Zum Umgang mit der Extremen Rechten in Europa
1. Die Extreme Rechte ist nicht nur stärker sondern auch diffuser geworden und deshalb umso gefährlicher und schwerer politisch zu bekämpfen.
Wenn wir uns heute in Europa mit der Extremen Rechten auseinandersetzen, können wir dies nur noch bedingt in den alten Kategorien tun. Sowohl auf der Rechten, als auch auf der Linken haben sich zu viele Entwicklungen ergeben, als dass wir einfach an alte Konfliktlinien und Argumentationsmuster anknüpfen könnten.
Zunächst will ich kurz darauf eingehen, was sich im rechten Lager verschoben hat. Das politische Spektrum, mit dem wir es heute dort zu tun haben, ist einerseits sehr viel bundscheckiger geworden und hat teilweise sogar Aktionsformen aus linken Bewegungen übernommen, kann aber andererseits gut auf ein paar wesentliche Gemeinsamkeiten, die für unsere Auseinandersetzungen mit ihm wichtig sind, zusammengefasst werden.
Es sind im vor allem zwei Gemeinsamkeiten, die bei allen Gruppen der Extremen Rechten zu beobachten sind. Dies ist zum einen eine ausgeprägte Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (Heitmeyer), die sich teils auf die selben Feinbilder bezieht, teils aber auch auf unterschiedliche und zum anderen ein Antietatismus, der sich in einer tiefen Skepsis gegen den etablierten Eliten und der repräsentativen Demokratie ausdrückt. Auch die geraden in der deutschen Extremen Rechten gerne zelebrierte Medienschelte ist Teil der Elitenkritik.
Unterschiede gibt es bei der Extremen Rechten in Bezug auf das Verhältnis zum Neoliberalismus. Teile beziehen ihn in ihre Ideologie ein und radikalisieren ihn sogar, ohne sich expliziert auf die neoliberalen Vordenker zu beziehen. In ihrem Sinne soll der nationale Volkskörper vor allem deshalb gestärkt werden, um im internationalen Wettbewerb besser bestehen zu können. Andere Teile lehnen den Neoliberalismus explizit ab und stellen seiner Vorstellung von unregulierten Märkten eine mehr oder weniger autarke Volksgemeinschaft gegenüber, die in eine ‚organische’ Wirtschaft eingebettet ist. Beide Flügel versuchen die Soziale Frage aufzurufen und versprechen alle denjenigen, die zur richtigen völkischen Gemeinschaft gehören soziale Sicherheit.
Der Extremen Rechten hat ihre völkische Ideologie ‚modernisiert’ und definieren Zugehörigkeit zum Volk heute in erster Linie nicht mehr biologisch sondern kulturell. Zudem ist es ihr weitgehender gelungen, das Stigma, Nachfolgebewegung des historischen Faschismus zu sein, abzustreifen. Gerade in Deutschland ist dies ein wesentlicher Grund für die jüngsten Erfolge der AfD. Die alte linke Argumentation, die im wesentlichen auf Entlarvung setzt – seht nur genau hin und ihr erkennt, dass hier nur die alten Faschist_innen am Werke sind – läuft damit weitgehend ins Leere.
2. Die EU-Kritik ist für die Extreme Rechte das entscheidende und vereinigendes Topos, in dem sie ihren Antietatismus und ihre Elitenkritik auf den strategischen Punkt bringen.
Eine plumpe Ablehnung demokratischer Strukturen und die positive Bezugnahme auf diktatorische Systeme oder Ständeverfassungen, wie sie beim historischen Faschismus eine Rolle gespielt haben, sind heute nicht breit anschlussfähig. Was allerdings bestens funktioniert, ist Kritik der politischen Strukturen der EU. Dies aus zwei Gründen. Die EU hat schwerwiegende demokratische Mängel und ist in ihrer wirtschaftspolitischen Ausrichtung neoliberal geprägt. Sie eignet sich deshalb gut, um unter Bezugnahme auf die demokratische Mängel Formen repräsentativer Demokratie grundsätzlich in Frage zu stellen.
Deshalb ist die EU-Kritik, die vor allem in der Euro-Skepsis einfach auf den Punkt zu bringen ist, ein wesentlicher Erfolgsmoment für die Extreme Rechte, weil sie breit anschlussfähig bis ins linke Milieu hinein ist.
3. Insbesondere Muslime und Muslima dienen den Extremen Rechten als Objekte ihrer Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, sie sind als Objekte des Hasses aber prinzipiell austauschbar.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit braucht zunächst die Benennung des hassenswerten Anderen. Dass heute in weiten Teilen Europas in erste Linie Muslime und Muslima von der Extremen Rechten als Objekte ihrer Menschenfeindlichkeit genutzt werden hat zwei wesentliche Gründe.
Der eine Grund ist ein ‚außenpolitischer’ und liegt in den hegemonialen Deutung der aktueller zentraler globalen Auseinandersetzungen. Während bis Ende des letzten Jahrtausend die Deutung der wesentlichen globalen Konflikte vor der Folie des Ost-West-Konfliktes und der Systemalternativen Kapitalismus – Sozialismus/Kommunismus stattfand, findet er nach dem Zusammenbruch des/der staatskapitalistischen Lager, bzw. ihrer Integration in den kapitalistisch geprägten Weltmarkt, vor der Folie des ‚Kampfes der Kulturen’ und des ‚Krieg gegen den Terror’ statt. Das hassenswerte Andere ist damit zunehmend nicht mehr über das andere Wirtschaftssystem, sondern über die andere ‚Kultur’ geprägt.
