Die Abschaffung des Bargeldes und die Folgen
Norbert Häring, Wirtschaftsredakteur beim Handelsblatt, Autor mehrerer Bücher (z.B. Markt und Macht, 2010) und erfolgreicher Blogger, hat ein beeindruckendes Buch über ein sehr aktuelles Thema geschrieben. Die Diskussion über den Sinn und Unsinn des Bargeldes empfanden die meisten interessierten Zeitgenossen bisher wohl als ein eher randständiges Thema, das auch eher auf harmlos-oberflächliche Art und Weise von der Mainstreampresse aufgegriffen wurde. Da allerdings in den letzten Monaten immer wieder und verstärkt das Thema von EZB-Ratsmitgliedern, Politikern, Medien und Wissenschaftlern aufgeworfen wurde, fragen sich mittlerweile Viele, ob nicht grundlegenderes hinter diesen konzentrierten Vorstößen stecken mag. Härings Buch bietet eine Antwort und eine fundamentale Deutung der Bargelddebatte, die sich im Untertitel „Der Weg in die totale Kontrolle“ und in Kapitelüberschriften wie „Der Krieg gegen das Bargeld“ oder Die Mittäterschaft der „Währungshüter““ andeutet. Man fragt sich zunächst, ob solch alarmistische Überschriften nötig sind und das Buch seriös ist.
Beginnt man die Lektüre, fällt allerdings von Anfang an der konsequent durchgehaltene, elegante und unverkrampfte Sprachstil auf. Der Autor verzichtet vollständig auf unverständliches Fachvokabular und er ist in der Lage, sehr komplizierte Sachverhalte allgemeinverständlich dazulegen. Das alleine ist schon eine Gabe. Das Besondere des Buches besteht zudem darin, dass der Autor über ein ungeheures empirisches und historisches Detailwissen nicht nur über Ereignisse der Gegenwart verfügt, die grundlegenden geldpolitischen Debatten souverän beherrscht, das Geldgewerbe als früherer Commerzbankmitarbeiter aus einer Insiderperspektive kennt, mit knallharten Kritiken und an vielen Stellen lakonischem Unterton nicht hinter dem Berg hält, praktischen Action Research betreibt (Bareinzahlungs- und Bargeldabhebungsversuche), eine hermeneutische Gesamtdeutung der Bargelddiskussion bietet und schließlich grundlegende Reformen des Geld- und Finanzsystems vorschlägt, ohne dass der Leser das Gefühl hat, sich mühevoll durch das Buch durchkämpfen zu müssen. Die verschiedenen Ebenen des Buches fügen sich harmonisch zu einem Ganzen und ergänzen einander. Der Rezensent kann sich nicht erinnern, in den letzten Jahren ein ähnlich vielschichtiges und fundiertes Sachbuch zu aktuellen wirtschaftspolitischen Streitfragen gelesen zu haben.
Bereits in der Einführung werden die entscheidenden Pflöcke eingerammt und die Bargeldfrage in den Zusammenhang des Schutzes des Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung gestellt. „Bargeld bewahrt uns einen Rest an Freiheit und Privatsphäre. Es begrenzt Entmündigung, Gängelei und Überwachung durch den Staat und seine Geheimdienste, die Finanzbranche und die Datenkraken der IT-Branche“ (S. 9). Es hinterlässt nämlich keine elektronischen Spuren. Den vorgebrachten Argumenten der besseren Überwachung von Kriminalität und Terrorismus misstraut Häring, insbesondere, wenn sie von Institutionen – er nennt einige Banken und ihre Rechtsbrüche – vorgebracht werden, die selbst Gerichtsverfahren wegen allerlei Betrugs am Hals haben. In der Tat ist verwunderlich, dass nicht das Bundeskriminalamt und andere Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden Treiber der Bargelddebatte sind, wenn es tatsächlich primär um Terrorabwehr und Kriminalitätsbekämpfung ginge.
