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Retter oder Bösewicht? Handelsmacht China

Foto: timo074/photocase.de

Der Blick auf ist China ist hierzulande sehr widersprüchlich: Für manche ist es ein alternatives Entwicklungsmodell zum Westen und eine Hoffnung für die Länder des Südens, für andere der Bösewicht – nach innen repressiv und nach außen aggressiv. Die Wirklichkeit liegt, wie so oft, dazwischen.

China ist es in den letzten zwanzig Jahren gelungen, von der verlängerten Werkbank west- licher Konzerne zu einem mächtigen globalen Player aufzusteigen. Nach einer radikalen Pri- vatisierungspolitik um die 2000er Jahre stiegen zunächst Arbeitslosigkeit und Kriminalität stark an. Durch strategische Industriepolitik, Kapital- verkehrskontrollen, staatlich koordinierte Öko- nomie und den Zugriff auf billige Arbeitskräfte, insbesondere Wanderarbeiter*innen, verlief die Öffnung zum Weltmarkt relativ geplant und erfolgreich. Ökonomisch kann die chinesische Entwicklung als Paradebeispiel für eine erfolgreiche nachträgliche Eingliederung einer rand- ständigen Wirtschaft in den Weltmarkt gelten. Betrug Chinas Anteil 1978 noch 1,7 Prozent am globalen Bruttosozialprodukt, so stieg er bis 2022 auf enorme 18,5 Prozent. Geopolitisch bietet der Staat für viele Länder des Südens eine Orientierung: Er stellt sich deutlich gegen die Handels- und Außenpolitik der USA und der EU und findet dafür international Bündnispartner.

Diese neue Rolle führt zu Ungleichgewichten und Abhängigkeitsbeziehungen zwischen China und den Staaten des globalen Südens, zu einer Zuspitzung der globalen ökonomischen Konkurrenz und zu geopolitischen Konflikten insbesondere mit den USA und der EU.

China heute

Zwar ist es China gelungen, den Hunger zu bekämpfen, gleichzeitig hat die soziale Ungleichheit jedoch enorm zugenommen. Viele Kader der Kommunistischen Partei konnten große Privatvermögen anhäufen: Eine neue Klasse von Kaderkapitalist*innen hat sich herausgebildet, die ökonomische ist mit der politischen Macht eng verflochten. Heute wird in China der größte Anteil am Bruttoinlandsprodukt in Privatunternehmen produziert, und dort werden auch die meisten Menschen beschäftigt. Das Land ist eine autoritäre kapitalistische Gesellschaft, allerdings mit ausgeprägter staatlicher Wirtschaftspolitik. Der Chinaexperte Felix Wemheuer beschreibt in seinem Buch »Land der Widersprüche und Vielfalt« den chinesischen »Gesellschaftsvertrag« so: Das Regime garantiert permanente Wohlstandssteigerung sowie Freiheiten im Privatleben, solange das System nicht in Frage gestellt wird. Wie lange dies bei sinkenden Wachstumsraten und bei einer Arbeitslosigkeit von knapp 20 Prozent bei den 16- bis 24-Jährigen funktionieren wird, ist allerdings fraglich.

Chinas Rolle in der Weltwirtschaft

2015 hat die chinesische Regierung den Plan »Made in China 2025« beschlossen: Das Land will bis 2025 in ausgewählten Bereichen Weltmarktführer sein. Bereits 2016 ist China zum größten Markt für Pkw, Elektrogroßgeräte und Smartphones sowie der zweitgrößte für Flugreisen geworden. Es ist gemessen an den jährlichen Zuwachsraten einer der global wichtigsten Investoren, liegt allerdings bei ausländischen Direktinvestitionen noch weit hinter den USA und der EU. Die Abhängigkeit nicht-chinesischer Produzenten vom chinesischen Binnenmarkt ist inzwischen enorm: Große Teile der US-Exporte gehen nach China, und für viele asiatische Länder ist China der größte Absatzmarkt. Mit der 2013 gestarteten Belt-and-Road-Initiative (»Neue Seidenstraße«) versucht China Asien, Europa, Afrika und Lateinamerika durch eine globale kontrollierte Handels- und Produktionsinfrastruktur zu verbinden und tritt damit in Kon- kurrenz zu westlichen Konzernen

Chinas Integration in die Weltwirtschaft hat zu einer Ausweitung des Kapitalismus als herrschender Wirtschaftsordnung geführt. Das Land ist vom Investitionsobjekt westlicher Konzerne zum mächtigen Konkurrenten geworden. Dies befeuert die Konflikte um Marktzugänge, Investitionsschutz und geistige Eigentumsrechte. Dabei konkurrieren nicht nur Konzerne miteinander, sondern verschiedene Kapitalismus-Typen, deren zentrale Konfliktlinien vor allem in unterschiedlichen ordnungspolitischen Vorstellungen insbesondere in der Handelspolitik liegen.

Reaktionen des Westens

Die USA und die EU sehen ihre Vormachtstellung durch China gefährdet. Die USA reagieren mit einer aggressiven Konfrontationsstrategie: Mit Angriffszöllen und gegen Hightech-Sektoren gerichtete Sanktionen. In der 2023 von der deutschen Regierung formulierten Chinastrategie wird China gleichzeitig als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale gesehen. Eine Entkoppelung von der chinesischen Wirtschaft wird nicht angestrebt, jedoch eine Minderung von Risiken und Abhängigkeiten.

China ist also weder Retter noch Bösewicht. Das Land hat sich zu einem autoritären kapitalistischen Land entwickelt, das die ökonomische Vorherrschaft des Westens herausfordert, aber keine solidarische Alternative bietet. Für die arm gemachten Länder des Südens erweitern sich die Zusammenarbeitsoptionen, China hilft ihnen jedoch nicht, ihre Abhängigkeit abzustreifen. Die Dämonisierung der chinesischen Konkurrenz im Kampf um Marktanteile und Profite ist heuchlerisch und verschleiert, dass es schlicht um gegenläufige ökonomische Interessen geht. Mit einer gerechten Wirtschaftsordnung hat dies wenig zu tun.

Thomas Eberhardt-Köster ist Mitglied im Koordinierungskreis von Attac.