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Die Resonanzstrategie. Warum wir Nachhaltigkeit neu denken müssen

Eine Rezension des Buches "Die Resonanzstrategie. Warum wir Nachhaltigkeit neu denken müssen" von Fritz Reheis (1).

Resonanzstrategie ist keines der Themen, mit denen ich mich bisher intensiv auseinandergesetzt habe. Dass ich jetzt also dieses Buch bespreche, liegt daran, dass Fritz Reheis mich direkt darauf angesprochen hat. Ich spreche also, was die umfassende literarische und wissenschaftliche Bearbeitung des Themas Resonanz angeht, als ziemlicher Laie. Aber auch für einen solchen ist leicht nachvollziehbar, dass alles Tun und Geschehen Resonanzen auslöst und Nachhaltigkeit nur sinnvoll gedacht werden kann, wenn man das bedenkt und berücksichtigt.

Nachhaltigkeit wiederum ist eines der Themen, das in meiner Beschäftigung mit Fragen der sogenannten Entwicklungspolitik ebenso wie solchen der Wachstumskritik eine wichtige Rolle spielt. Mein Blick auf das Buch ist somit einer, der mehr auf den zweiten Teil des Titels gerichtet ist als auf den ersten. Ich beschränke mich folglich bezüglich der Resonanzstrategie auf zwei Bemerkungen. Erstens hatte ich als thematisch wenig erfahrener Leser den Eindruck, zu verstehen, was der Autor sagen will. Sprache, Aufbau der Argumentation und die Abfolge der Darstellung sind so, dass man gut folgen kann.

Zweitens muss Reheis' Zeitbegriff kurz erläutert werden, da er für seine weitere Argumentation zentral ist. Nicht zufällig ziert den Buchtitel ein Button mit einer programmatischen Aussage: „Plädoyer für die Wiederentdeckung der Zeit“. Zwei Zeiten sind zu unterscheiden, die lineare und die zyklische (S. 35). Linear sind Zeitverläufe, die „immer wieder etwas vom Gleichen zu einer Sache, einem Lebewesen, einer Situation“ hinzufügen, beispielsweise Wachstum oder Fortbewegung im Raum. Bildlich wäre das eine Linie. Dagegen folgt die zyklische Zeit dem Bild des Kreises, also „der Wiederkehr“. (S. 36f), wie etwa die Jahreszeiten oder Herzschlag und Atem. „Im Unterschied zum Evolutionsansatz, der die Hervorbringung des Neuen fokussiert, zielt die Ökologie der Zeit eher auf die Frage nach der Stabilität der Welt, auf zyklische Wechselwirkungen, die die Welt tragen und das Leben auf Dauer stellen, also nachhaltig machen.“ (S. 39) Da beide Zeiten gleichzeitig existieren und da Zyklen nicht identisch, sondern ähnlich sind, wäre das Bild einer nachhaltigen Zeit eine Spirale.

Mit diesem Zeitverständnis betrachtet Reheis nun nacheinander die Umwelt, die Mitwelt und die Innenwelt. Die Umwelt, die Dinge und Geschehnisse in der uns umgebenden „Natur“, müssen, soll Nachhaltigkeit möglich sein, Regeneration ermöglichen. Unsere Mitwelt, unser Sein mit anderen Menschen in einer Gesellschaft, wird dauerhaft nur gelingen, wenn reziproke Verhältnisse existieren. Und unsere Innenwelt, unseren Körper, unsere Seele, unseren Geist, werden wir nur stabil halten können, wenn wir Reflexivität lernen.

Aus diesen scheinbar eher abstrakten Aussagen leitet der Autor nun sehr konkrete Schlussfolgerungen ab, die er jeweils in Faziten übersichtlich zusammenfasst. Ich gebe im Folgenden für jeden Punkt ein Beispiel.