Plausibler sei der auch zeitliche Zusammenhang mit der Finanzkrise, die u.a. zur Etablierung der Bankenunion führte, die die Sanierung der Banken durch Rückgriff und Umwandlung von Einlagen (siehe Zypern) vorsieht (Bail-In). Dem kann bis dato durch ein Abheben der Gelder durch den Erwerb von Banknoten ausgewichen werden, was auch in einem Bank Run enden kann (siehe Griechenland). Mit der Bargeldabschaffung wäre dem ein Riegel vorgeschoben. Banken müssten nicht mehr unter der sinkenden Zinsmarge leiden. Sie könnten ferner die negativen Einlagenzinsen der EZB an ihre Kunden weiterreichen; dies geht heute nicht, da die Kunden in Bargeld ausweichen könnten. Außerdem wäre es ihnen möglich, Negativzinsen auf Girokonten und Spareinlagen zwecks Enteignung zu erheben. Dann „besteht in der nächsten Finanzkrise kein Grund mehr zur Hektik. Man kann ganz in Ruhe entscheiden, welche Einlagen zu welchem Prozentsatz entwertet werden „müssen“, damit die allermeisten Banken weitermachen können“ (S. 13). Im Buch noch nicht näher identifizierte mächtige und gut vernetzte „Anti-Bargeld-Krieger“ kümmere es wenig, dass Banknoten das (einzige) gesetzliche Zahlungsmittel laut Bundesbankgesetz und EU-Vertrag (Artikel 128) seien. Barzahlung wird also zunehmend zur Widerstandshaltung gegen Enteignung, Totalüberwachung und Rechtsbeugung. Da atmet der Leser erst einmal tief durch.
Kurz wird dann Härings Widerruf der Einzugsermächtigung zur Bezahlung des Rundfunkbeitrags – die Häring als verkappte Wohnungssteuer bezeichnet – und seinem Begehren, diesen bar einzuzahlen sowie die widersprüchlichen Reaktionen der Einzugsstelle, mediale Reaktionen und ein anhängiges Gerichtsverfahren geschildert. Die ablehnenden Winkelzüge der Einzugsbehörde wirken aufschlussreich grotesk. Häring geht es hier um den praktischen Beleg der Nichteinhaltung der Gesetzesbestimmungen zum gesetzlichen Zahlungsmittel und um das Fehlen eines Gesetzes nicht nur in Deutschland, „das die Zahlungsmitteleigenschaft dieses Bankengeldes regelt und bestätigt. Alles beruht auf Gewohnheitsrecht; sehr zum Gefallen und Gewinn der Banken, die dieses Gewohnheitsrecht geprägt haben“ (S. 23).
Im nächsten Kapitel, das unter dem treffenden Motto, die Einschläge kommen näher steht, wird „Der Krieg gegen das Bargeld“ dokumentiert. Der Leser ist durch die sorgfältige Zusammenstellung schon überrascht, wie engmaschig Bargeldverbote ab einem bestimmten Betrag mittlerweile v.a. in Euroland sind; Häring listet die Vorschriften u.a. aus Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Schweden und aus den osteuropäischen Ländern auf. In Deutschland, wo es eine starke Pro-Bargeldmentalität gebe, fallen dank einer EU-Richtlinie, die eine früher entbehrliche Echtheitsprüfung vorsieht, immerhin mittlerweile für Münzrollen der Einzelhändler Servicekosten an, was sicher die Freude über die Bargeldannahme verringere. Auch weniger bekannte Maßnahmen z.B. aus den USA werden untersucht; so darf bei JP Morgan Chase in Schließfächern „aus Sicherheitsgründen“ kein Bargeld mehr deponiert werden.
Häring belegt überzeugend, dass es erst seit 2007, zunächst in Italien unter Romano Prodi zu konzentrierten Angriffen auf das Bargeld kam, also zeitgleich zum Ausbruch der Finanzkrise. Häring nennt nun Ross und Reiter der Anti-Bargeld-Connection, nämlich Larry Summers, Ken Rogoff, Mario Draghi, Willem Buiter, Tommaso Padoa-Schioppa, Mario Monti u.a. Er identifiziert nichtöffentliche Diskussionsforen, auf denen die meisten der Genannten auftraten und das Bargeld ein Thema waren. So fand z.B. am 18.6.2015 eine entsprechende Diskussion statt, die von der bei Negativzinsen voranschreitenden Schweizerischen Nationalbank und einem Hedgefonds organisiert wurde. Häring stellt die starke These auf, dass es sich hier um ein koordiniertes Vorgehen und um ein enges Netzwerk von Personen handelt, die zumeist erstaunliche Gemeinsamkeiten aufweisen: Mitgliedschaften in der Group of 30, Aufenthalte an der Harvard Universität oder am MIT, Tätigkeiten bei Goldman Sachs oder JP Morgan Chase, Teilnahme an der Trilateralen Kommission, an den Bilderberg-Konferenzen, Verbindungen zum IWF und/oder der Weltbank usw.
