Emanzipatorische Prozesse und Brüche
Doppelte Transformation
Um Perspektiven einer linken radikalen Realpolitik zu formulieren, wird der Begriff der „doppelten Transformation“ stark gemacht. Zwei Perspektiven sind demzufolge zentral. Eine weist über den Kapitalismus hinaus und führt in eine solidarische und ökologisch nachhaltige Produktions- und Lebensweise, die Klein „demokratischer grüner Sozialismus“ nennt. Die andere Seite der Transformation anerkennt realpolitisch: Unter den gegebenen Bedingungen scheinen Bündnisse dringend erforderlich, die der kapitalistischen Entwicklung einen anderen drive geben. Klein nennt in Anlehnung an eine breite Diskussion um einen Green New Deal dieses Szenario einen sozial und ökologisch regulierten postneoliberalen Kapitalismus. Auch diese Option bedarf sich gründlich verändernder Kräfteverhältnisse. Doch sie scheint dem Autor aus linker Perspektive mittelfristig eher gangbar als eine radikale gesellschaftliche Transformation.
Der Horizont einer doppelten Transformation wird entwickelt, um zwei Sachverhalte in den Blick zu nehmen. Zum einen wird bereits heute in der Krise des neoliberalen Kapitalismus heftig darum gekämpft, welche Projekte miteinander ringen und welche Szenarien gesellschaftlicher Entwicklung sich möglicherweise entwickeln. Er nennt deren fünf: Ein neoliberales „Weiter so“, einen zunehmend autoritäreren und entzivilisierten Kapitalismus, ein staastsinterventionistisch modernisierter, grün-neoliberaler Kapitalismus. Bei Letzterem, in dem viele Strategien der ökologischen Modernisierung verortet sind, wird der Marktradikalismus „durch mehr Staatsinterventionismus verteidigt. Keynesianisch inspirierte staatliche Politik dient neoliberaler Grundorientierung.“ (41) Diese drei Szenarien gilt es politisch zu bekämpfen.
Das vierte und das fünfte Szenario sind die zwei Seiten der doppelten Transformation. Das realpolitische Movens liegt in der Annahme begründet, dass der aktuelle Kapitalismus reformfähig ist (Szenario Green New Deal), der radikale Antrieb in der Einsicht in die Grenzen dieser Reformfähigkeit. Allerdings sind die beiden Dimensionen einer doppelten Transformation nicht konsekutiv zu verstehen. Bereits in den hart umkämpften Veränderungen hin zu einem postneoliberalen und progressiven Kapitalismus scheinen Elemente einer solidarischen und post-kapitalistischen Formation auf. Eine solidarische, gerechte und nachhaltige Gesellschaft jedoch kann in ihren Grundzügen nur demokratisch und sozialistisch organisiert sein.
Die Erzählung
In dieser Konstellation und angesichts fragmentierter linker Debatten und Strategien geht es Klein darum, einen gemeinsamen Rahmen für emanzipatorisches politisches Handeln zu entwickeln, der nicht starr ist, sondern sich entlang von Leitideen auf unterschiedliche Erfahrungen bezieht und eben diese sich selbst in einem umfassenderen Kontext stellen lässt. Er argumentiert, dass für die Linke grundsätzliche Kritik und politische Initiativen wichtig bleiben. Doch es fehle oft der innere Zusammenhang, eine lebendige Erzählung „von unten“ gegen die mit vielen Ressourcen verbreiteten Durchhalteparolen der Herrschenden. Notwendig sei es, einen „kühnen Bogen zwischen den elementarsten Vorwärts-Bedürfnissen, die im Gegenwärtigen schlummern, und der Vision von Wegen und Zielen ihrer Verwirklichung zu schlagen. … Aufzuspüren, welche Lebensfragen im Dasein der Menschheit zu Antworten drängen und geahnte Antworten dem Unausgesprochenen zu entreißen …“ (61f.) Handelnde sind wichtig in einer Erzählung, der dieser Lebendigkeit verleiht und welche die Bedingungen wie auch Optionen klärt, die Zumutungen durch herrschende Entwicklungen, Gefahren und positive Erfahrungen. Es ist dem Autor klar, dass es gegen eine solche Erzählung gute Einwände gibt: Das zapatistische „fragend gehen wir voran“, das seit 20 Jahren vor den Verheißungen oft nur vermeintlich radikaler Projekte warnt; das Argument einer unhintergehbaren Pluralisierung von Verhältnissen und Kämpfen, die nur um den Preis neuer (oft alter) Hierarchisierung aufgegeben werden kann.
