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Das Ende des Kapitalismus

Rezension des Buches von Ulrike Herrmann, Das Ende des Kapitalismus

I Entwicklung des Kapitalismus

Ulrike Herrmanns Entwurf für einen Ausweg aus der Klimakrise beeindruckt durch ihre auf den ersten Blick konsistente und insgesamt systematisch angelegte Argumentation. Grob gesagt, geht das Argument so: Der Kapitalismus ist zwar ein segensreiches System und hat viel Gutes gebracht. Nun aber wird er gefährlich, weil er, so die langjährige Wirtschaftskorrespondentin der taz, Wachstum braucht. Wachstum aber führt von heute aus gesehen geradewegs in die Klimakatastrophe bzw. wird in Zukunft aufgrund der Klimakatastrophe unmöglich sein. Da es kein gutes –grünes – Wachstum geben kann, findet der Kapitalismus damit sein Ende. Deshalb macht sie einen Vorschlag, wie der Kapitalismus schrumpfen kann, ohne dass alles im Chaos versinkt: die britische Kriegswirtschaft.

Kapitalismus – was ist das?

Im ersten Abschnitt ihres Buches vermittelt Herrmann ihre positive Sicht des Kapitalismus. Zu Recht stellt sie fest, dass es Produktivitätssteigerungen, technologische Innovation und Zugang immer breiterer Schichten zu Konsumgütern gegeben hat. Unerwähnt bleibt, dass der Kapitalismus auch Armut (Elend) für viele, denen die Lebensgrundlage entzogen wird, Prekariat sowie entfremdende und stumpfsinnige Arbeit für die Mehrheit der Menschen hervorbringt. Herrmanns Einseitigkeit kann man auf ihre Definition des Kapitalismus zurückführen: Kapitalismus ist ein System in dem man in Maschinen, in Technik investiert um Waren herzustellen, die man mit Gewinn verkaufen kann. Wer ist nun dieses „man“, das da Gewinne macht? Und wodurch wird Gewinn gemacht? 

Als Historikerin hätte man von ihr die Beschreibung des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus erwarten können. Sie wäre auf die zentralen strukturellen gesellschaftlichen Veränderungen gestoßen, nämlich darauf, dass zum ersten Mal der Eigentümer der Produktionsmittel und der von allen Subsistenzmitteln „befreite“ Arbeiter sich gegenüber standen. Boden und Arbeit wurden auf Märkten gehandelte Waren. In seinem Buch „Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen“ führt Altvater die Definition von Marx aus: Kapitalismus ist ein spezifisches soziales Verhältnis zwischen Kapitalisten und denjenigen, die für sie arbeiten und dabei ausgebeutet werden“ (S.34).“ (1)

Für Herrmann dagegen ist die Erfindung des Kapitalismus gleichzusetzten mit dem Kauf der ersten Maschine - der Spinnmaschine „Spinning Jenny“ - zu Zeiten der Manufakturproduktion. Das Motiv zur Technisierung seien die hohen Löhne in England. Der Einsatz von Maschinen sei billiger gewesen als die lebendige Arbeit. Damit war aus ihrer Sicht Kapitalismus und Wachstum erfunden. 

Der eigentliche Antrieb war aber – so meinen wir mit vielen anderen - das Gewinnmotiv und die Konkurrenz. England konnte durch den Einsatz von Maschinen die niedrigeren Lohnkosten in Asien kompensieren. (2) Die nun mögliche Massenproduktion wurde exportiert, so dass die indischen Spinner verarmten und verhungerten.(3) 

Dass Ulrike Herrmann im 6. Kapitel erklärt, Kapitalismus und Kolonialismus hätten nichts miteinander zu tun, ist erschütternd. Englands Aufschwung beruhte nicht zuletzt darauf, dass es die größte Kolonialmacht der Welt war - Baumwolle ist ein Rohstoff, der aus den Kolonien und aus Amerika nach England verschifft wurde. In den USA wurde den Ureinwohnern Land gewaltsam entrissen und Millionen versklavter Arbeitskräfte auf den dort errichteten Baumwollfeldern eingesetzt. die unbezahlte Arbeit von Generationen versklavter Arbeiter begründete den Reichtum Europas: Nach Herrmann machten die Plantagen zwar hohe Gewinne – aber diese Profite wurden nicht etwa wegen, sondern trotz der kostspieligen Sklavenarbeit erwirtschaftet. (S.73) – Wie schade, dass die Engländer in den gut 300 Jahren des „British Empire“ nicht ein einziges Mal nachgerechnet haben…. 