Die genannten Institutionen werden als semi- bis nichtöffentliche Interessenvertretungsorgane der Finanzgroßwirtschaft charakterisiert. Personell eng einbezogen in dieses Netzwerk seien die EU-Kommission, die EZB und viele europäische Zentralbanken und Finanzministerien. Der Autor präsentiert vielfältige personelle Verbindungslinien, aus Deutschland werden u.a. Axel Weber und Otmar Issing genannt. Die eigentlichen Ziele der Bargeld-Connection seien die Durchsetzbarkeit satter negativer Zinsen, Gewinnsteigerungen für die Abwickler des elektronischen Zahlungsverkehrs (z.B. Visa, Mastercard), die Erhöhung des Geldschöpfungsgewinns der Banken und das Festhalten der Einlagen im Bankensystem, um sie zur Bankensanierung benutzen zu können.
Hier ist Häring zu fragen, ob er von einer internationalen Verschwörungstheorie von Bankern, Zentralbankern, Politikern, Medien usw. ausgeht. Theorien in dieser Richtung findet man im Internet zuhauf. Schaut man sich seinen Text genauer an, so spricht er nicht von einer Art Geheimloge im Stile der aufgeflogenen Loge P 2 in Italien oder entsprechend Romanmotiven wie „Der Name der Rose“ oder Verleumdungen nach Art der „Weisen von Zion“. Hier zeigt sich eine gewisse Leerstelle seiner Ausführungen, da man sich fragt, wie eng denn die Zusammenarbeit der Mitglieder der Anti-Bargeld-Connection und der erwähnten Institutionen ist. Ist es eine temporäre, Einzielbewegung (Abschaffung des Bargeldes) oder steckt mehr dahinter? Eint die genannten eine umfassende politische Gesamtagenda und wie sieht diese ggf. aus (EZB-Chef Draghi weist häufig stolz darauf hin, bisher in all seinen Statements die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte anzumahnen). Man kann seine Ausführungen so extrapolieren, dass es sich um eine internationale „Gesinnungsgemeinschaft“ im Anschluss an die Thomas Kuhnsche scientific community handelt, die ein Paradigma eint und verbindet, bestehend aus gemeinsam besuchten Bildungsinstitutionen, Karriereinteressen, Weltdeutungen und Denkschablonen, Beziehungen zum Politestablishment und dessen teilweise personelle Integration (die Grokos in Deutschland und im Europaparlament) und den reicheren Schichten der Gesellschaft und die durch ständige Kommunikation einen weitgehend abgestimmten Reflexionshorizont haben. Sie sind die (meist) nicht demokratisch gewählten Master of the Universe, die vorab ventilieren und bestimmen, wohin die politische Reise geht. Sie bilden, mit C.W. Mills gesprochen (The power Elite, 1956) eine – wenn nicht die – weltweite und europäische Macht- und Herrschaftselite, aus deren Mitte sich einige Mitglieder zurzeit besonders der Bargeldabschaffung angenommen haben.
Man kann Härings These einer konkordant agierenden Machtelite durchaus kritisieren und indirekt im Sinne Poppers versuchen, sie zu „falsifizieren“ (d.h., zu widerlegen), indem man z.B. die Zusammensetzung und Statements der Group of 30 analysiert, Verlautbarungen der Mitglieder auf Konsistenz hin untersucht usw. Nur weil Härings Ausführungen einen „verschwörungstheoretischen“ Aspekt haben, sind sie nicht gegen mögliche Kritik immunisiert, so der häufige Vorwurf gegenüber solchen Theorien. Aus zumindest drei Gründen scheint dem Rezensenten die These Härings nicht prinzipiell abwegig: (1.) Die von ihm aufgezeigte Netzwerkstruktur ist sehr eindeutig und das plötzliche Trommelfeuer gegen das Bargeld ist in seiner umfassenden Zusammenschau sicher nicht zufällig; (2.) Durch Ereignisse der letzten Jahre, von den NSA-Überwachungen über tausendfache Betrügereien, Mauscheleien und Absprachen (z.B. zum Libor) bis hin zu Aussagen des Europäischen Parlamentspräsidenten zu Meinungsmanipulationstests der Europäer erscheinen halbklandestine, koordinierte Aktionen und Beeinflussungsversuche der (Finanz)Machtelite nicht ausgeschlossen; (3.) Es hat den Rezensenten immer wieder bei Veranstaltungen zu Finanzfragen in Frankfurt/M. beeindruckt, unter welch unitärer geistiger Käseglocke sich Politiker, Regulatoren, Zentralbanker, Medienvertreter und Wissenschaftler gegenseitig die Bälle zuwerfen und die Rollenunterschiede zwischen ihnen kaum zu erkennen sind, abgesehen davon, dass sie diese auch öfters problemlos wechseln (Musterbeispiel: Axel Weber). Es könnte sein, dass viele einfache Bürger dieses nicht nur im Finanzbereich bestehende „Elitenmachtkartell“ und ihren nichtdemokratischen Einfluss fühlen und bei Wahlen dann bei ganz anderen, v.a. dem Flüchtlingsthema schattenhaft und sozialpsychologisch nicht überraschend anhand von Sündenböcken artikulieren.