Doch es wird von Dieter Klein insistiert: Die sich selbst befreienden Menschen benötigen für ihre Selbstentfaltung und der entsprechenden gesellschaftlichen Bedingungen eine faszinierende zentrale Idee, welche die zentrale Wahrheit der kapitalistischen Gesellschaft, den Profit, überwindet. Diese offene Erzählung ermöglicht „die Orientierung aller einzelnen Transformationsschritte und –projekte an sozial gleichen Bedingungen für die freie Persönlichkeitsentfaltung aller“ (66).
In bester unorthodoxer marxistischer Tradition werden Ansatzpunkte einer emanzipatorischen Erzählung aus den Widersprüchen des Kapitalismus sowie aus den Kämpfen seiner Bändigung und Überwindung gewonnen: Die strukturellen Antagonismen zwischen arm und reich, zwischen profitorientierter politischer Ökonomie und dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, zwischen starken demokratischen Ansprüchen sowie Erfahrungen in der Gesellschaft und einer undemokratischen Wirtschaft und tendenziellen Entdemokratisierung des Politischen, zwischen auskömmlichem internationalen Zusammenleben und der Brutalität des kapitalistischen Weltmarktes und der Geopolitik. Sie führt den Autor zu den Eckpunkten einer modernen linken Erzählung, die er umfangreich ausführt: Der Umverteilung von Lebenschancen und Macht, den sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, deren Demokratisierung sowie internationale Friedenssicherung und Solidarität.
Reform und/oder Revolution?
Wichtig ist hierfür, die Dichotomie von Reform und Revolution aufzuheben und in der Linken eine Kultur des gegenseitigen Respekts zu stärken, die nicht entlang von Wahrheitspositionen tendenziell andere ausschließt. Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts entsteht aus Such- und Lernprozessen, die nicht beliebig sind, sondern eben sich durchaus verfestigen können, ja müssen.
Klein argumentiert stärker als andere kapitalismuskritische Positionen, dass es auch darum geht, an Bestehendes anzuknüpfen und die „Modernequalitäten“ zu erhalten, so etwa ein Stand der Produktivkräfte, wobei diese sehr umfassend in Richtung Umwelttechnologien entwickelt werden sollten; ein bürgerlicher Staat, der zwischen progressiven und autoritären Elementen selbst umkämpft ist, aber als Terrain von Auseinandersetzungen nicht aufgegeben werden sollte; ein wachsendes Problembewusstsein in Teilen der Bevölkerung, trotz aller Bestrebungen und Tendenzen der Entpolitisierung und Sachzwangargumenten.
Politisch unmittelbar relevant sind für ihn weniger die oben genannten Großprojekte bzw. Szenarien oder selbst umfangreiche Teilprojekte wie die Energiewende. Menschen engagieren sich meist um konkrete Probleme, Konflikte und Interessen herum, was Dieter Klein in vielen früheren Arbeiten bereits als „Einstiegsprojekte“ bezeichnet hat. Sie können erfolgreich sein, „wenn sie ungelöste Widersprüche und Probleme zum Ausdruck bringen, die die Interessen wichtiger sozialer Gruppen betreffen. Sie können sich als Beginn wesentlicher Veränderungsprozesse erweisen, wenn sie für diese Kräfte in absehbaren Zeiträumen positive Veränderungen versprechen, wenn sie also machbar sind und deshalb mobilisierend wirken.“ (196f.) Doch um ihnen eine Richtung zu geben, bedarf es eben einer Erzählung, anhand derer Erfahrungen verarbeitet und Handeln orientiert werden kann.