Der andere Grund ist ein ‚innenpolitischer’ und liegt in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Europa. In der Konkurrenz um Arbeitsplätze werden Migrant_innen, die aufgrund der ethnisch segmentierten Arbeitsmärkte oft gezwungen sind, sich zu Löhnen zu verdingen, die unterhalb derer liegen, die Einheimische bekommen, von denen als Konkurrenten empfunden. Und abstiegsgefährdete Mittelschichten sehen in den Geflüchteten, die Sozialleistungen in Europa in Anspruch nehmen, die Ursache für eine vermeintliche Überlastung des Sozialstaates.
Als Synonym für die Furch vor und die Ablehnung werden dann häufig Muslime und Muslima genutzt, weil sich gerade ihn ihnen das kulturell andere so einfach kennzeichnen lässt.
4. In Aufstieg der AfD lässt sich sehr gut der Erfolg einer Strategie zeigen, die auf Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Antietatismus setzt.
Die AfD hatte ihre ersten Erfolge mit ihrer Kampagne gegen die EU, insbesondere gegen den Euro. Diese Kampagne hatte zwei Stoßrichtungen. Die eine war von Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit geprägt und richtete sich dagegen, dass Griechenland oder andere südeuropäische Länder, auch nur die geringste Unterstützung durch die EU erhalten. Die andere Stoßrichtung richtete sich gegen die EU als politische Institution. Als Kritik an zu wenig Demokratie in den europäischen Institutionen getarnt, stellte sie die Sinnhaftigkeit übernationaler Staatlichkeit und damit die EU grundsätzlich in Frage. Zu diesem Zeitpunkt verband die AfD erfolgreich einen radikalen Neoliberalismus und EU-Kritik mit rassistischen Argumentationsmustern.
Nach ihren ersten Erfolgen drohte die AfD in Folge interner Auseinandersetzungen in eine Krise zu geraten. Mit dem zeitweisen Zusammenbruch des europäischen Grenzregimes ab dem Sommer 2015 richtet sie ihre politische Argumentation verstärkt auf die Kritik des Umgangs der deutschen Bundesregierung damit aus. Die nach Europa Geflüchteten und die vermeintlich zu zaghaften Abwehrmaßnahmen der Regierung Merkel wurden zur Bedrohung Deutschland stilisiert. Als die Grenzen wieder geschlossen waren und die Zahl der nach Deutschland Kommenden deutlich sank, richtet die AfD ihre Gruppenbezogen Menschenfeindlichkeit in erste Linie auf Muslime und Muslima. Dies fand dann im Frühjahr 2016 in der Debatte um das Parteiprogramm der AfD seinen Ausdruck.
5. Der Wahlerfolg von Donald Trump hat mehr Gemeinsamkeiten mit dem Aufstieg der Extremen Rechten in Deutschland, als es auf den ersten Blick scheint.
Die Anrufung von Gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit und Antietatismus waren auch zwei wesentliche Elemente im Wahlkampf von Donald Trump. Objekte seines Rassismus waren neben den Muslimen und Muslima vor allem Migrant_innen aus Lateinamerika. Seinen Antietatismus verkleidete er in eine Rhetorik gegen die etablierten Politiker_innen, wobei ihm mit der Kandidatin der Demokratischen Partei Hillary Clinton das perfekte Beispiel für die kritikwürdigen Verhaltensweisen der politischen Klasse nicht nur in den USA eine perfekte Vorlage geliefert wurde.
Die Wähler_innen von Trump haben oft die gleichen Motive wie die der Extremen Rechten in Europa. Sie haben soziale Ängste und vermuten, dass es ihnen zukünftig eher schlechter als besser geht, wenn sich nicht etwas grundlegend verändert.
6. Im Kampf gegen die Extreme Rechte muss unser Schwerpunkt auf der Verteidigung eines radikalen Humanismus und der Fortentwicklung demokratischer Formen der Interessenregulierung liegen.
Dies wird aber nicht gelingen, wenn wir nicht gleichzeitig einen Antwort auf die soziale Frage finden, also auf die Zukunftsängste breiter Teile der lohnabhängigen Bevölkerung. Wenn es stimmt, dass ein wesentlicher Grund für den Erfolg der Extremen Rechten darin liegt, dass sie Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zwar nicht erzeugt, aber verstärkt und wählbar gemacht haben, kann eine Antwort darauf aus linker Perspektive nur ein radikaler Humanismus sein, der betont, dass jedem Menschen an jedem Ort der Welt dies selben politischen und sozialen Rechte zustehen.
Wenn es stimmt, dass ein wesentlicher Grund für den Erfolg der Extremen Rechten in deren Antietatismus liegt, dann müssen wir die tiefen Skepsis breiter Teile der Bevölkerung mit dem etablierten politischen System aufgreifen, allerdings nicht in dem Sinne, dass wir statt der rechten eine vermeintlich linke Elitenschelte betreiben, sondern in dem wir undemokratische Strukturen angreifen und für eine radikale Demokratisierung streiten.
Ein Teil der Stärke der Extremen Rechten speist sich aus der Schwäche der gesellschaftlichen Linken, die denjenigen, sowohl aus der eher traditionellen Arbeiterklasse, als auch aus den Mittelschichten, die Zukunftsängste haben und mit den herrschenden Zuständen unzufrieden sind, keine plausible Perspektive anzubieten hat.
Jede Auseinandersetzung mit den Positionen der Extremen Rechten muss also notwendigerweise eine Antwort auf die soziale Frage bieten, die mehr sein muss, als ein Verweise auf die alten Forderungen der sozialdemokratischen und der kommunistischen Teile der Arbeiter_innenbewegung.
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