Der European Green Deal - Eine Landung auf dem Mond?
Grünes Wirtschaftswachstum ohne klares Konzept
Zur Erreichung dieses Ziels schlägt die EU-Kommission vor, man müsse öffentliche und private In-vestitionen bereitstellen und fördern, um emissionsarme und nachhaltige Produktionsweisen in der Industrie zu erreichen. Jedoch lässt die EU-Kommission spezifische Indikatoren für solch eine Wirt-schaftsstrategie bislang vermissen. Die Rahmenbedingungen für solche Investitionen sind nicht hin-reichend ausgearbeitet. Ausführungen dazu, was die "Mobilisierung der Industrie“ - so wie es in dem Vorschlag heißt - konkret zu bedeuten hat, bleiben aus. Stattdessen weist die Kommission ohne nähe-re Ausführungen darauf hin, dass „in den nächsten fünf Jahren Beschlüsse gefasst und Maßnahmen ergriffen werden“ müssen und dass „erhebliches Potenzial für emissionsarme Technologien und nachhaltige Produkte“ bestehe. Aus dem EGD ist auch nicht ersichtlich, welches Ziel sich die Kom-mission zur Effizienzsteigerung setzen will. Wissenschaftliche Studien, die belegen, dass eine Effi-zienssteigerung zur Senkung der CO2-Emissionen beitragen könnten, trägt die Kommission ebenso wenig vor. Von einem stichhaltigen Konzept mit konkreten Handlungsempfehlungen ist die Kommis-sion in diesem Punkt somit weit entfernt. Dass nachhaltiges Wirtschaftswachstum mit der ökologi-schen Komponente bisher nicht in Einklang zu bringen sind, zeigen ähnliche Versuche in Südkorea. Anstatt eines Rückgangs der CO2-Emissionen wurde dort seit Beginn dieser Wachstumsstrategie zwi-schen 2010 und 2020 ein Anstieg der CO2-Emissionen verzeichnet. Im Einzelnen:
Lenkungswirkung durch CO2-Bepreisung nicht absehbar
Eine Lenkungswirkung zur Reduzierung der CO2-Emissionen soll durch die CO2-Bepreisung erzielt werden. Als Instrument dazu stellt die EU-Kommission den Europäischen Emissionshandel (EU EHS) vor. „Ziel des Emissionshandels ist, die Atmosphäre im Hinblick auf die Emission von Treib-hausgasen in ein kostenpflichtiges Gut zu verwandeln, indem die Emission solcher Gase an den Besitz von Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen geknüpft wird.“ Jedoch bleibt die Frage zur Höhe der Emissionspreise unbeantwortet, sodass ungewiss bleibt, ob der EU EHS den gewünschten Lenkungseffekt zur Senkung der CO2-Emissionen bewirken wird. Auch Carbon Leakage, d.h. die Zunahme von CO2-Emissionen als Folge einseitiger Klimaschutzmaßnahmen in der EU aufgrund der Verlagerung der Produktion in Länder mit niedrigeren Klimaschutzstandards, wird als Problem gese-hen. Um ein Carbon Leakage zu verhindern, wird im EGD ein Grenzausgleichssytem vorgestellt. Dadurch sollen Import- und Exportprodukte mit einer CO2-Steuer belegt werden, um so die Verlage-rung von umweltschädlichen Produktionen zu verringern. Jedoch wird es schwierig sein, das Grenz-ausgleichsystem in Einklang mit internationalen Handelsverpflichtungen zu bringen. So verlangt das Meistbegünstigungsprinzip aus Art. 1 GATT von seinen WTO- Mitgliedern, dass Begünstigungen für gleichartige Produkte bedingungslos allen Mitgliedern zustehen. Würde man jedoch einen Zoll auf Importe in die EU erheben, dann würde ein Verstoß gegen Art. 1 GATT zugrunde liegen. Deshalb schlägt die Kommission ein WTO-konformes System vor. Wie dieses System im Konkreten ausge-staltet werden soll, um auch den welthandelsrechtlichen Ansprüchen zu genügen und gleichzeitig einen Ausgleich zu schaffen, bleibt bislang unbeantwortet.
