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Bekämpfung klassistischer Diskriminierung als Beitrag zur Reduzierung sozialer Ungleichheit

In den letzten Jahren sind mehrere neue Publikationen zum Thema „Klassismus“ erschienen, die eine Vertiefung und Erweiterung von theoretischen Hintergründen vornehmen und neue Handlungsmöglichkeiten zur Überwindung klassistischer Diskriminierung aufzeigen. Hierzu gehören insbesondere die von Francis Seeck und Tanja Abou geschriebenen und herausgegebenen Bücher (siehe Literaturverzeichnis). Seeck (2024, 13) liefert auch eine präzise Definition dessen, was sie unter Klassismus versteht: Abwertung, Ausgrenzung und Marginalisierung entlang von Klasse sowie als ideologisch gestützte Herrschaftsform.

Geschichte

Diskriminierung aufgrund von Klassenzugehörigkeit wird es schon seit dem Ende der Jäger- und Sammlerzeit gegeben haben. Für die heutige Situation in Deutschland sind jedoch insbesondere die Erfahrungen aus der NS-Zeit von Bedeutung: Schon in den 1920 er Jahren formierten sich Vorurteile gegenüber sogenannten „Asozialen“, die als „moralisch schwachsinnig“, „unangepasst“ und „arbeitsscheu“ diskriminiert wurden. Im Nationalsozialismus wurden diese Menschen mit dem „schwarzen Winkel“ gekennzeichnet und verfolgt. „Der schwarze Winkel“ war ein – willkürlicher – Sammelbegriff, unter den Bettler, Sexarbeiter*innen, Sinti*ze und Rom*nija, Menschen, die sich der Pflicht zur Arbeit entziehen – kurz Menschen die als Fremdkörper gesehen worden, fielen…“ (Abou 2017,3).

Diese Abwertung wurde auch in der Nachkriegszeit nicht überwunden Erwerbslosenfeindlichkeit hat sich bis heute erhalten: „Fast jede zweite Person in Deutschland hat eine negative Meinung über langzeitarbeitslose Menschen, wie die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt“ (Seeck 2022,53). Etwas höher ist nur noch die menschenfeindliche Abwertung asylsuchender Menschen.

Rassistische Abwertung von Arbeitslosen wird auch von Angehörigen der Arbeiter*innenklasse vorgenommen, weil sie so ihre eigene Abwertung durch höhere Schichten kompensieren können.

Auch Arbeitslose wurden schon im Nationalsozialismus ebenso wie Menschen mit Behinderungen als „unwertes Leben“ abgewertet (Seeck 2022,63).
In der Nachkriegszeit wurde diese Diskriminierung nicht überwunden. Betroffene wurden in der DDR ebenso wie in der BRD häufig in Arbeitshäuser eingewiesen. Aufstiegsmöglichkeiten waren in der DDR auch im Bildungsbereich gering. Nur die Einkommensgleichheit war deutlich höher als in der BRD.

Emanzipatorische Bewegungen gegen Klassismus hat es explizit zunächst in den USA gegeben, wo sich 1974 schwarze feministische Frauen gegen ihre Abwertung wegen geringen Einkommens im Vergleich zu weißen Frauen wehrten.

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts haben sich auch in Deutschland von klassistischer Diskriminierung betroffene Menschen in Gruppen zusammengeschlossen. So wurden an Hochschulen zahlreiche Gruppen von Studierenden aus der Arbeiterklasse gegründet, die Einfluss auf die Hochschulentwicklung genommen haben.

Auch von Armut und Wohnungslosigkeit Betroffene haben sich vermehrt zu Gruppen zusammengeschlossen, um für eine Verbesserung ihrer Situation zu kämpfen. Als Beispiel sei hier die Berliner Erwerbsloseninitiative „Basta“ genannt, die ihre Ziele wie folgt beschreibt: 
„Begegnung zwischen und praktisches und solidarisches Interesse an Menschen, die verarmt sind, sind eine Voraussetzung für Widerstand. Wir wollen diejenigen mobilisieren, die ein Interesse an der Veränderung der Verhältnisse haben. Wir handeln, um kollektive Verbesserungen zu erreichen“ (Zit. n. Seeck 2024,109).

Theoretische Vertiefung von Antiklassismus in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen

Auf der Basis der von Pierre Bourdieu als Ergänzung des ökonomischen Kapitals von Marx konzipierten zusätzlichen Kapitale: kulturelles, symbolisches und soziales Kapital entwickeln mehrere Autor*innen weitergehende theoretische Konzepte der klassistischen Diskriminierung und ihrer Bekämpfung.

Jan Niggemann entwickelt Perspektiven einer „sorgenden Theoriearbeit“, indem er die ideologische Funktion klassistischer Denkweisen aufdeckt, deren Ziel die Verdrehung von Ursache und Wirkung ist: „Wir sollen sozial gemachte Unterschiede als „natürliche“, „psychologische“,“ „genetisch bedingte“ oder „kulturelle“ begreifen. Das ist die ideologische Funktion dieser Denkweisen“ (2023,46).