Warum der Kapitalismus wachsen muss

Das erforderliche Produktionskapital stieg – nach Herrmann - im Zeitalter der Dampfmaschinen so immens, dass die Unternehmen auf Kredite angewiesen waren. Herrmann stützt sich dabei auf Binswanger, der den Wachstumszwang im Kreditsystem verortet. Die gesamten Einnahmen können nur über den gesamten Ausgaben liegen, wenn Geld zufließt. Die Gewinne werden also aus den Krediten finanziert, die gleichzeitig das Wachstum ermöglichen. Das ist allerdings durchaus umstritten. (4) Für Wachstum gibt es - abgesehen davon, dass das Wachstum des BIP sowieso eine höchst problematische Größe ist - vielfältige Faktoren: Externalisierung von Kosten ökologischer Art, Verdrängungskonkurrenz, aber eben auch Lohnminimierung.

Wenn – wie Herrmann richtig feststellt - über Jahrtausende stationäre Reproduktion herrschte und es erst seit dem frühen 19. Jahrhundert zu einer wahren „Wachstumsexplosion“ der Wirtschaft gekommen ist - was ist damals geschehen? Als Antwort verweist Herrmann auf die industrielle Revolution. Aber das ist keine Erklärung, sondern nur eine andere Beschreibung des Phänomens der Wachstumsexplosion. Der grundlegende Unterschied zu vorher ist nicht der Kredit. Den gab es immer schon. Solange man für Geld nur Güter und Dienstleistungen kaufen konnte, wuchs die Wirtschaft nicht. Die entscheidende Neuerung liegt vor allem in der Schaffung eines Marktes für freie Arbeit. (5)

Kapitalistischen Ökonomien ist ein struktureller Wachstumszwang inhärent. Ohne die erweiterte Reproduktion des eingesetzten Kapitals und die fortwährende Steigerung der Arbeitsproduktivität lässt sich kapitalistisches Gewinnstreben letztendlich nicht realisieren. (6)

II Grünes Wirtschaftswachstum - „leider eine Illusion“ 

Über die Tatsache, dass der Kapitalismus ohne Wachstum letztendlich nicht funktionieren kann sind wir uns also mit Ulrike Herrmann einig. Im Hauptteil ihres Buches will sie beweisen, dass Wachstum, für das ja vor allem Energie gebraucht wird, auf Grundlage erneuerbarer Energien nicht möglich ist und deshalb der Kapitalismus zu Ende geht. Dazu drei Bemerkungen:

1) Ihre Kritik beschränkt sich auf die technische Durchführbarkeit der Versorgung mit erneuerbaren Energien. Nach einer dankenswerten Beschreibung vieler Techniken von Energiegewinnung, -speicherung und -transport kommt sie zu dem Schluss: Das funktioniert nicht. Dabei wagt sie sich in derart prognostische Höhen bzw. Tiefen, dass man ihren Mut nur bewundern kann: Die Infrastruktur für Import von grünem Wasserstoff braucht noch Jahrzehnte (7); Speicher können bei Dunkelflaute nur wenige Stunden überbrücken (8); Pipelines unter dem Mittelmeer für den Strom aus Afrika sind zu kompliziert und teuer usw. (S.130ff)

Sie selbst erinnert daran, dass der Club of Rome in „Grenzen des Wachstums“ prognostiziert hat, dass es seit Ende des 20. Jh. kein Gold mehr gäbe - inzwischen haben sich die bekannten Goldreserven verfünffacht. Wie man nach dieser Erfahrung apodiktisch behaupten kann, alle geplanten technischen Entwicklungen bringen nichts - „die Klimakrise muss mit der Technik bewältigt werden, die jetzt vorhanden ist“ (S. 191) – ist rätselhaft. Die Aussage „Deutschland kann also nur dann klimaneutral werden, wenn es seinen Strom zu Hause produziert“ (S.145) mag aus anderen Gründen wünschenswert sein (s. Klimaimperialismus), aber eine technische Notwendigkeit wird es vermutlich nicht lange bleiben. 

