Der rechte Flügel der Friedenstaube
Mit dem russischen Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist das Thema „Krieg und Frieden“ wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Doch die Friedensbewegung kann davon nur wenig profitieren. Politische Auseinandersetzungen lähmen sie. Sie ist in mehrere Fraktionen gespalten, die miteinander im Streit liegen. Hinzu kommt, dass auch die extreme Rechte versucht sich des Themas zu bemächtigen.
Idealtypisch lassen sich vier Akteurs-Gruppen bzw. Positionen identifizieren, die das Thema Frieden versuchen als politisches Thema zu bearbeiten:
A) extreme Rechte (z.B. AfD)
Die AfD versucht sich derzeit als „einzige Friedenspartei“ zu inszenieren. Was sie aber vertritt ist eine Art von Nationalpazifismus, der sich nur daran orientiert was deutschnationale Interessen sind, d.h. die Frage von Krieg und Frieden wird nicht als ethische, sondern als national-strategische verhandelt. In gewisser Weise ist es den AfD-Nationalpazifist*innen ernst mit ihrer Ablehnung einer indirekten deutschen Beteiligung am Ukraine-Krieg, andererseits ist die AfD vom Programm her Vertreterin eines klassischen deutschen Militarismus. Kriege oder militärische Unternehmen werden nicht grundsätzlich abgelehnt.
B) rechte und verschwörungsideologische Friedensbewegung / „neue Friedensbewegung“
Eine rechte und verschwörungsideologische Friedensbewegung entstand bereits 2014, auch damals unter dem Eindruck des eskalierenden Konflikts innerhalb der Ukraine (Maidan-Revolte, Krim-Annektierung). Die Bewegung trat als „Mahnwachen für den Frieden“ in vielen Städten auf. Schnell stellte sich heraus, dass auch Rechte an dieser Bewegung beteiligt waren und Verschwörungserzählungen innerhalb dieser neuen Friedensbewegung kursierten.
Zusätzlich dazu entstand im April 2020 eine Bewegung von Pandemie-Leugner*innen, die gegen die Corona-Schutzmaßnahmen auf die Straße gingen und sich schnell in eine verschwörungsideologische Bewegung transformierte. Der harte Kern radikalisierte sich und nimmt inzwischen eine systemoppositionelle Position ein, der die demokratisch gewählte Regierung ablehnt und andere Modelle anstrebt. Die System-Alternativen reichen von der anthroposophischen Dreigleiderung bis hin zu monarchistischen oder reichsbürgerlichen Vorstellungen.
Beide Bewegungen, Montagsmahnwachen wie Pandemie-Leugner*innen, sind stark verschwörungsideologisch geprägt, auch von explizit antisemitischen Verschwörungserzählungen (Soros, Rothschilds etc.). Einzelne Verschwörungserzählungen konstituieren dabei eine Ideologie bzw. ein verschwörungsideologisch geprägtes Weltbild. Generell versucht Verschwörungsideologie „Zufälle oder Ereignisse, auf die Menschen keinen direkten und indirekten Einfluss ausüben (z. B. komplexe gesellschaftliche Vorgänge wie internationale Politik oder Wirtschaft, aber auch Naturkatastrophen etc.) durch den Plan einer großen Weltverschwörung zu erklären.“
Der harte Kern ist inzwischen nicht nur system-oppositionell sondern auch rechts eingestellt. Corona ist nicht mehr das Hauptthema, sondern die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie. Oft verbunden mit der Wunsch-Vorstellungen von Rache- und Straf-Gerichten gegen vermeintlich Verantwortliche. Die parlamentarische Demokratie wurde und wird vielfach als „Diktatur“ delegitimiert. Hinzu kommen Vergleiche mit der NS-Dikatur und deren Verbrechen, die einen relativierenden Effekt haben.
Mit dem russischen Überfall wurde das Thema Frieden verstärkt aufgegriffen und eigene Friedens-Demonstrationen veranstaltet. Die Gruppe B) ist zum Teil der Türöffner für A), indem extreme Rechte auf den Demonstrationen geduldet werden oder sogar Kooperationen stattfinden. In den sozialen Kommunikations-Kanälen z.B. auf Telegram lässt sich auch keine Distanz zur extremen Rechten fest stellen. Gerade Beiträge der AfD werden hier öfters geteilt.
C) rechtsoffene traditionelle Friedensbewegung
Einem Teil der traditionellen Friedensbewegung scheinen Mobilisierungs-Erfolge wichtiger als Abgrenzungen nach rechts und gegen Verschwörungserzählungen zu sein. Zum Teil reproduziert man auch selbst Verschwörungserzählungen. Die spektrenübergreifende Mobilisierung für das Thema ist diesem Teil wichtiger. Besonders mit der Gruppe B) wird auf gemeinsamen Veranstaltungen kooperiert. Gegen die klassische extreme Rechte dagegen wird sich zum Teil verbal noch abgegrenzt.
D) klar antifaschistisch orientierte traditionelle Friedensbewegung
Der klar antifaschistisch orientierte Teil der Friedensbewegung grenzt sich überzeugend von Rechten und Verschwörungsideolog*innen ab. Gleichzeitig wird versucht die Gruppe C) von einer besseren Abgrenzung zu überzeugen, indem z.B. im einzelnen Aufklärung und Kritik an Kooperations-Partner*innen oder Teilnehmenden geübt wird.