Das Erlernen der theoretischen Hintergründe ist ein Werkzeug für die notwendige Veränderung des Denkens und Handelns. Bildungsprivilegien für alle sind die Strategie für die Abwehr klassistischer Diskriminierung. Bildung, Lernen und Lehren sind die stärksten Mittel, um sich gegen die Übernahme klassistischer Maßstäbe und Perspektiven zu wehren (53).
Diese Vertiefung kann in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen erfolgen. Als Beispiele seien hier nur der Journalismus, psychische Erkrankungen, soziale und kulturelle Arbeit genannt.

Brigitte Theißl (2023) fordert, Klassismus zum Thema für den Journalismus zu machen, um die unter anderem von der Bild-Zeitung betriebene Kampagne gegen Hartz-IV-Empfänger*innen zu konterkarieren. Notwendig sei hierfür eine respektvolle Armutsberichterstattung, die Verteilungsgerechtigkeit zum Thema macht und eine sensible Sprache, die armen Menschen nicht als „sozial schwach“ oder in einer „sozialen Hängematte liegend“ abwertet.

Am Beispiel von Depressionsursachen verdeutlichen die Autor*ìnnen Doell und Koslowski, dass Versagensgefühle nicht nur als persönliches Problem verstanden werden können, sondern auch auf die Struktur der Klassengesellschaft zurückzuführen sind. „Während die Arbeiter*innen in der Fabrik kollektiv einem Zwang ausgesetzt seien, müssten sich die prekär scheinselbstständigen Tech-Arbeiter*innen individuell selbst optimieren. Während der äußere Zwang eher zu Neurosen führe, so Deleuze, führten die internalisierten Leistungsnormen eher zu Depressionen“ (171).

Soziale Arbeit ist ein zentraler Bereich in der antiklassistischen Arbeit, weil in ihr überwiegend Menschen behandelt werden, die Opfer von sozialer Ungleichheit sind. Auch hier gibt es die Tendenz, die Adressat*en Sozialer Arbeit für ihre Armut und andere Probleme selbst verantwortlich zu machen. Philipp Schäfer stellt hierzu fest: „Die primäre Aufgabe Sozialer Arbeit sei es weniger, Menschen zu unterstützen, als vielmehr, Macht und Ausbeutungsverhältnisse zu stabilisieren, somit sei sie lediglich ein >>Helferdienst<< für die bestehende Herrschaft“ (2023, 210 f.).

Eine wichtige Aufgabe für die Soziale Arbeit sei es deswegen, die gesellschaftlichen Machtstrukturen in ihrem Bereich zu analysieren, um ihren Klient*innen Soft Skills sowie Selbstreflexion und Selbstregulierung nicht abzusprechen, sondern diese zu fördern, indem ihnen die strukturellen Hintergründe ihrer sozialen Lage vermittelt werden.

Auch in der kulturellen Arbeit sollte Klassismus bekämpft werden. Malu Förschl (2023) verdeutlicht dies am Beispiel der Musik, in der Popmusik als Musik des Pöbels bezeichnet werde. Höherwertig seien dagegen klassische Musik und Jazzmusik. Diese Abgrenzung zwischen „Hochkultur“ und „Populärkultur“ dient der Aufrechterhaltung der klassistischen Gesellschaft.

Klassismus im Bildungssystem

Zu diesem Thema sind mehrere Beiträge erschienen, die Hintergründe für klassistische Abwertung und Alternativen für pädagogisches Handeln aufzeigen. Tanja Abou gibt dazu in ihrem 2024 veröffentlichten Band zahlreiche Anregungen. Hierzu zählt schon die Reflexion des Sprachgebrauchs, der häufig diskriminierenden Charakter hat. Orte, die als „soziale Brennpunkte“ oder „Problemviertel“ abgewertet werden, nennt die Verfasserin stattdessen „strukturell vernachlässigte Stadtteile oder Kieze“ (8).

„Bildungsfern“ nennt sie „universitätsfern“ oder „bildungsbürgertumsfern“, weil Kinder aus der Arbeiter*innenfamilien häufig eine andere Bildung mitbringen, zum Beispiel technische Fähigkeiten, als Kinder aus dem Bildungsbürgertum, dessen Fähigkeiten in der Schule zählen.

Auch Erzieher*innen in Kitas müssen ähnliche Vorurteile über arme Familien reflektieren, damit sie ihnen nicht zuschreiben, selbst schuld an fehlenden Fähigkeiten ihrer Kinder zu sein.