Markus Gabriel von der Universität Bonn weist in einem Interview in der Frankfurter Rundschau darauf hin: „Wir brauchen eine Kombination aus technischen Lösungen und einer anderen Lebensweise. Eine in der Demokratie stattfindende Debatte darüber, wer wir eigentlich sein wollen. Und diese Debatte findet zurzeit eben nicht statt, weil wir stattdessen nur nach technologischen Lösungen suchen.“ (9)

2) Bei ihrem Verdikt der geplanten Technik fällt vor allem ein Argument auf, das von Ulrike Herrmann ständig wiederholt wird und in dieser etwas nebligen Form auch viele Zeitungsartikel ziert: zu teuer. Für wen, fragt man sich, in Bezug worauf? Wenn die Energie teurer wird, steigen entweder die Preise oder es sinkt der Profit oder das Produkt wird eingestellt – oder es bleibt alles beim Alten, weil die Steuerzahler:innen die gestiegenen Kosten bezahlen. Die Umstellung von Thyssen/Krupp auf Wasserstoff wird z.B. gerade von EU, Bund und Land bezahlt. Die Konzerne werden also vielleicht doch Wege finden. Vielleicht gehen auch Branchen unter und andere steigen auf? Auch das wäre noch nicht das Ende des Kapitalismus. 

3) Die gesamte Darstellung von Ulrike Herrmann bewegt sich leider in einer gewissen nationalen Beschränktheit auf Grund ihres rein technischen Blicks auf die Versuche, die erneuerbaren Energien der Welt für das deutsche Kapital nutzbar zu machen. Die Energiewende hierzulande wird auf dem Rücken der Menschen im globalen Süden stattfinden. Und der Klimaimperialismus hat schon begonnen.

Wir sind mit Markus Gabriel der Meinung: „Der erste Schritt ist, dass man anerkennt, dass die Welt nicht in Gefahr ist. In Gefahr ist der moralisch erträgliche Fortbestand der Menschheit. Zudem haben wir einen insgesamt moralisch erträglichen Zustand ja noch gar nicht erreicht. Viel zu viele Menschen leben in Armut, Krieg und Verzweiflung. Die Frage ist nicht: Wie können wir also den Status quo bewahren oder retten, sondern umgekehrt, wie kommen wir in eine menschheitliche Gesamtkonstellation, die moralisch erträglich ist.“ (10)

III Das „Modell“ britische Kriegswirtschaft

Ulrike Herrmann nennt ihr Buch: „Das Ende des Kapitalismus“ und es ist unter anderem die (uneingelöste) Radikalität des Titels, die dem Buch so viel Aufmerksamkeit verschafft hat. Auch wir halten radikale Maßnahmen gegen die Klimakrise für notwendig: eine Kombination aus technischen Lösungen, ordnungsrechtlichen Maßnahmen und einer Veränderung unserer Lebensweise reichen dafür nicht. 
Dass der Kapitalismus in Deutschland zusammenbrechen wird, wenn die Klimakrise sich verschärft, könnte man also für eine gute Nachricht halten. Aber, wie Ulrike Herrmann selbst schreibt: „Es ist nicht originell, das Ende des Kapitalismus zu prognostizieren“. Er wurde in der Geschichte schon x-mal mit genauso guten Argumenten totgesagt und hat immer einen unvorhergesehenen Ausweg gefunden. Leider wird in dem Buch nicht schlüssig dargelegt, inwiefern der Kapitalismus diesmal nicht dazu in der Lage sein soll, zu überleben und durch eine Mischung aus Anpassung („grüner Kapitalismus“) und Gleichgültigkeit gegenüber Mensch und Natur auch aus dem größten Desaster noch Profit zu schlagen. 