Handlungsbedarf im Energiesektor und Fehler in der Vergangenheit
Ziel ist die Dekabonisierung des Energiesektors, der als Hauptursache für die CO2-Emissionen gese-hen wird. Dazu soll der Kohleausstieg, dessen Zeitpunkt noch nicht feststeht, vorangetrieben werden. Es liegt auf der Hand, dass Atomenergie ein hohes Umwelt- und Gesundheitsrisiko durch die Freiset-zung radioaktiver Strahlung birgt. Mangels direkter CO2- Emissionen könnte Atomenergie jedoch zu einer umweltschädlichen Energieneutralität beitragen. Die EU-Kommission überlässt es hingegen den Mitgliedsstaaten, ob sie Atomenergie beibehalten oder ausweiten wollen.
Bisweilen setzte man im European Green Deal auch auf die Dekabonisierung durch den Gassektor. Dabei würde Erdgas den Klimawandel noch drastisch verschärfen: Die durch Erdgas verursachten Methanemissionen sind zwar CO2-ärmer als Kohlendioxid, jedoch haben die Methanemissionen ei-nen 36 Mal höheren negativen Effekt im Vergleich zu CO2 bezogen auf einen Zeitraum von 100 Jah-ren nach seiner Freisetzung laut Weltklimarat (IPCC). Im European Green Deal wurde bereits eine Überarbeitung der Verordnung zum Transeuropäischen Netz für Energie (TEN-E-Verordnung) ange-kündigt. Am 15.12.2020 hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Überarbeitung der TEN-E-Verordnung präsentiert. Ziel der TEN-E-Verordnung ist die Schaffung eines Konzepts zur grenzüber-schreitenden Energieinfrastruktur in der EU. So sollen von den europäischen Energiemärkten abge-schiedene Regionen an diese Energieinfrastruktur angebunden werden. Zahlreiche Verbände wie Germanwatch, Greenpeace und WWF haben Ursula von der Leyen im Vorfeld des Vorschlags öffent-lich dazu aufgefordert, sich ausdrücklich gegen die Förderung von Erdgas auszusprechen. Zwar hat die EU-Kommission sich inzwischen dazu ausgesprochen, die Ausweitung der Erdgasinfrastruktur als Vorhaben von gemeinschaftlichem Interesse in der überarbeiteten TEN-E-Verordnung auszuschließen und deren politische Unterstützung zu entziehen. Jedoch besteht auch kein Bedarf zur Förderung sol-cher Gasprojekte mehr, da in der Vergangenheit durch erhebliche Förderung seitens der EU eine Erd-gasinfrastruktur geschaffen wurde, die eine Versorgung mit Erdgas innerhalb der EU für die Zukunft sicherstellen wird. Dies hängt damit zusammen, dass in der alten Fassung der TEN-E-Verordnung die Förderung von Erdgasprojekten nicht ausgeschlossen worden ist. Auf der anderen Seite räumt die EU-Kommission selbst ein, dass der Erdgasverbrauch mangels Nachfrage in Zukunft erheblich sin-ken wird. Man muss somit hinterfragen, warum die EU in der Vergangenheit solche Gasprojekte ge-fördert hat. Dies lässt sich damit begründen, dass in erster Linie wirtschaftliche Interessen im Vorder-grund standen und Umweltschutzaspekte in den Hintergrund gestellt worden sind. Es haben somit schädliche Fehlinvestitionen stattgefunden. Schadensbegrenzung könnte jedoch dadurch erzielt wer-den, dass Erdgasleitungen in Zukunft für den Transport von Wasserstoff anstelle von Erdgas genutzt werden könnten, wie es auch von Seiten der EU-Kommission vorgeschlagen wird. Solange jedoch die Förderung von Erdgas für Energiekonzerne profitabel sein wird, wird die Erdgasinfrastruktur jedoch Bestand haben. Vor diesem Hintergrund ist es deshalb nicht absehbar, ob bzw. wann eine Umstellung auf die Förderung von Wasserstoff für Energiekonzerne anstehen wird.