Querfront für den Frieden?
In gewisser Weise wird versucht von den Gruppen A), B) und C) eine Art Querfront für den Frieden zu bilden. Wobei im Einzelnen umstritten ist, wie weit diese reichen soll. Sollen AfD-Anhänger*innen an den Demonstrationen teilnehmen können oder gleich Redner*innen aus diesem Spektrum auftreten? Wo sind einzelne Gruppen und Personen im Links-Rechts-Spektrum zu verorten? Was ist mit Verschwörungsideolog*innen?
Es handelt sich um älteres immer wieder aufflammendes Problem (2014: Diskussion um Montagsmahnwachen, 2015: Diskussion um Friedenswinter, 2016: Diskussion um die Kampagne zu Ramstein). Das Thema Frieden scheint bei einem Teil der Friedensbewegung alle anderen Inhalte und Unterschiede in den Schatten zu stellen. Unter der Maxime „Alles für den Frieden“ wird mobil gemacht und es entstehen derzeit auf der Straße Bündnisse mit rechten Verschwörungsideolog*innen und Pandemien-Leugner*innen. Akteure wie die „AG Frieden“ der rechts-esoterischen Partei „die Basis“ werden zum Teil als Bündnis-Partner akzeptiert.
Das hat zu Spaltungen z.B. von Ostermarsch-Bündnissen geführt, weil der klar antifaschistisch eingestellte Teil der Friedensbewegung auf Distanzierung pochte. Der Einfluss der Verschwörungsidelog*innen verstärkt Verschwörungserzählungen, die im Hinblick auf den Ukraine-Krieg der russischen Kriegspropaganda bzw. Desinformationskampagnen entstammen. In der Folge führt das zu einer Verharmlosung bis Apologie des russischen Imperialismus.
Die Einfallstore für solche und andere Inhalte waren jedoch schon länger vorhanden. Zu nennen wäre hier ein Antiamerikanismus, der die USA dämonisiert bzw. als negative Projektionsfläche benutzt und gerade nicht eine differenzierte Kritik an der US-Politik darstellt. Der Unfähigkeit die USA hier als Opfer wahrzunehmen scheinen auch die Verschwörungserzählungen um die 9/11-Anschläge zugrunde zu liegen.
Hinzu kommt oft eine nationalistische Motivation bzw. ein Nationalpazifismus, sprich Kriege werden abgelehnt, weil sie für Deutschland nachteilig sein sollen und nicht wegen des generellen Leidens von Menschen. Die traditionslinke nationalistische Parole „Ami go home“ lässt deutlich einen National-Souveränismus durchschimmern bei dem die US-Truppen-Stationierungen in Deutschland das Problem darstellen, aber offenbar nicht die eigenen Streitkräfte.
Zudem scheinen Konflikte für viele Projektionsflächen darzustellen, d.h. es werden auf Akteure positive oder negative Bilder oder Wünsche projiziert. Konflikte wie in der Westsahara, dem Nord-Sudan oder dem Ost-Kongo ohne die Beteiligung von Israel oder USA als vertraute Feindbilder finden erkennbar weniger Aufmerksamkeit.
Für Außenstehende ist es oft nicht einfach erkennbar, wer da für den Frieden demonstriert. Doch über Transparente oder Reden präsentierte Inhalte kann auf den zweiten Blick ausgemacht werden wer hier auf die Straße geht.
Kerstin Köditz, die Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im sächsischen Parlament, schrieb in ihrem Artikel „Ostermärsche: Frieden um jeden Preis?“ in der Tageszeitung „nd“ am 7. April 2023 zur fehlenden Abgrenzung eines Teils der Friedensbewegung: „Diese Strömung, die Frieden wichtiger fand als Antifaschismus, war in der Vergangenheit in der Friedensbewegung nie mehrheitsfähig. Sie droht es heute zu werden. Zu Zeiten des »Krefelder Appells« war diese Strömung eingebettet in einen linken Mehrheitsdiskurs, konnte deshalb nur schwach wirksam werden. Dieser Zustand ist heute nicht mehr gegeben. Die Öffnung für jene Rechten, die »ehrlichen Herzens für den Frieden sind«, kann deshalb nur zur weiteren Stärkung dieser extremen Rechten führen.“
Dagegen muss auf einen antifaschistischen Grundkonsens beharrt werden. Dieser Konsens muss sich dann aber auch in der Praxis beweisen. Gleichzeitig muss Dritten erklärt werden, was das Problematische an einer fehlenden Distanzierung zu rechten Verschwörungideolog*innen und Pandemie-Leugner*innen ist.
Statt sich nur auf Kontakt-Vorwürfe zu beziehen sollten vor allem die spezifischen Inhalte kritisiert werden. Warum das Märchen von Giftgas-Laboren in der Ukraine russische Kriegspropaganda ist. Warum „die Bilderberger“ nicht die Welt regieren. Warum nicht eine ominöse „Hochfinanz“ für die Kriege der letzten 100 Jahre verantwortlich ist. Bei der Analyse von Konflikten und Kriegen helfen oft eine Ideologie-Kritik im Allgemeinen und Nationalismus-Kritik im Speziellen Verkürzungen zu vermeiden. Sie erklären Motive und Mobilisierungen. Zum Beispiel muss Putins großrussischer Nationalismus in eine Analyse des Ukraine-Konflikts unbedingt mit einbezogen werden.
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