Ein Einwand könnte lauten, dass auch die Reicheren unter Negativzinsen zu leiden hätten, was die These des Elitenkartells in Frage stellte. Häring argumentiert, dem sei definitiv nicht so, da meist v.a. die sogenannten kleinen Leute Ersparnisse als Bankguthaben oder z.B. über Pensionskassen vorhalten. „Diejenigen mit viel oder gar sehr viel Geld haben es in direkten Unternehmensbeteiligungen, vermieteten Immobilien und Aktien angelegt. Sie profitieren, denn Negativzinsen treiben die Kurse und Preise von Aktien, Anleihen und Immobilien nach oben … Die Krise ist nur eine Krise der unteren 99 Prozent. Dies gilt umso mehr, je weniger das Bargeld im Weg ist“ (S. 59; näheres zu den gruppenspezifischen Vermögensgegenständen findet sich auf den Seiten 144-151). Natürlich gäbe es, entgegen häufigen Behauptungen, Alternativen, z.B. Helikoptergeld als zins- und tilgungsfreie für alle Bürger gleich hohe Bürgerdividende, über die sich die unteren Schichten der Gesellschaft freuen dürften oder zur direkten Finanzierung (grüner) Investitionsprojekte oder Flüchtlingsprogramme (S. 151-154), wobei die Banken oder Versicherungen keine Provisionen einstreichen könnten.
Nach Härings Interpretation stellt sich die EZB also nicht unwillentlich oder ideologisch bedingt ungeschickt beim Einsatz ihres Maßnahmenkatalogs an, sondern sie folgt einer interessenlogischen Agenda des „Wer hat, dem wird gegeben“ und einer quasi-foucaultschen Überwachung und Kontrolle der 99 Prozent, entsprechend der Agenda bzw. dem Paradigma der Machtelite. Hierbei ist die Mittäterschaft der sogenannten Währungshüter einzubeziehen, da die EZB in Stellungsnahmen, dem bunten Strauß an Bargeldbeschränkungen in Euroland floskelreich zustimmte, was Währungsrechtler für ausgesprochen problematisch halten. Die Notenbanken verteidigen ihre eigenen Banknoten nicht, da sie sich praktisch immer als Teil der Bankenbranche verstehen und sie Handlungsfreiheit in Richtung Negativzinsen haben wollen, deren Weitergabe durch die Banken an die Privaten wie erwähnt noch nicht möglich ist, da sie sich dem bis dato durch Ausweichen auf Bargeld entziehen können. Außerdem stehen die Banken und der Staat in einer symbiotischen Beziehung gegenseitiger Abhängigkeit mit der Notenbank als Intermediär, nicht zuletzt, da Banken den Staaten Anleihen abkaufen und für diese Zentralbankgeld erhalten.
Finanzmärkten kommt trotz ihres Versagens in der Vergangenheit im Konzept der Machtelite eine Wächterfunktion zu. Nicht Interessenkonflikte und Kaperung bestimmt also das Verhältnis der Finanzgroßwirtschaft, der Notenbank und der Staaten, sondern auf grundlegender Ebene eine symbiotische Abhängigkeitsbeziehung, die Häring am historischen Beispiel der USA und der Gründung der FED 1913 sowie der aktuellen personalen Verquickungen verdeutlicht. In einem sehr informativen, längeren Kapitel wird noch einmal der Marsch in die informationelle Knechtschaft anhand zahlreicher Beispiele hervorgehoben, wobei sich auch hier wieder Staat und Finanzgroßwirtschaft ergänzen.
In einem längeren Kapitel geht der Autor auf die grundlegende Funktionsweise des vorherrschenden Geldsystems und das oft missverstandene Geldschöpfungsprivileg der Banken ein. Dieses hat unmittelbare Auswirkungen auf die Bargeldfrage, da Buchgeld auf dem Konto eigentlich kein gesetzliches Zahlungsmittel und in gewissem Sinne auch kein echtes Geld ist. Die Beschwichtigung, dass man Buchgeld problemlos und direkt in Bargeld umwandeln könne, prüfte Häring durch den Versuch, 15000 Euro bei der Bankfiliale abzuheben, was zu einigen Verwicklungen und Verzögerungen führte, die er humorig beschreibt. Witzig sei dies aber gar nicht, da das Auszahlungsversprechen, im Ernstfall über die Einlagensicherung gar nicht erfüllt werden kann, da die dortigen Summen bestenfalls bei der Insolvenz einer mittelgroßen Bank ausreicht. Zwar ließe sich denken, dass die Zentralbank schnell Banknoten drucken lässt um einem Bank Run zu begegnen, so müssten die Banken im Gegenzug eigentlich Wertpapiere im Austausch bieten, die sie nicht ausreichend haben dürften.