Wasserstoff wird als neue emissionsarme Energiequelle mit enormen Potenzial gesehen, um das Kli-maneutralitätsziel bis 2050 zu erreichen. So könnte Wasserstoff etwa in der Stahl- und Chemieindust-rie oder im Verkehrssektor zum Einsatz kommen. Die Förderung von Wasserstoff ist jedoch nur dann klimaneutral, wenn zu deren Herstellung wiederum auf erneuerbaren Strom gesetzt wird. Im Hinblick auf die klimapolitischen Ziele wäre es hingegen nicht zielführend, zur Herstellung von Wasserstoff auf Atomstrom und türkisen Wasserstoff zurückzugreifen. Zur Herstellung von türkisem Wasserstoff wird Erdgas durch Pyrolyse in Wasserstoff und Graphit aufgespalten. Zwar werden bei diesem Ver-fahren keine CO2-Emissionen freigesetzt. Allerdings darf an dieser Stelle nicht übersehen werden, dass mit dieser Herstellungsmethode eine auf fossilen Brennstoffen beruhende Infrastruktur geschaf-fen werden würde. Bei dieser Methode würden Methan-Emissionen freigesetzt werden, die den Treib-hauseffekt erhöhen. Insbesondere Gazprom setzt auf diese Herstellungsmethode und könnte die EU mit solchem Wasserstoff in Zukunft beliefern. Bislang fehlen innerhalb der Wasserstoffstrategie der EU-Kommission Reglementierungen im Rahmen des Herstellungsverfahrens von Wasserstoff, durch die Nachhaltigkeitsstandards geschaffen werden würden. Würde es hingegen gelingen, Wasserstoff aus sauberen Strom herzustellen, wäre dies eine große Errungenschaft, um dem Klimawandel ent-schieden entgegenzutreten.
Elektromobilität im Verkehrssektor und deren Nachteile
Im Rahmen der Verkehrspolitik setzt die EU-Kommission im European Green Deal auf die Elektro-mobilität. Die Förderung der Elektromobilität stößt jedoch auf umwelt- und sozialpolitische Bedenken. Zwar mag das Elektroauto lokal emissionsfrei sein, jedoch fallen die Zahlen in der Gesamtbilanz er-nüchternd aus. Denn von der Herstellung bis zur Entsorgung fallen hohe CO2-Emissionen an. Für die Batteriezellen werden Rohstoffe wie Lithium, Kobalt oder Nickel benötigt, die vor allem in Südameri-ka und Afrika in Minen abgebaut werden. Der Abbau dieser Rohstoffe erfordert einen hohen Energie-bedarf. So werden hohe Wasservorkommen zur Förderung benötigt und durch die austretenden Che-mikalien die Böden und Vegetation verseucht. Besonders die lokale Bevölkerung leidet unter dieser Industrie, da Wasser für Land- und Viehwirtschaft fehlt. Minenarbeiter werden für den Abbau unter nicht vertretbaren Arbeitsbedingungen eingesetzt und setzen sich dabei insbesondere gesundheitlichen Risiken aus. Auf diese Missstände wird in dem European Green Deal nicht eingegangen. Auch ein weiteres Problem ist die Entsorgung der Antriebsbatterien, die als Sondermüll gelten. Zwar sind die Automobilhersteller im Falle der Produktion von Elektrofahrzeugen verpflichtet, die Batterien zurück-zunehmen. Was sie letzten Endes mit den Batterien anstellen, ist unklar.
Die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ ohne stichhaltiges Konzept
Die Kommission hat in ihrem Beschluss die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ vorgestellt. Verfolgt wird mit dieser Strategie u.a., die Eindämmung der Lebensmittelverschwendung, eine umweltfreundli-che Lebensmittelproduktion und eine ökologische und nachhaltige Agrarwirtschafts- und Fischereipo-litik. Pestiziden, Düngermittel und Antibiotika in der Landwirtschaft sollen reduziert werden. Die EU-Mitgliedsstaaten sollen einen eigenen nationalen Strategieplan erstellen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Verpflichtung, vielmehr wird die Umsetzung der Pläne den Mitgliedsstaaten überlassen. Des-halb kann nicht gewährleistet werden, dass diese Strategie in ökologischer Sicht erfolgreich sein wird und die Klimaschutzziele umgesetzt werden, wenn die Verantwortung der Agrarpolitik an die Mit-gliedsstaaten abgegeben wird. Konkrete Vorschläge lässt diese Strategie ebenso vermissen: So wird den Landwirten und Fischern eine „entscheidende Beudeutung, um den Übergang zu meistern“ einge-räumt, ohne auszuführen, wie Landwirte und Fischer dieser Rolle gerecht werden sollen.