Ulrike Herrmann jedenfalls geht von dieser Annahme aus und kritisiert, dass andere zwar die Freuden einer Degrowth – Gesellschaft beschreiben, aber sich um den Weg dorthin keine Gedanken machen. Um Krise, Chaos und Verzweiflung zu vermeiden, die ja schon einmal zur faschistischen Diktatur geführt haben, sucht sie nach einem Gesellschaftsmodell, das einen geordneten Übergang garantieren kann, ein kontrolliertes Schrumpfen der Wirtschaft, und findet es in der britischen Kriegswirtschaft der Churchill Regierung während des 2. Weltkriegs. Anders als andere Kriegswirtschaften sei diese bei der Bevölkerung beliebt gewesen, weil sie als gerecht empfunden wurde. Alle bekamen die gleiche Anzahl von Kalorien zugewiesen und das war mehr, als sich die Armen vorher leisten konnten. Das Kapital blieb im Privateigentum, aber die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ging an den Staat über – insofern er dafür sorgte, dass Ressourcen und Arbeitskräfte so verteilt wurden, dass möglichst viele Waffen hergestellt werden konnten. 

Uns scheint hier die Feststellung von Dörre zutreffend: „Nachhaltigkeitsziele werfen zumindest implizit die Frage auf, ob sie sich innerhalb kapitalistischer (Re-)Produktions- und Eigentumsverhältnisse realisieren lassen. Die wachstumskritische Literatur bleibt in diesem Punkt zwiegespalten. Einerseits wird ein Kapitalismus ohne Wachstum für unmöglich erklärt, andererseits erscheint eine Überwindung des Kapitalismus auch wegen der knappen Zeitbudgets für Veränderungen wenig wahrscheinlich. Beides führt mit schöner Regelmäßigkeit zu einer argumentativen Quadratur des Kreises. Entweder fehlt der gewünschten Postwachstumsgesellschaft jeder Bezug zu realen Machtkonstellationen und den Möglichkeiten ihrer Überwindung oder es soll doch möglich werden, Wirtschaftswachstum und Kapitalismus auf Nachhaltigkeit zu programmieren. Ein Problem inkrementeller Ansätze ist, dass die Radikalität der Analyse in den vorgeschlagenen Konsequenzen meist wieder verloren geht.

Wir wollen gar nicht die wohlfeile Frage stellen, wer denn eine Partei mit dem oben skizzierten Programm wählen würde – obwohl sie, wenn man die Demokratie nicht abschaffen will, durchaus ihre Berechtigung hat – aber doch einige Bedenken anmelden:

1. Im Gegensatz zur Kriegswirtschaft, in der es schlicht darum ging, weniger Konsumgüter und mehr Waffen zu produzieren, gibt es für einen Umbau der Wirtschaft für Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft keinen Masterplan. Es gibt im Gegenteil eine Menge Zielkonflikte (Energie, Artenschutz) zwischen den verschiedenen Dimensionen des „grünen Schrumpfens“ und kein einziger Schritt wäre alternativlos. Es gibt z.B. verschiedene Vorstellungen darüber, wie Mobilität organisiert werden soll und in welchem Ausmaß sie erwünscht oder notwendig sein wird. Die Idee, diese Alternativen nicht durch gesellschaftliche Diskussion, sondern durch Dekret zu entscheiden, würde wahrscheinlich so viel Widerstand provozieren, dass es in einer Demokratie zum Ende des Experiments, wenn nicht gar zu einer Kehrtwendung führen müsste.

