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Auf dem europäischen Radar Lithiumabbau in Argentinien

Lithiumabbau in Argentinien im Salar de Olaroz, Foto: Coordenação-Geral-de Observação da Terra/INPE

Anfang des Jahres hat Attac sich gegen das EU-Chile-Abkommen stark gemacht. Ein Schwerpunkt der Kritik waren dabei die Schäden an Mensch und Umwelt, die durch den durch das Abkommen intensivierten Lithiumabbau entstehen. Leider gibt es das Abkommen jetzt trotzdem.

Interview mit Debora Cerutti, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei CONICET (National Scientific and Technical Research Council) und feministische Fotojournalistin in Argentinien. Sie arbeitet zu Fragen der Lithiumförderung unter anderem im Projekt ›Constelaciones de la Puna‹.

Du lebst in Argentinien und bist dort gegen den Lithiumabbau aktiv. Dabei kritisiert ihr auch das Mercosur-Abkommen. Welche Auswirkungen hätte es auf den Lithiumabbau?

Im Februar 2024 empfing die EU-Kommission eine argentinische Delegation der neuen Regierung von Javier Milei in Brüssel, die ihr Interesse an strategischen Partnerschaften in den Wertschöpfungsketten kritischer Materialien bekundete. Zuvor hatte die EU-Kommission im Jahr 2019 ein wirtschaftliches Abkommen mit dem Mercosur unterzeichnet. Die Projekte im Mercosur umfassen Programme der Energiewende, der Produktion von grünem Wasserstoff, der digitalen Infrastruktur und insbesondere der Gewinnung und Industrialisierung von Lithium. Das Abkommen zielt darauf ab, die Lieferkette dieses Minerals zu konsolidieren, das als elementar für die Elektrifizierung der Automobilindustrie gilt.

Bislang wurde das Abkommen noch nicht umgesetzt. Es verspricht Unternehmen viele Vorteile, aber was ist mit den Gemeinden, was mit den Umwelthaftungen?

Der Lithiumabbau in Südamerika hat bereits zu schwerwiegenden Umweltschäden am Grundwasser sowie zur Kriminalisierung und strafrechtlichen Verfolgung indigener Gemeinschaften geführt, ohne dass deren Rechte oder internationale Konventionen respektiert werden. Die Umweltvorschriften in Europa und Südamerika sind nicht gleichwertig und nicht streng genug. So begünstigt und fördert das Abkommen transnationale Investitionen in Bergbauprojekte, die die empfindlichen Ökosysteme, in denen das Lithium abgebaut wird, bedrohen.

Wie ist der Widerstand gegen den Lithiumabbau in Argentinien organisiert?

Siebenundsechzig Prozent der weltweiten Lithiumreserven befinden sich im so genannten Lithiumdreieck, das aus Bolivien, Chile und Argentinien besteht. In unserem Land ist das Mineral in Catamarca, Salta und Jujuy konzentriert. Als »weißes Gold« wird der lithiumhaltige Boden der indigenen Gemeinschaften in dieser Gegend bezeichnet. Sie organisieren sich seit dem Lithiumboom in unserem Land, um die Schäden aufzudecken, die er dort verursacht. Wir erfassen und systematisieren seit mehr als zehn Jahren die Schäden, die auf unterschiedlichen Ebenen entstehen – sozio-ökologisch, territorial, aber auch in der Art und Weise, wie versucht wird, einen einseitigen Diskurs über Entwicklung und Fortschritt durchzusetzen. Es gibt viele Formen von Widerstand: Sie reichen von juristischen Auseinandersetzungen über Volksbegehren bis hin zu Straßenblockaden und sind Teil der Roadmap sozialer Kämpfe, die ökologische und politische Alternativen zum hegemonialen Diskurs von Modernität und Entwicklung bieten. Im März 2024 hat die indigene Gemeinde Atacameños del Altiplano in Antofagasta de la Sierra (Catamarca, Argentinien) eine gerichtliche Verfügung erwirkt, die neue Genehmigungen für Projekte in Planung untersagt. Ein symbolträchtiger Fall, da in dem Urteil auch gefordert wird, dass eine kumulative und umfassende Umweltverträglichkeitsstudie über die Entwicklung der tödlichen Bergbauaktivitäten im Salar del Hombre Muerto durchgeführt wird und die indigene Gemeinschaft unabhängig, im Voraus und in Kenntnis der Sachlage konsultiert wird.

Welchen Problemen begegnet ihr derzeit?