Welche Zukunft?
Das Buch formuliert indirekt auch ein Forschungsprogramm. Die recht knapp gehaltenen Kapitel zu sich möglicherweise herausbildenden alternativen Akkumulationsregimen und Regulationsweisen – Klein stellt einer finanzdominierten Ausrichtung eine sozial-ökologische entgegen – sollten anregen für weitere Diskussionen, um Konturen möglicher Zukünfte auf der ökonomischen, politischen und kulturellen Ebene stärker in den Blick zu bekommen. Denn auch ein reformierter Kapitalismus muss ja auf der Ebene der Kapitalkreisläufe, ihrer gesellschaftlichen Einbettung und der Herausnahme immer weiterer Bereiche aus der Profitlogik funktionieren. Hier wird etwa eine Perspektive genannt, dass ein reformierter Kapitalismus nach einer Phase zunehmender Investitionen von einer erweiterten Reproduktion des Kapitals zu einer einfachen Reproduktion übergeht: Öffentliche Daseinsvorsorge, starke Sozialsektoren und Care-Economy werden zu Wachstumsbremsern (was übrigens ein starker und berechtigter Widerspruch zu den meisten Ansätzen eines progressiven Green New Deal ist).
Die Gegenrichtung würde eine Intensivierung des finanzmarktdominierten Kapitalismus implizieren. Genauer zu untersuchen wären hier in Anschluss an das Buch etwa die Dynamiken der weiteren Finanzialisierung der Natur und, allgemeiner, die Konturen eines grünen Kapitalismus.
Im Kontext der recht breiten Debatte um Transformation, der Klein zu Recht vorwirft, einen diffus-unverbindlichen Allerweltbegriff zu prägen (man fühlt sich in der Tat oft an einen Großteil der Debatte um Nachhaltigkeit erinnert), macht das Buch einen starken Punkt. Denn der „menschliche Reichtum“ (Marx), den Klein in Anlehnung an die Vier-in-einem-Perspektive von Frigga Haug entwickelt, spielt in den ökologisch inspirierten Diskussionen um Transformation kaum eine Rolle. Zu groß und systemisch scheinen die Probleme und ihre mögliche Bearbeitung. Menschheitsprobleme können nur global angegangen werden, die planetarischen Grenzen nur im Großen angegangen. Allenfalls wird noch das Individuum als „Handlungsebene“ genannt. Doch damit, und darauf weist der Entwurf von Dieter Klein hin, wird in den meisten Beiträgen der Bezugspunkt der Emanzipation aufgegeben. Demokratie, wenn davon überhaupt die Rede ist, dient nicht dem Abbau von Herrschaft über Menschen und Natur, sondern wird als Partizipation funktional für eine bessere und legitimere Problemlösung eingesetzt.
Das umsichtig argumentierende, dennoch überaus starke und plausible Positionen entwickelnde Buch zeigt, dass der Transformationsdebatte insgesamt und der wachstumskritischen Debatte im Besonderen eine gründlichere Diskussion von Fragen wie der Rolle von Kapitalmacht und Eigentum einerseits, Emanzipation und Demokratie andererseits guttun würden. Und es geht nicht nur um Nischen, konkrete Alternativen und anderes individuelles Verhalten, sondern eben auch um eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Zugespitzt: Solange in EU-Europa Austerität und Lissabon-Strategie herrschen, drohen Share Economy und die Stärkung der Gemeingüter prekär zu bleiben.
Etwas unterbelichtet bleibt meines Erachtens die Problematik der Hegemonie. Eine doppelte Transformation muss ja Lebensweisen und Subjektivitäten verändern. Das wird durchaus benannt (und etwa auf die Herausbildung des Kapitalismus und seines „Geistes“ samt seiner mentalen Infrastrukturen verwiesen), doch in den politisch-strategischen Überlegungen kommt das etwas zu kurz. Was wären etwa Konflikte und Einstiegsprojekte innerhalb von Gewerkschaften, progressiven Verbänden und linken Parteien, gerade in der aktuellen Krise, um emanzipatorische sozial-ökologische Veränderungen voranzutreiben?
