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Stefan Diefenbach-Trommer: Wenn Politik gemeinnützig ist

"Der Gesetzgeber hat (...) bewusst zwischen gemeinnützigen und politischen Zwecken unterschieden", behauptet das Finanzamt Frankfurt in seinem Bescheid, mit dem es Attac die Gemeinnützigkeit aberkennt. "Wer politisch aktiv sein möchte, der wird in der bestehenden Parteienlandschaft bzw. Wählergemeinschaft sicher fündig werden", schreibt der Bundesfinanzminister in einem Brief an die Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung". Und der hessische Finanzminister antwortet den Regierungsparteien CDU und Grüne auf eine entsprechende Anfrage: "Das Ehrenamt und das allgemeinpolitische Mandat sind weiterhin strikt voneinander zu trennen."

All diese Politiker und Steuerfachleute sollten im Grundgesetz unter Artikel 21 nachschlagen: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit." Dort steht nicht: Nur die Parteien machen Politik. Wer nicht mit einer parteipolitischen Brille auf die Gesellschaft schaut, erkennt, dass politisches Engagement vielfältig ist und immer mehr außerhalb von Parteien stattfindet. Und wir reden dabei nicht darüber, dass jemand eigene Interessen politisch durchsetzen möchte, sondern über selbstloses Engagement zum Wohle der Allgemeinheit, wie es auch jede Partei für sich in Anspruch nimmt.

In dem Gesetz, das die Gemeinnützigkeit bestimmt, also in der Abgabenordnung (AO), findet sich keine Unterscheidung zwischen politischen und anderen Zwecken. Die Auflistung gemeinnütziger Zwecke in Paragraf 52 nennt eine Menge Zwecke, die sich politisch lesen und leben lassen, zum Beispiel der Umweltschutz und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen.

Dass die Abgabenordnung politisches Handeln erlaubt, zeigt sich ganz besonders in Zweck Nummer 24, "allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens". Dort heißt es: "Hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind". Im Umkehrschuss erlaubt die Formulierung jegliches politische Engagement, soweit es selbstlos und nicht kommunalpolitisch ist.

Dass Politiker und auch die Finanzverwaltung in Verkennung der gesellschaftlichen Realität behaupten, Politik und Gemeinnützigkeit wären völlig verschiedene Dinge, hat viel mit der in den 80er Jahren aufgedeckten Flick-Affäre zu tun, die sich tief in die DNA der Parteien eingebrannt hat. Um Großspendern und Unternehmen einen großzügigen steuerlichen Abzug ihrer Parteispenden zu ermöglichen und um Absender von Parteispenden zu verschleiern, hatten insbesondere CDU, CSU, FDP und SPD bis dahin in großem Maßstab Spenden durch den Parteien nahestehende gemeinnützige Organisationen geleitet. Am bekanntesten wurde die "Staatsbürgerliche Vereinigung 1954 e. V.".

In Folge dieser Parteispenden-Affäre wurden Ende 1983 zahlreiche Gesetze geändert. Auf den sechs Seiten des Änderungsgesetzes steht jedoch kein Satz wie: Es wird zwischen gemeinnützigen und politischen Zwecken entschieden. Oder: Nur Parteien dürfen sich politisch betätigen.

Tatsächlich sind die zentralen Änderungen zur Gemeinnützigkeit folgende: Es wurde ein neuer gemeinnütziger Zweck eingefügt, nämlich die Förderung des demokratischen Staatswesens. Gemeinnützigen Organisationen wurde ausdrücklich verboten, politische Parteien zu unterstützen. Politische Parteien, nicht politische Zwecke! Und Parteien wurde verboten, Spenden von gemeinnützigen Vereinen anzunehmen. Wer diese Gesetzesänderungen anschaut, kann kaum behaupten, der Gesetzgeber habe politische und gemeinnützige Zwecke getrennt. Er hat die Spendenregeln für Parteien und Gemeinnützige getrennt. Und er hat die selbstlose politische Betätigung zur Förderung der Allgemeinheit als dritten gemeinnützigen Zweck aufgenommen.

Mit anderen Worten: Gemeinnützig ist es, Bäume zu pflanzen – und ebenso, gegen ihre Abholzung vorzugehen. Gemeinnützig ist es, Entwicklungshilfe in benachteiligten Ländern zu fördern – und ebenso, unfaire Handelspolitik als Ursache der Benachteiligung ändern zu wollen. Gemeinnützig ist es, verarmten Menschen und Flüchtlingen Bildung, Essen und Obdach zu verschaffen – und ebenso, die Ursachen ihrer Ausgrenzung beseitigen zu wollen.

Sollten Bundesregierung oder Parteien der Auffassung sein, dass die Arbeit an den Ursachen gesellschaftlicher Probleme nicht förderungswürdig ist, dann sollen sie eine Gesetzesänderung in den Bundestag bringen und darüber diskutieren. Sind sie der Auffassung, dass politisches Engagement außerhalb von Parteien gewollt ist, dass gerade unliebsamer Protest falsche Entscheidungen von Parlamenten immer wieder verhindert oder korrigiert hat, dann mögen sie doch bitte dafür sorgen, dass die Finanzverwaltung so arbeitende gemeinnützige Organisationen nicht mehr attackiert und durch den Entzug der Gemeinnützigkeit ihre Existenz gefährdet.

Diese Klarstellung sollte eine politische Klarstellung sein. Abgeordnete und Minister dürfen sich nicht darum drücken und die Interpretation ihres Gesetzes Finanzgerichten oder der Verwaltung überlassen.

Stefan Diefenbach-Trommer ist Vorstand der Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung", einem Zusammenschluss von mehr als 60 Vereinen und Stiftungen, unter anderem Amnesty International, Brot für die Welt, Campact, Attac und Terre des Hommes. Die Allianz fordert ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht, insbesondere Klarstellungen im Gesetz, damit Finanzämter nicht mehr die Gemeinnützigkeit zivilgesellschaftlicher Organisationen anzweifeln, die politische Forderungen erheben. Weitere Informationen: www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de
Von August 2015 bis Juli 2016 war er außerdem Mitglied des Büroteams von Attac Deutschland.

Der Gastbeitrag erschien am 5. Juni 2016 in der Frankfurter Rundschau.