgung sind, die so relevant sind, dass sie zu kompensieren sind. Etwas klarer ist die Lösung bei zusätzlichen Kosten durch die Pandemie, wie etwa erhöhte Ausgaben für Schutzkleidung und erhöhte Personalaufwendungen, die auf Nachweis zu finanzieren sind. Die Regelung gelten bis September 2020, was in Hinsicht auf die Regelungen im vorgenannten Gesetz eigentlich unverständlich ist, weil dort offensichtlich von einer Gefahrenlage bis zum März 2021 ausgegangen wird.
Das CoViD-19 bedingte vereinfachte Assessment zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit sowie der Fortfall der Pflicht zur Beratung durch Pflegedienste für häuslich gepflegte Pflegebedürftige und deren Angehörige ist konsequent und sinnvoll.
Während das Gesetz gerade bei den Krankenhäusern, die die Hauptlast für die Bewältigung der Pandemie zu tragen haben, schlecht formuliert, inhaltlich bürokratisch und inkonsequent ist, kann es bei den ergänzenden Regelungen, die offener formuliert sind, den Entlastungseffekt wahrscheinlich sicherstellen. Eines ist das Gesetz aber nicht: ein Krankenhausentlastungsgesetz.
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