Die Art und Weise, wie Lithium gewonnen wird, basiert auf einer Matrix ungleicher Aneignung und ungleichen Verbrauchs, auf dem Rücken von Menschen, deren ökologischer Fußabdruck einen verschwindend kleinen Teil eines durchschnittlichen ökologischen Fußabdrucks im Globalen Norden ausmacht. Dem Versprechen von Vorteilen für wenige werden ganze Landstriche geopfert, und die Fortsetzung einer Mobilitätspolitik, die auf dem Individualverkehr basiert, wird festgeschrieben. Es geht auch um Wasser. Die Ökosysteme der Hochanden, in denen Lithium abgebaut wird, sind empfindlich, Wasser ist dort knapp. Und wir wissen bereits: Lithiumabbau ist Wasserabbau. Die nicht wiedergutzumachenden Schäden sollen finanziell entschädigt werden – die Wiedergutmachung des Nichtwiedergutmachbaren. Es gibt viele ökologische und soziale Herausforderungen in einer Gesellschaft, die Gemeingüter nur als Ressourcen betrachtet; im Falle Argentiniens kommt eine rechtsextreme Regierung mit dem Glauben an unbegrenztes Wachstum dazu. Wie die USA versucht auch die EU, ihren Zugang zu den Rohstofflieferketten zu sichern, ohne das mit konkreten Zielen zur Begrenzung der Gesamtnachfrage und des Verbrauchs von Rohstoffen in der EU zu verknüpfen. Gleichzeitig erkennt die Europäische Union die ökologische Schuld gegenüber Lateinamerika immer noch nicht an, und das Abkommen fördert eine neue Verschuldung durch Kredite.

Was kann die Zivilgesellschaft in der EU die Initiativen gegen den Lithiumabbau unterstützen?

Das erste Stichwort ist Degrowth; wir müssen uns intensiv mit der Debatte über das Verbrauchsniveau, nicht nachhaltige Lebensstile im Rahmen einer globalen ökosystemischen Krise und den Asymmetrien zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden auseinandersetzen. Die Unterstützung von Initiativen gegen den Lithiumabbau bedeutet, die Folgen des Extraktivismus für die betroffenen Gebiete, die Verletzung der Menschenrechte und die Verschlimmerung der sozio-ökologischen Schäden öffentlich zu verurteilen. Es gibt viele Dinge, die soziale Organisationen, Initiativen und indigene Gemeinschaften gerade jetzt tun. Dazu gehört der »Ökosoziale Pakt des Südens«, mit dem Kräfte gebündelt werden sollen. Er ist eine Aufforderung an die Gesellschaft, sich selbst zu organisieren, um Veränderungen in den Institutionen durchzusetzen, indem sie Verteilungsgerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, ethnische Gerechtigkeit und Umweltgerechtigkeit fordert. Wir müssen über einen sozial-ökologisch gerechten Übergang sprechen. Wir müssen aufhören, in einer extraktivistischen Matrix zu denken. Anstatt weiter Fördermethoden in den Fokus zu nehmen, müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir das Lithium in den Feuchtgebieten belassen können – »Lasst das Öl in der Erde«. Wir müssen uns die Idee der Fürsorge für alle Lebensformen zu eigen machen, die uns der Feminismus, insbesondere der Ökofeminismus und der kommunitaristische Feminismus, gelehrt hat – den Pakt zwischen den Generationen. Die Fürsorge für Wasser, Land, Tiere, für traditionelle Lebensweisen und Pflege des Territoriums.

Was sollten die EU und progressive Parteien tun, um die Nachfrage nach Lithium zu senken?

Breite Dialoge initiieren und die Agenda der Elektromobilität in Frage stellen. Wir brauchen radikalere Debatten: Wir müssen mehr über Konsum diskutieren und die lokale Produktion von Lebensmitteln und Dingen, die wir zum Leben brauchen, erhöhen. Wir müssen den Warentransport reduzieren, die Agrarökologie zurückholen, die urbane Landwirtschaft fördern. Außerdem brauchen wir neue Strategien für die Mobilität: keine Autos mehr bauen, sondern auf öffentliche Verkehrsmittel setzen. Und wir müssen über ökologische Schulden im Sinne der Umweltgerechtigkeit sprechen. Diejenigen, die mehr Ressourcen verbrauchen, schulden den anderen etwas. Die Realität erlaubt uns nicht, über faire Handelsverhältnisse zu sprechen, denn das Verhältnis zwischen Europa und Lateinamerika ist nach wie vor kolonial geprägt. In Bezug auf Abkommen und die Stärkung der Stimme der indigenen Gemeinschaften muss die Europäische Union auf die Einhaltung der Erklärung der Vereinten Nationen und das Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation bestehen. Diese Regeln stellen die Achtung der Menschenrechte sicher und stärken insbesondere das Recht der indigenen Völker, ihre freie, vorherige und informierte Zustimmung zu Projekten auf ihrem Territorium zu geben oder zu verweigern. Es müssen alle notwendigen Mechanismen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass die Rechte der indigenen Völker und Gemeinschaften, die dort seit Urzeiten leben, respektiert werden. Wir müssen die schleichende Gewalt und die Menschenrechtsverletzungen in den Blick neh- men, die auf verschiedenen Ebenen zu weiterer Gewalt führen: Von Repression über parteiische Justiz und territoriale Enteignung bis hin zu subtileren Formen der Gewalt wie der Stigmatisierung derjenigen, die für ihre Rechte kämpfen, der patriarchalen und der kulturellen Gewalt.