So wichtig es ist, analytisch unterschiedliche Szenarien und Strategien zu identifizieren, so stark vereinfacht wirkt die Gegenüberstellung einer Profitlogik und einer „sozial-ökologischen Gegenlogik“. Das Sozial-Ökologische selbst ist doch ein Terrain sozialer Auseinandersetzungen: Auch die neoklassische Umweltökonomik oder ein wachstumsfixierter, wenig progressiver Green New Deal beansprucht solch ein Vokabular für sich. Das betrifft auch die Kämpfe darum und Selbstverständnisse darüber, was als „positive Veränderungen“ – so die formulierte Bedingung für erfolgreiche Einstiegsprojekte – gesellschaftlich, für einzelne Gruppen und für Menschen relevant ist. Als positiv empfunden werden heute von vielen Menschen die nächste Handy- und Autogeneration, die mit ressourcenintensivem Marketing der Anbieter dieser Produkte „promoted“ werden. Gleichwohl nennt Klein viele Beispiele für Einstiegsprojekte auf dem Weg zu einer attraktiven Produktions- und Lebensweise, die seinen oben dargelegten Prinzipien entsprechen.
Die Untersuchung ist explizit begrenzt auf Deutschland und sich dieser Schwäche bewusst – eine solidarische Gesellschaft muss natürlich die Imperative des kapitalistischen Weltmarktes aussetzen. Doch es ist gleichzeitig die Stärke, weil eben nicht über konkrete Erfahrungen und Kämpfe hinweggegangen wird, Akteure und Konstellationen auch konkret werden; was allzu oft in Beiträgen zu „globalen“ Veränderungen fehlt und dort auch fehlen muss.
Das Buch ist Teil einer marxistischen und sozialistischen Debatte, die in den letzten Jahren Kohärenz gewinnt. Die lange Zeit vorherrschenden Trennungen sozialer und ökologischer Fragen werden mehr und mehr überwunden. Das Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Dieter Klein eng verbunden ist, wie auch die Stiftung insgesamt sind institutionelle Orte des Kohärent-Arbeitens analytisch fundierter Vorschläge, in die aktuelle Erfahrungen linker Kämpfe eingehen. Die vierteljährlich erscheinende Publikation „LuXemburg“ ist nicht zufällig die am meisten zitierte Quelle der Inspiration. Entsprechend handelt es sich nicht um ein programmatisches Buch für die Linkspartei, obwohl diese immer wieder Bezugspunkt ist. Transformationen im Kapitalismus und über ihn hinaus, so der Untertitel, sind ungleich komplexer.
Die Metapher des Tanzes, so wird später im Buch deutlich, steht für eine zweite Dimension: Tanz kann Widerstand ausdrücken, wenn er gegen die herrschaftlichen Zumutungen „die Desorganisation des Lebens tanzt“. Wenn er sich so dagegen wehrt, dass Körper, Gefühle und Wahrnehmungen zu kapitalistischen Waren werden, zum Objekt von kommerziellen Erlebnisanbietern und einer Öffentlichkeit, in der es nicht mehr zuvorderst um die Aushandlung gesellschaftlicher Probleme und Konflikte geht, sondern um die Zurschaustellung von um den Profit Willens produzierten Produkten.
Tanzen zeigt also vielfältige widerständige Praxen an und in ihm können sich Ansätze größerer Entwicklungen andeuten, die zunächst kaum erkannt, sondern eher nicht selten missachtet werden, aber bereits heute für ein anderes Morgen stehen.
Dieter Klein (2013): Das Morgen tanzt im Heute. Transformation im Kapitalismus und über ihn hinaus. Hamburg: VSA.
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