Selbst in Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre wird der Geldschöpfungsprozess falsch beschrieben, demgemäß Sparer Geld zur Bank bringen, das diese dann ausleihen. Diese Darstellung verdunkele den Geldschöpfungsgewinn der Banken, der nach einem niederländischen Statistikprofessor „für die privaten Banken des Euroraums auf einen Brutto-Geldschöpfungsgewinn vor Verwaltungskosten von knapp 300 Milliarden pro Jahr“ (S. 139) ausmache. Über die hohen Gehälter und Banktürme müsse man sich dann nicht mehr wundern. Es zeige sich, wie praktisch die Falschdarstellung der Geldschöpfung in den Lehrbüchern an Schulen und Universitäten sei. Die entsprechenden Wissenschaftler seien zu einem großen Teil als praktische Schriftgelehrte vorgeeicht, indem sehr viele von ihnen bei der FED oder der EZB arbeite(te)n und von diesen Drittmittel erhielten und z.B. an der Goethe-Universität in Frankfurt Hörsäle nach Privatbanken benannt werden. Im Vorbeigehen erklärt Häring noch, warum Banken trotz ihres Privilegs der Geldschöpfung pleitegehen können: Erstens, weil die Geldschöpfungsgewinne erst mit der Zeit über Zinszahlungen und bei schließlicher Tilgung anfallen; zweitens, weil Banken die Gewinne nicht zurücklegen, sondern ausschütten; und drittens, weil die Banken nicht selbst Bargeld herstellen dürfen, was im Ernstfall zu Bank Runs führen kann.
In einem längeren Kapitel geht Häring auf das Gold ein, das wie Bargeld in gewissem Sinne eine lästige Konkurrenz zum Buchgeld der Banken und der Goldkurs ein Krisenbarometer darstellt. Den USA war zwecks Finanzierung ihrer Außenhandels- und Budgetdefizite seit den 1970er Jahren sehr daran gelegen, jegliche Golddeckung des Dollar aufzuheben. Nur so waren auch die militärischen Ausgaben der USA zu finanzieren. Sie sollen sogar anderen Staaten einschließlich Deutschlands eine Golddeckung verboten haben. Extensiv geht der Autor auf die kreative Goldbuchführung ein, die dazu führt, dass man nicht genau weiß, wie viel Gold denn nun wirklich wo lagert, da Goldbestände und Goldforderungen (Schuldscheine auf Gold) nur zusammen ausgewiesen werden, was zu Doppelzählungen führen kann und nachgewiesene, langjährige Manipulationen des Goldpreises erleichtert.
Bei Überlegungen zur Utopie einer heilen Geldwelt verwirft der Autor Kryptowährungen, eine Golddeckung oder Währungswettbewerb als Vollersatz zum vorherrschenden Papiergeldstandard, da er z.B. beim Währungswettbewerb der Disziplinierung durch den Markt wegen der Ereignisse 2007ff. nicht recht glauben kann. Er spricht sich für Vollgeld aus (auch das Giralgeld darf nur von der EZB geschöpft werden). Frisches Geld solle über eine geschenkte Bürgerdividende in den Wirtschaftskreislauf gelangen. Spargelder unterlägen einer Kündigungsfrist, Zinsschwankungen ließen sich über eine Schwankungsreserve ausgleichen, die an die Banken wie in heutiger Form der Hauptrefinanzierungsgeschäfte ausgegeben werden könnte. Ferner sei die volle Harmonisierung von Krediten und Spareinlagen eigentlich am besten, um das Problem der Fristentransformation zu lösen. Um innovative Geldsubstitute zur Vermeidung der Beschränkungen durch Vollgeld zu umgehen, bedürften alle neuen Finanzierungsinstrumente einer vorherigen Genehmigung.
Abschließend ruft Häring zum Bargeld-Widerstand auf, indem man es soweit wie möglich auch für Behördenüberweisungen nutzt. Auch seien die zivilgesellschaftliche Diskussion und parlamentarische Erörterungen zum Thema aktiv zu unterstützen. Ihm ist ein fakten- und thesenreiches Buch gelungen, das den kritischen Blick auf eine neue Macht- und Herrschaftselite lenkt, deren genauere Analyse eine anspruchsvolle, aber sicher ertragreiche Herausforderung für kritische Sozialwissenschaftler ist.
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