2.  Der Kapitalismus ist nicht nur ein ökonomisches System, sondern durchdringt einerseits hegemonial das Denken der Menschen und besteht anderseits aus realen Machtkonstellationen – das Kapital nimmt Einfluss auf die Politik bzw. macht sich den Staat zunutze. Während es leicht zu begreifen ist, dass das (britische) Kapital damit einverstanden war, die Produktion umzubauen, um Hitler zu besiegen, wird es wahrscheinlich nicht damit einverstanden sein, sich abzuschaffen. Wie soll eine Kriegswirtschaft dann installiert werden? Eine Einschränkung von Machtressourcen des Kapitals ist ohne massiven oppositionellen Druck nicht zu erreichen.

Im Übrigen: Wer in einem Land lebt, in dem der Lobbyismus der Autoindustrie es sogar verhindert, ein Tempolimit einzuführen, braucht schon mehr als Optimismus, um einer Regierung Eingriffe in die Macht der Konzerne zuzutrauen.

3. Der Kapitalismus ist international. Selbst wenn es möglich wäre, ihn in einem Land soweit einzuhegen, wie Herrmann es vorschlägt, wäre es beileibe nicht sein Ende. Jedes Unternehmen könnte seinen Sitz verlegen; alle, die nicht dort arbeiten wollten, wo sie hingeschickt wurden, könnten sich anderswo Arbeit suchen; alle, die Geld hätten, könnten ihre Kalorien mit holländischem Käse ergänzen, usw. 
Im Übrigen ist ja auch der Klimawandel nicht in einem Land zu besiegen. Die britische Kriegswirtschaft müsste also weltweit eingeführt werden. Von einer Weltregierung? Leider kümmert sich das Buch mit keiner Zeile um die Auswirkungen, die die vorgeschlagenen Maßnahmen auf den Rest der Welt haben, wo ja viele Menschen tagtäglich um ihr Überleben kämpfen gegen Hunger, Armut, Krankheit. (Konkret zu England: Aus welchen Commonwealthländern kamen die importierten Lebensmittel nach Großbritannien und unter welchen Umständen wurden sie produziert?) 

„Es liegt auf der Hand, dass jeder Green New Deal eine inter- und transnationale Dimension haben muss. Deshalb benötigt neosozialistische Politik … einen neuen Multilateralismus, der Kriege ächtet, friedliche Kooperation als unhintergehbaren Standard internationaler Beziehungen etabliert sowie faire Handels- und Produktionsbeziehungen durchsetzt, um die Ungleichheiten zwischen Staaten abzubauen.“

4. Als letztes sei die Frage gestellt, um welchen Übergang es sich hier eigentlich handelt. In England, wissen wir, kam nach der Kriegswirtschaft der normale Kapitalismus wieder. Und in diesem Modell? Wie kommt man von einer Kriegswirtschaft mit Privateigentum an Produktionsmitteln zu einer „postkapitalistischen“ Gesellschaft, von Herrmann „Überlebenswirtschaft“ genannt? In ihrem Ausblick auf diese Gesellschaft (S.221f) beschreibt sie, dass Banken, Versicherungen und ca. die Hälfte der DAX -Konzerne die Ökowende nicht überleben, während SAP, Siemens, RWE und E.ON sogar expandieren können. – So haben wir uns bisher das Ende des Kapitalismus allerdings nicht vorgestellt.
Zusammenfassend stellen wir fest, dass sich mit diesem „Modell“ das Klima nicht retten lässt. Weder haben wir die Zeit, auf die Kriegswirtschaft zu warten (geschweige denn auf den Zusammenbruch des Kapitalismus), noch ist das überhaupt ein gangbarer Weg und er ist zudem in einer demokratischen Gesellschaft auch nicht wünschenswert.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Unsere Ablehnung des Modells der Kriegswirtschaft heißt nicht, dass wir ordnungspolitische Maßnahmen ablehnen, im Gegenteil. Wir sind mit Axel Troost der Meinung: „Die Durchsetzung ordnungsrechtlicher Maßnahmen mit konsequenten Grenzwerten für Abgas- und PS-Begrenzung sowie eine Ressourcenbilanz vollständiger Produktzyklen (Elektromobilität!) sind unverzichtbar. …. Hinzutreten müssen massive Investitionen in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, für weitgehend autofreie Innenstädte und für einen Strukturwandel der Automobilindustrie.“ Die Liste ließe sich verlängern. Aber das alles hängt an politischen Mehrheiten und ist ohne autokratische Herrschaft möglich.