Zur Umwelt: „Soll der Umgang mit der natürlichen Umwelt wirklich dauerhaft sein, muss sich der Mensch auf die Früchte der natürlichen Umwelt beschränken, also von der Durchlauf- zu einer Kreislaufwirtschaft umsteuern.“ Dabei „müssen wir alle Phasen des Wirtschaftens, von der Rohstoffgewinnung über die Produktion, den Konsum und die Reparatur von Produkten bis hin zur Entsorgung von vornherein einbeziehen.(S. 127)

Zur Mitwelt: „Nicht nur 'nach uns' droht die 'Sintflut', 'neben uns' ist sie längst da...Bei der Mensch- Umwelt-Beziehung...müssen wir...die gigantische Beschleunigung, die sich mit der Sesshaftigkeit und dann noch einmal mit der Industrialisierung vollzogen hat, zur Kenntnis nehmen...Es müssen Austauschprozesse eingerichtet werden, die technisch für Stabilität und normativ für Akzeptanz sorgen.“ (S. 185)

Zur Innenwelt: „Welche zyklischen Momente verleihen dem menschlichen Leben Stabilität? Die Arbeit als elementare Existenzbedingung des Gattungswesens, die Bedürfnisbefriedigung als Resultat einer inneren Unruhe und das Handeln aufgrund von Zielsetzungen sind Aktivitäten, die nicht nur linear nach vorne drängen, sondern immer auch auf die Wiederkehr des Ähnlichen zielen. (S. 224) Richten wir unser Augenmerk auf die Zyklen, die für die Stabilität der menschlichen Innenwelt, für die Wiederkehr des Ähnlichen also, sorgen, so fällt der Blick auf den Menschen als ein arbeitendes, bedürftiges, handelndes und vor allem reflexionsfähigen Wesen. Dabei zeigt sich das Alleinstellungsmerkmal des Menschen: der basale Zyklus zwischen Eingreifen und Begreifen. Nur dank dieses Zyklus kann der Mensch sicher sein, dass er selbst es ist, der seinem Leben zugrunde liegt, dass er also Subjekt seines Lebens ist.“ (S. 242)

Auf diesem Hintergrund diskutiert Reiheis im Folgenden Auswege, die, wen wundert es, wiederum den drei schon bekannten Betrachtungsweisen (Innenwelt, Mitwelt, Umwelt) und den drei „Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung (Regenerativität, Reziprozität und Reflexivität)“ (S. 305) folgen. Er fasst zusammen: „Der Zeitbewusste (sic!) Lebensstil ist ein bereits kurzfristig praktizierbarer, hauptsächlich individueller Ausstieg aus den Beschleunigungs- und Flexibilisierungszwängen. Die Zeitbewusste (sic!) Politik ist eine mittelfristig wirksame Querschnittspolitik, die Blockaden für einen solchen Lebensstil beseitigt, indem sie gesellschaftliche Bedingungen schafft, die umfassende Nachhaltigkeit zulassen und fördern. Zum Beispiel könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen positive Impulse für eine solche Transformation von Verhalten und Verhältnissen setzen. Die Zeitbewusste (sic!) Wirtschaft schließlich, die dritte Strategie, besteht im langfristigen Umbau der Wirtschaft zu einer Ordnung, die System- und Eigenzeiten, Kreisläufe und Rhythmen, Synchronisationserfordernisse und Resonanzchancen von sich aus zum Maßstab des Wirtschaftens erhebt.“ (S. 349)

Wenn nun die/der Leser*in denkt, man habe doch immer schon gewusst, dass alles mit allem zusammenhängt und deshalb auch alles zusammen verändert werden muss, dann scheint mir das wie mit dem Ei des Kolumbus. Nachdem es vorgeführt wurde, weiß jede*r, dass es so geht, vorher hat er/sie eher nicht daran gedacht, es so zu machen. Reheis' Buch ist für Nichtfachleute wie mich ein sehr gelungenes Plädoyer für eine Gesellschaft, zu der ich auch immer hin wollte, aber von einem Standort aus, der mir fremd ist. Es freut mich, zu sehen, dass so etwas gelingt, und ich kann nur empfehlen, das Buch zu lesen.

 

(1) Fritz Reheis. Die Resonanzstrategie. Warum wir Nachhaltigkeit neu denken müssen oekom Verlag, München 2019. 416 Seiten, 26,00 Euro (eBook 20,99). ISBN 978-3-96238-052-6 (eBook 978-3-96238-554-5)

 


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