Der EGD wird sozialen Komponenten nicht gerecht
Ein schlüssiges Konzept zur Eindämmung der Energiearmut, also die ungleiche Betroffenheit von Geringverdienern durch Energiepreissteigerungen bei gleichzeitig unzureichender Wohnsituation, ist noch nicht ausgearbeitet. Der EGD verweist hier nur auf die Senkung der Energiekosten aufgrund erneuerbarer Energien und Ausweitung der Fördermaßnahmen, ohne konkrete Angaben zur Umset-zung zu machen. Weitere Vorschläge zur Eindämmung der Energiearmut fehlen. Der Just Transition Mechanismus soll 100 Mrd. Euro für Regionen bereitstellen, die von emissionsintensiven Technolo-gien und Energie abhängig sind, um dadurch einen Übergang zu einer emissionsfreien Wirtschaft zu erleichtern. Ob die Summe von 100 Mrd. Euro über 10 Jahre verteilt ausreichen wird, um die emissi-onsfreie Umwandlung zu schaffen, ist zweifelhaft. Verglichen mit der jährlichen Wirtschaftsleistung von 15 Billionen Euro und den enormen Kosten für die ökologischen Umstrukturierung, auch für private Haushalte, erscheint das Volumen des Just Transition Fonds sehr gering bemessen zu sein. Auch wird bemängelt, dass unklar ist, welche konkreten Rahmenbedingungen für eine gerechten Übergang geschaffen werden sollen. Welche Regionen genau diesen Fonds beanspruchen dürfen, ist derzeit auch unklar.
Keine ambitionierten Klimaschutzanstrengungen
Ob der EGD als „Landung auf den Mond“ bezeichnet werden sollte, darf bezweifelt werden. In öko-nomischer Hinsicht mag der EGD seine Ziele erreichen, aber im Hinblick auf die Klimaschutzziele bleiben viele Fragen offen. Es ist völlig unklar, ob eine nachhaltige Wachstumsstrategie durch eine Effizienzsteigerung in der Wirtschaft umsetzbar ist. Der Wissenschaftler Klaus Dörre hat einmal ge-sagt, dem Wirtschaftswachstum sei inhärent, dass sich ohne die erweiterte Reproduktion des Kapitals und fortsteigender Arbeitsproduktivität ein wirtschaftliches Profitstreben nicht verwirklichen lässt. Mit jeder Wachstumssteigerung müsste deshalb auch eine Effizienzsteigerung einhergehen, um den Res-sourcenverbrauch zu senken. Jedoch sind die Ressourcen begrenzt. Der EGD stellt ein Konzept zu-gunsten von Großkonzernen dar, was sich daran zeigt, dass ein klares sozialpolitisches Konzept zur Bekämpfung der Energiearmut fehlt und der Fokus stattdessen auf einer liberalen Wachstumsstrategie liegt. Die Strategie „kein Klimaschutz zulasten des Wachstums“ wird deshalb in ökologischer und sozialer Hinsicht scheitern. Erfolgversprechend zur Erreichung der klimapolitischen Ziele können nur Maßnahmen zur Regulierung des Marktes sein, die sozialpolitische Aspekte mit konkreten Vorschlä-gen berücksichtigen. Die Vorschläge im EGD weisen aufgrund vager und unbestimmter Empfehlun-gen viele Unklarheiten auf. Auch zeigt sich anhand der Unklarheiten, dass die EU-Kommission viel zu zögerlich ist. Im Ergebnis lässt sich der European Green Deal nicht als „Landung auf den Mond“ beschreiben.
Nur ambitionierte Anstrengungen können gegen den Klimawandel helfen
Fehler bei Klimaschutzmaßnahmen haben dramatische Folgen. Ohne zügiges und entschiedenes Han-deln seitens der Regierungen wird man die globale Erderwärmung nicht mehr aufhalten können. Je länger man wartet, desto aussichtsloser wird es sein, gegen den Klimawandel vorzugehen. Laut Emis-sions Gap Report 2018 werden die nächsten 30 Jahren entscheidend sein, um die Emissionen erheb-lich zu senken und die Erderwärmung dadurch aufzuhalten. Wenn wir nicht entschieden handeln, dann werden wir einen anderen Planeten vorfinden, als wir ihn jetzt kennen, warnt Klimaforscher Stefan Rahmsdorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Mitglied im Weltklimarat.
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