Allerdings: Eine Wirtschaftsform, die sich nur am Profit orientiert, ist an Klimaschutz, Ressourcen-Schonung und Vermeidung von Co2 Ausstoß nur interessiert, sofern man damit Geld verdienen kann. Wir brauchen eine demokratische Debatte darüber, was und wieviel wir produzieren wollen und diese Debatte berührt unweigerlich die Eigentumsfrage. „Die expansiven Kräfte des Kapitalismus beruhen auf zahlreichen Treibern in den unterschiedlichsten sozialen Feldern. Ihr letzter und wichtigster Grund ist jedoch das kapitalistische Eigentum an Produktionsmitteln. Karl Marx, Rosa Luxemburg, aber auch die Anti-Marxistin Hannah Arendt haben das scharfsinnig herausgearbeitet. Die Stellung der herrschenden Klassen im Kapitalismus beruht auf Besitz als einem dynamischen Prinzip; dieser Besitz an Produktionsmitteln muss sich ständig vermehren.“

Wir kommen also nicht darum herum, die Eigentumsfrage zu stellen, die sozial-ökologische Transformation voran zu bringen und uns darüber zu verständigen, wie eine nachhaltige, nicht kapitalistische Wirtschaft aussehen könnte.

Fazit: Ulrike Herrmanns Buch ist lesenswert, weil sie sich nicht scheut, konfrontativ heiße Eisen anzufassen. Sie legt überzeugend dar, dass weder Marktliberalismus, noch individueller Konsumverzicht oder reine Technikgläubigkeit die Klimakrise bewältigen können. Die Transformation erfordert grundlegende strukturelle Eingriffe (Änderungen). die ohne staatliche Lenkung nicht zu bewältigen sind. Es geht um einen kollektiven Prozess, der breite Unterstützung erfordert und - so möchten wir hinzufügen - nur auf Akzeptanz stoßen wird, wenn Transparenz, Gerechtigkeit und weitgehende Partizipation garantiert ist.  

 

1) Auch Altvater sieht das Ende des Kapitalismus als notwendig an. Im Gegensatz zu ihr sieht er aber "in einer ökologisch nachhaltigen Gesellschaft“ eine Alternative zum Kapitalismus
2) Harald Fischer-Tiné, „Kolonialismus zwischen Modernisierung und Traditionalisierung: Die britische Herrschaft in Indien“, Aus: Politik und Zeitgeschichte 2022
3) Sven Beckert, „Geschichte des globalen Kapitalismus“
4) Oliver Richters et co. kritisieren die volkswirtschaftlichen Modelle von Beltrani sowie H. C. und M. Binswanger in: Oliver Richters; Andreas Siemoneit: ZOE Discussion Papers No. 3 Februar 2019, Wachstumszwang – eine Übersicht in: ZOE Discussion Papers | No. 3 | Februar 2019
5) Christoph Deutschmann, WSI-Mitteilungen, 2014, vol. 67, issue 7, 513-520
6) Klaus Dörre: Kapitalismus im Wachstumsdilemma. Die Verdrängung der ökologischen Krisendimension und ihre Folgen in: WSI Mitteilungen 2/2013
7) Allerdings ist mit Namibia vereinbart: „Namibia strebt an, bereits vor 2025 Grünen Wasserstoff zu exportieren“  und RWE hat sich schon 300 000t pro Jahr vertraglich gesichert.
8) Speicher werden auf Batterien und Pumpspeicherwerke begrenzt, obwohl es auf dem Gebiet eine rasante technische Entwicklung gibt
9) FR 07. Januar 2023: Markus Gabriel, „Wir retten die Welt auch, ohne Verzicht zu üben“
10) FR 07. Januar 2023: „Wir retten die Welt auch, ohne Verzicht zu üben“


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