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Gesundheit als Ware Finanzialisierung im Gesundheitswesen

Gesundheit ist keine Ware – unter diesem Slogan ist Attac seit Jahren aktiv, um gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens zu kämpfen. Leider hat sich diese in den letzten Jahren aber weltweit noch verstärkt. Damit erregt sie inzwischen nicht nur in kritischen Kreisen Aufmerksamkeit, sondern auch bei den etablierten Medien und bei den »offiziellen« Akteuren im Gesundheitswesen.

So hat das Deutsche Ärzteblatt am 20. Mai 2022 eine Umfrage unter mehr als 1000 Ärztinnen und Ärzten veröffentlicht, die ein erschreckendes Ergebnis lieferte. Knapp ein Drittel der Befragten gab an, dass wirtschaftlicher Druck ihr ärztliches Handeln stark beeinflusse, und rund 18 Prozent berichteten, dass sich die Kommerzialisierung häufig negativ auf ihre Entscheidung auswirke. Nur zwei Prozent der Teilnehmenden empfanden keinen wirtschaftlichen Druck bei ihrer Arbeit. Am weitesten fortgeschritten ist diese Entwicklung in den USA, was auch dort Beiträge in Ärztezeitschriften ausgelöst hat: In der Ausgabe vom 11. Januar 2024 erschien im New England Journal of Medicine ein Artikel unter dem Titel »The Financialisation of Health in the United States«. Darin wird eine besondere Form der Kommerzialisierung, die Finanzialisierung, beschrieben als zunehmender Einfluss von Banken, Versicherungsunternehmen und anderen Finanzakteuren auf (in diesem Fall Gesundheits-) Einrichtungen. Dabei kontrollieren Kapitalgeber diese über finanzielle Beteiligungen oder Aufkäufe und wandeln sie in handelbare »Assets« um. Praxen oder Pflegeheime werden damit zu handelbaren Kapitalwerten für den Finanzmarkt.

Eine besonders wichtige Rolle spielen hier sogenannte Private-Equity-Firmen (PE, auch als »Heuschrecken« bekannt), die privates Beteiligungskapital einsammeln und mit dem Versprechen auf Profit anlegen, indem sie Unternehmen übernehmen. Diese wollen sie aber nicht dauerhaft betreiben, sondern mit Gewinn weiterverkaufen. Sinn und Zweck der Unternehmen selbst sind dabei irrelevant und die Interessen von Patient*innen und Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen werden zweitrangig.

Eine Reihe von Untersuchungen beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Übernahmen durch PE im Gesundheitswesen, meist mit Schwerpunkt auf die USA. So haben etwa Alexander Borsa und andere 2023 im British Medical Journal eine systematische Übersicht über die Studien zu dieser Frage veröffentlich. Ihre Schlussfolgerung: Die Beteiligung von PE-Firmen im Gesundheitswesen nimmt rasch zu und ist oft verbunden mit höheren Kosten für Patient*innen und Kostenträger sowie mit Verschlechterungen der Versorgungsqualität. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Übersichtsarbeit im International Journal of Health Economics and Management von 2023 von Sajith Matthews und Renato Roxas.

Wie ist die Situation in Deutschland, woher kommt die Sorge der Ärzt*innen? Bereits 2019 hatte der wissenschaftliche Dienst des Bundestags die Dokumentation »Private Equity im deutschen Gesundheitssektor« vorgelegt, und die von Gerhard Schick gegründete Bewegung »Finanzwende« hat zum selben Thema in den letzten Jahren zwei Reports veröffentlicht. Aus allen drei Untersuchungen wird deutlich, dass PE-Kapital auch hierzulande im Gesundheitswesen zunehmend Fuß fasst. Dieser Prozess begann in Pflegeeinrichtungen, die teils in großem Maßstab von PE-Firmen aufgekauft wurden: in den Jahren 2017 und 2018 gab es über 40 solcher Übernahmen, die zusammen ca. 50.000 Beschäftigte betrafen.

Eine weitere gefragte Ware für privates Finanzkapital sind Arztpraxen, speziell die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), die nicht von einzelnen Praxisinhaber*innen geführt werden, sondern angestellte Ärzt*innen beschäftigen können. Bereits 2012 hatte die Politik auf den zunehmenden Einstieg privater Investoren reagiert und im GKV-Versorgungsgesetz eine Gründungsbeschränkung eingeführt: Nur noch Mediziner*innen oder medizinische Träger können ein MVZ gründen. »Doch diese Beschränkung stellt kein langfristiges Hindernis für Private Equity dar. Anstatt selber ein MVZ zu gründen, erwerben Private-Equity-Firmen typischerweise ein Krankenhaus. Dieses kann dann ein MVZ gründen oder aufkaufen. Daraus wird wiederum ein Konzern, der Arztpraxen aufkauft und diese als Filialen betreibt«, heißt es im Finanzwende-Report 2023. 

Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass sogar der Bundesrat aktiv wurde, obwohl eigentlich nicht zuständig. Er verabschiedete am 16.6.2023 eine Entschließung mit dem Titel »Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes«. Darin werden »[i]m Hinblick auf das Wachstum von investorengetragenen MVZ … Risiken für die Versorgung« beschrieben und eine Reihe von Maßnahmen gefordert, um diese Risiken zu begrenzen – insbesondere Transparenz über die Eigentumsverhältnisse, um die hinter den MVZ stehenden Kapitalgesellschaften zu identifizieren.

Aber: Vom zuständigen Gesundheits-Minister Lauterbach gab es auch nach dieser Entschließung bis heute (Stand April 2024) keine konkreten Schritte. Wir tun also gut daran, aufmerksam zu bleiben!

Dr. Albrecht Stöffler ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und aktiv bei Attac.