Zentrales Problem für den Klassismus im Bildungssystem ist das Selektionssystem, auch „Ausgrenzungsapparat“ genannt. Hierzu zählt u.a., dass Lehrende junge Menschen in solche aufteilen, die aufgrund ihres besonderen Talents Unterstützung verdienen und die Übriggebliebenen, die es nicht verdienen, die gleiche Unterstützung zu bekommen.
„Lehrer üben symbolische Gewalt aus, insofern sie zum Beispiel bestimmte Verhaltens-und Sprechweisen befördern und dazu beitragen, dass Schüler sich diesen unterwerfen und sie als natürlich und legitim anerkennen“ (Abou, 36).

Als Ausgrenzungsmerkmal ist auch der „Kevinismus“ bekannt. Mit den Namen „Kevin“ und „Chantal“, die in unteren Klassen häufiger vorkommen sollen, wird „frech“, „verhaltensauffällig“ und „leistungsschwach“ verbunden, mit den eher in höheren Klassen verwendeten Namen „Sophie“ und „Maximilian“ dagegen, sie seien leistungsstark und unauffällig (36).

Zentrale Forderung zur Abschaffung von Klassismus im Bildungssystem ist die Einführung von Einheitsschulen für alle Kinder und Jugendliche. Es gibt zwar nicht mehr in allen Bundesländern das dreigliedrige Schulsystem, aber nach wie vor die Selektion nach sozialen Klassen.

Für mehr soziale Gleichheit in der Bildung ist nach Bettina Aumair (2023, 225) auch eine Änderung des Unterrichts erforderlich. Das zu Lernende sollte der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen entsprechen, um die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie leben, bewusst gestalten zu können. Eine wichtige Methode zur Umsetzung ist der teilnehmendenorientierte Unterricht, der Bedürfnisse und Interessen der lernenden ernst nimmt. Eine weitere wichtige Strategie ist die explizite Thematisierung von Ausgrenzungsmechanismen.

Diskussion

Zentrale Strategie zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit ist die Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Dies wird durch die Bekämpfung des diskriminierenden Klassismus nicht infrage gestellt. Die subjektive Verarbeitung dieser Diskriminierung kann jedoch dazu führen, die Schuld für Armut und Arbeitslosigkeit bei sich selbst zu suchen und deswegen das bestehende Herrschaftsverhältnis zu akzeptieren. Die Aufklärung über Klassismus kann deswegen dazu beitragen, in der Bevölkerung eine größere Mehrheit für die finanzielle Umverteilung zu gewinnen.

Literatur

Abou, Tanja: Klassismus oder: Was meine ich eigentlich, wenn ich von Klassismus spreche? Eine Annäherung. mediathek@IDAe.V.de 2017
Abou, Tanja: Klasismus im Bildungssystem. UNRAST-Verlag, Münster 2024 
Aumair, Betina: Bildung und soziale Ungleichheit: Impulse für für eine klassismuskritische Bildungsarbeit. In: Seeck, Francis & Brigitte Theißl (Hg.): Solidarisch gegen Klassismus organisieren, intervenieren, umverteilen. UNRAST-Verlag, Münster. 4. Aufl. 2023, 222 - 232
Doell, David Ernesto Garcia & Barbara Koslowski: Klassismus in der abelistischen Klassengesellschaft. . In: Seeck, Francis & Brigitte Theißl (Hg.): Solidarisch gegen Klassismus organisieren, intervenieren, umverteilen. UNRAST-Verlag, Münster. 4. Aufl. 2023, 168 – 178
Förschl, Malu: Musik und Klasse – Hierarchie lauert überall. In: Seeck, Francis & Brigitte Theißl (Hg.): Solidarisch gegen Klassismus organisieren, intervenieren, umverteilen. UNRAST-Verlag, Münster. 4. Aufl. 2023, 245 – 254
Niggemann, Jan: Keine Klasse für sich. Perspektiven einer sorgenden Theoriearbeit. In: Seeck, Francis & Brigitte Theißl (Hg.): Solidarisch gegen Klassismus organisieren, intervenieren, umverteilen. UNRAST-Verlag, Münster. 4. Aufl. 2023, 45 – 55
Schäfer, Philipp: Klassismus – (k)ein Thema für die Soziale Arbeit?! . In: Seeck, Francis & Brigitte Theißl (Hg.): Solidarisch gegen Klassismus organisieren, intervenieren, umverteilen. UNRAST-Verlag, Münster. 4. Aufl. 2023, 245 – 254
Seeck, Francis: Klassismus überwinden. Wege in eine sozial gerechte Gesellschaft. UNRAST-Verlag, Münster 2024
Theißl, Brigitte: Medial ausgegrenzt. Warum Klassismus ein Thema für den Journalismus werden muss . In: Seeck, Francis & Brigitte Theißl (Hg.): Solidarisch gegen Klassismus organisieren, intervenieren, umverteilen. UNRAST-Verlag, Münster. 4. Aufl. 2023, 235 -245


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